nicht ein wirkliches endliches Wesen, außer Gott gesetzt; sie ist vielmehr noch identisch mit Gott -- so identisch als es mit dem Vater der Sohn ist, der zwar eine andre Person, aber doch gleiches Wesen mit dem Vater hat. Die zweite Person repräsentirt uns daher nicht den reinen Begriff der Gottheit, aber auch nicht den reinen Begriff der Menschheit oder Wirklichkeit überhaupt -- sie ist ein Mittelwesen zwischen beiden Gegen- sätzen. Der Gegensatz von dem unsinnlichen oder unsichtbaren göttlichen Wesen und dem sinnlichen oder sichtbaren Wesen der Welt ist aber nichts andres als der Gegensatz zwischen dem Wesen der Abstraction und dem Wesen der sinnlichen Anschauung, das die Abstraction mit der sinnlichen Anschau- ung Verknüpfende aber die Phantasie oder Einbildungs- kraft: folglich ist der Uebergang von Gott zur Welt ver- mittelst der zweiten Person nur der vergegenständlichte Uebergang von der Abstractionskraft vermittelst der Phantasie zur Sinnlichkeit. Die Phantasie ist es allein, durch die der Mensch den Gegensatz zwischen Gott und Welt aufhebt, vermittelt. Alle religiösen Kosmogonien sind Phanta- sien -- jedes Mittelwesen zwischen Gott und Welt, es werde nun bestimmt, wie es wolle, ein Phantasiewesen. Die psycho- logische Wahrheit und Nothwendigkeit, die allen diesen Theo- und Kosmogonien zu Grunde liegt, ist die Wahrheit und Nothwendigkeit der Einbildungskraft als des Ter- minus medius zwischen dem Abstracten und Concre- ten. Und die Philosophie, die ihrer selbstbewußte Philosophie
faciat Deos, anathema sit. Caput enim quod est principium omnium, filius. Caput autem quod est principium Christi, deus. .... Fi- lium innascibilem confiteri impiissimum est. Petrus Lomb. Sent. I. I. dist. 31. c. 4.
Feuerbach. 7
nicht ein wirkliches endliches Weſen, außer Gott geſetzt; ſie iſt vielmehr noch identiſch mit Gott — ſo identiſch als es mit dem Vater der Sohn iſt, der zwar eine andre Perſon, aber doch gleiches Weſen mit dem Vater hat. Die zweite Perſon repräſentirt uns daher nicht den reinen Begriff der Gottheit, aber auch nicht den reinen Begriff der Menſchheit oder Wirklichkeit überhaupt — ſie iſt ein Mittelweſen zwiſchen beiden Gegen- ſätzen. Der Gegenſatz von dem unſinnlichen oder unſichtbaren göttlichen Weſen und dem ſinnlichen oder ſichtbaren Weſen der Welt iſt aber nichts andres als der Gegenſatz zwiſchen dem Weſen der Abſtraction und dem Weſen der ſinnlichen Anſchauung, das die Abſtraction mit der ſinnlichen Anſchau- ung Verknüpfende aber die Phantaſie oder Einbildungs- kraft: folglich iſt der Uebergang von Gott zur Welt ver- mittelſt der zweiten Perſon nur der vergegenſtändlichte Uebergang von der Abſtractionskraft vermittelſt der Phantaſie zur Sinnlichkeit. Die Phantaſie iſt es allein, durch die der Menſch den Gegenſatz zwiſchen Gott und Welt aufhebt, vermittelt. Alle religiöſen Kosmogonien ſind Phanta- ſien — jedes Mittelweſen zwiſchen Gott und Welt, es werde nun beſtimmt, wie es wolle, ein Phantaſieweſen. Die pſycho- logiſche Wahrheit und Nothwendigkeit, die allen dieſen Theo- und Kosmogonien zu Grunde liegt, iſt die Wahrheit und Nothwendigkeit der Einbildungskraft als des Ter- minus medius zwiſchen dem Abſtracten und Concre- ten. Und die Philoſophie, die ihrer ſelbſtbewußte Philoſophie
faciat Deos, anathema sit. Caput enim quod est principium omnium, filius. Caput autem quod est principium Christi, deus. .... Fi- lium innascibilem confiteri impiissimum est. Petrus Lomb. Sent. I. I. dist. 31. c. 4.
