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Feuerbach, Ludwig: Das Wesen des Christentums. Leipzig, 1841.

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nes anderen Wesens, das nicht Gott ist, wird vermittelt durch
die productive Idee eines anderen Wesens, das Gott gleich ist.

Dieser kosmogonische Proceß ist nun aber nichts andres
als die mystische Periphrase eines psycho-logischen Proces-
ses, nichts andres als die Vergegenständlichung der Einheit
des Bewußtseins
und Selbstbewußtseins. Gott denkt
sich -- so ist er bewußt, selbstbewußt -- Gott ist das Selbst-
bewußtsein als Object, als Wesen gesetzt; aber indem er sich
weiß, sich denkt, so denkt er auch damit zugleich ein Andres
als Er selbst ist; denn Sich wissen ist Sich unterscheiden
von Anderem, sei dieses nun ein mögliches, nur vorgestelltes,
oder ein wirkliches. So ist also zugleich die Welt -- wenigstens
die Möglichkeit, die Idee der Welt -- gesetzt mit dem Bewußt-
sein oder vielmehr vermittelt durch dasselbe. Der Sohn, der
von sich gedachte, der gegenständliche, der urabbildliche, der an-
dere Gott ist das Princip der Weltschöpfung. Die Wahrheit,
die zu Grunde liegt, ist das Wesen des Menschen: die Iden-
tität seines Selbstbewußtseins mit dem Bewußtsein von einem
Andern, welches mit ihm identisch, und von einem Andern,
welches nicht mit ihm identisch ist. Und das zweite, das we-
sensgleiche Andre ist nothwendig das Mittelglied, der Termi-
nus medius
zwischen dem Ersten und Dritten. Der Gedanke
eines Andern überhaupt, eines wesentlich Andern ent-
steht mir erst durch den Gedanken eines im Wesen mir glei-
chen Andern
.

Das Bewußtsein der Welt ist das Bewußtsein meiner
Beschränktheit -- wüßte ich nichts von einer Welt, so wüßte
ich nichts von Schranken -- aber das Bewußtsein meiner Be-
schränktheit steht im Widerspruch mit dem Triebe meiner Selbst-

7*

nes anderen Weſens, das nicht Gott iſt, wird vermittelt durch
die productive Idee eines anderen Weſens, das Gott gleich iſt.

Dieſer kosmogoniſche Proceß iſt nun aber nichts andres
als die myſtiſche Periphraſe eines pſycho-logiſchen Proceſ-
ſes, nichts andres als die Vergegenſtändlichung der Einheit
des Bewußtſeins
und Selbſtbewußtſeins. Gott denkt
ſich — ſo iſt er bewußt, ſelbſtbewußt — Gott iſt das Selbſt-
bewußtſein als Object, als Weſen geſetzt; aber indem er ſich
weiß, ſich denkt, ſo denkt er auch damit zugleich ein Andres
als Er ſelbſt iſt; denn Sich wiſſen iſt Sich unterſcheiden
von Anderem, ſei dieſes nun ein mögliches, nur vorgeſtelltes,
oder ein wirkliches. So iſt alſo zugleich die Welt — wenigſtens
die Möglichkeit, die Idee der Welt — geſetzt mit dem Bewußt-
ſein oder vielmehr vermittelt durch daſſelbe. Der Sohn, der
von ſich gedachte, der gegenſtändliche, der urabbildliche, der an-
dere Gott iſt das Princip der Weltſchöpfung. Die Wahrheit,
die zu Grunde liegt, iſt das Weſen des Menſchen: die Iden-
tität ſeines Selbſtbewußtſeins mit dem Bewußtſein von einem
Andern, welches mit ihm identiſch, und von einem Andern,
welches nicht mit ihm identiſch iſt. Und das zweite, das we-
ſensgleiche Andre iſt nothwendig das Mittelglied, der Termi-
nus medius
zwiſchen dem Erſten und Dritten. Der Gedanke
eines Andern überhaupt, eines weſentlich Andern ent-
ſteht mir erſt durch den Gedanken eines im Weſen mir glei-
chen Andern
.

Das Bewußtſein der Welt iſt das Bewußtſein meiner
Beſchränktheit — wüßte ich nichts von einer Welt, ſo wüßte
ich nichts von Schranken — aber das Bewußtſein meiner Be-
ſchränktheit ſteht im Widerſpruch mit dem Triebe meiner Selbſt-

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[99/0117] nes anderen Weſens, das nicht Gott iſt, wird vermittelt durch die productive Idee eines anderen Weſens, das Gott gleich iſt. Dieſer kosmogoniſche Proceß iſt nun aber nichts andres als die myſtiſche Periphraſe eines pſycho-logiſchen Proceſ- ſes, nichts andres als die Vergegenſtändlichung der Einheit des Bewußtſeins und Selbſtbewußtſeins. Gott denkt ſich — ſo iſt er bewußt, ſelbſtbewußt — Gott iſt das Selbſt- bewußtſein als Object, als Weſen geſetzt; aber indem er ſich weiß, ſich denkt, ſo denkt er auch damit zugleich ein Andres als Er ſelbſt iſt; denn Sich wiſſen iſt Sich unterſcheiden von Anderem, ſei dieſes nun ein mögliches, nur vorgeſtelltes, oder ein wirkliches. So iſt alſo zugleich die Welt — wenigſtens die Möglichkeit, die Idee der Welt — geſetzt mit dem Bewußt- ſein oder vielmehr vermittelt durch daſſelbe. Der Sohn, der von ſich gedachte, der gegenſtändliche, der urabbildliche, der an- dere Gott iſt das Princip der Weltſchöpfung. Die Wahrheit, die zu Grunde liegt, iſt das Weſen des Menſchen: die Iden- tität ſeines Selbſtbewußtſeins mit dem Bewußtſein von einem Andern, welches mit ihm identiſch, und von einem Andern, welches nicht mit ihm identiſch iſt. Und das zweite, das we- ſensgleiche Andre iſt nothwendig das Mittelglied, der Termi- nus medius zwiſchen dem Erſten und Dritten. Der Gedanke eines Andern überhaupt, eines weſentlich Andern ent- ſteht mir erſt durch den Gedanken eines im Weſen mir glei- chen Andern. Das Bewußtſein der Welt iſt das Bewußtſein meiner Beſchränktheit — wüßte ich nichts von einer Welt, ſo wüßte ich nichts von Schranken — aber das Bewußtſein meiner Be- ſchränktheit ſteht im Widerſpruch mit dem Triebe meiner Selbſt- 7*

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Zitationshilfe: Feuerbach, Ludwig: Das Wesen des Christentums. Leipzig, 1841, S. 99. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/feuerbach_christentum_1841/117>, abgerufen am 26.11.2024.