Feuerbach. 7
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><p><pbfacs="#f0115"n="97"/>
nicht ein wirkliches endliches Weſen, außer Gott geſetzt; ſie iſt<lb/>
vielmehr noch identiſch mit Gott —ſo identiſch als es mit<lb/>
dem Vater der Sohn iſt, der zwar eine andre Perſon, aber<lb/>
doch gleiches Weſen mit dem Vater hat. Die zweite Perſon<lb/>
repräſentirt uns daher nicht den reinen Begriff der Gottheit, aber<lb/>
auch nicht den reinen Begriff der Menſchheit oder Wirklichkeit<lb/>
überhaupt —ſie iſt ein Mittelweſen zwiſchen beiden Gegen-<lb/>ſätzen. Der Gegenſatz von dem unſinnlichen oder unſichtbaren<lb/>
göttlichen Weſen und dem ſinnlichen oder ſichtbaren Weſen der<lb/>
Welt iſt aber nichts andres als der <hirendition="#g">Gegenſatz</hi> zwiſchen dem<lb/><hirendition="#g">Weſen der Abſtraction</hi> und dem <hirendition="#g">Weſen der ſinnlichen<lb/>
Anſchauung</hi>, das die Abſtraction mit der ſinnlichen Anſchau-<lb/>
ung Verknüpfende aber die <hirendition="#g">Phantaſie</hi> oder <hirendition="#g">Einbildungs-<lb/>
kraft</hi>: folglich iſt der <hirendition="#g">Uebergang von Gott zur Welt</hi> ver-<lb/>
mittelſt der zweiten Perſon nur der <hirendition="#g">vergegenſtändlichte<lb/>
Uebergang</hi> von der <hirendition="#g">Abſtractionskraft vermittelſt der<lb/>
Phantaſie zur Sinnlichkeit</hi>. Die Phantaſie iſt es allein,<lb/>
durch die der Menſch den Gegenſatz zwiſchen Gott und Welt<lb/>
aufhebt, vermittelt. Alle religiöſen Kosmogonien ſind Phanta-<lb/>ſien — jedes Mittelweſen zwiſchen Gott und Welt, es werde<lb/>
nun beſtimmt, wie es wolle, ein Phantaſieweſen. Die <hirendition="#g">pſycho-<lb/>
logiſche</hi> Wahrheit und Nothwendigkeit, die allen dieſen Theo-<lb/>
und Kosmogonien zu Grunde liegt, iſt die <hirendition="#g">Wahrheit und<lb/>
Nothwendigkeit der Einbildungskraft als des <hirendition="#aq">Ter-<lb/>
minus medius</hi> zwiſchen dem Abſtracten und Concre-<lb/>
ten</hi>. Und die Philoſophie, die ihrer ſelbſtbewußte Philoſophie<lb/><notexml:id="note-0115"prev="#note-0114"place="foot"n="*)"><hirendition="#aq">faciat Deos, anathema sit. Caput enim quod est <hirendition="#g">principium omnium,<lb/>
filius</hi>. Caput autem quod est <hirendition="#g">principium Christi, deus</hi>. .... Fi-<lb/>
lium <hirendition="#g">innascibilem confiteri impiissimum</hi> est. <hirendition="#g">Petrus Lomb.<lb/>
Sent</hi>. I. I. dist. 31. c. 4.</hi></note><lb/><fwplace="bottom"type="sig"><hirendition="#g">Feuerbach</hi>. 7</fw><lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[97/0115]
nicht ein wirkliches endliches Weſen, außer Gott geſetzt; ſie iſt
vielmehr noch identiſch mit Gott — ſo identiſch als es mit
dem Vater der Sohn iſt, der zwar eine andre Perſon, aber
doch gleiches Weſen mit dem Vater hat. Die zweite Perſon
repräſentirt uns daher nicht den reinen Begriff der Gottheit, aber
auch nicht den reinen Begriff der Menſchheit oder Wirklichkeit
überhaupt — ſie iſt ein Mittelweſen zwiſchen beiden Gegen-
ſätzen. Der Gegenſatz von dem unſinnlichen oder unſichtbaren
göttlichen Weſen und dem ſinnlichen oder ſichtbaren Weſen der
Welt iſt aber nichts andres als der Gegenſatz zwiſchen dem
Weſen der Abſtraction und dem Weſen der ſinnlichen
Anſchauung, das die Abſtraction mit der ſinnlichen Anſchau-
ung Verknüpfende aber die Phantaſie oder Einbildungs-
kraft: folglich iſt der Uebergang von Gott zur Welt ver-
mittelſt der zweiten Perſon nur der vergegenſtändlichte
Uebergang von der Abſtractionskraft vermittelſt der
Phantaſie zur Sinnlichkeit. Die Phantaſie iſt es allein,
durch die der Menſch den Gegenſatz zwiſchen Gott und Welt
aufhebt, vermittelt. Alle religiöſen Kosmogonien ſind Phanta-
ſien — jedes Mittelweſen zwiſchen Gott und Welt, es werde
nun beſtimmt, wie es wolle, ein Phantaſieweſen. Die pſycho-
logiſche Wahrheit und Nothwendigkeit, die allen dieſen Theo-
und Kosmogonien zu Grunde liegt, iſt die Wahrheit und
Nothwendigkeit der Einbildungskraft als des Ter-
minus medius zwiſchen dem Abſtracten und Concre-
ten. Und die Philoſophie, die ihrer ſelbſtbewußte Philoſophie
*)
*) faciat Deos, anathema sit. Caput enim quod est principium omnium,
filius. Caput autem quod est principium Christi, deus. .... Fi-
lium innascibilem confiteri impiissimum est. Petrus Lomb.
Sent. I. I. dist. 31. c. 4.
Feuerbach. 7
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Feuerbach, Ludwig: Das Wesen des Christentums. Leipzig, 1841, S. 97. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/feuerbach_christentum_1841/115>, abgerufen am 26.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.