Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Fassmann, David: Der Gelehrte Narr. Freiburg, 1729.

Bild:
<< vorherige Seite

riorum, Pithoei, Aerodii, Schelii und Schultingii Anmerckungen heraus ge-
geben worden. Nach diesem hat Ulricus Obrechtus Anno 1698. davon eine
gar accurate Edition an das Licht gestellet. Gleichwohl solle dieses alles jetzo
nichts heissen, nichts bedeuten, nichts gelten, sondern man zancket sich aufs
neue über den wahren Verstand, über den Sinn, über die Meynung, und über
die Gedancken des Quintiliani, und zwar mit solcher Hefftigkeit, als wann
das Heyl von gantz Europa darauf beruhete. Auf diese hochgelahrten Herren
nun schicket sich nicht unrecht eine Passage aus Trajani Bocalini Relation ex
Parnasso cap.
21. welche also lautet:

Gestern um zwey Uhr ist allhier, in derer Grammatisten Quartier, un-
versehens
Allarm geschlagen worden. Als die Gelehrten meistentheils zu-
gelauffen, fanden sie, daß die Schulmeister, Epistel- und Comment-
schreiber dermassen hart an einander gewachsen waren, daß sie schwehr-
lich aus einander zu setzen gewesen. Der Streit hat sich allein daher er-
hoben, weil sie sich nicht vergleichen können, ob das Wörtlein
Consumptum
mit oder ohne p. zu schreiben? Uber diese Unruhe ward Ihro Majestät,
der
Apollo, sehr zornig, nicht allein, da die Ursache dieses Schul-Krieges
gar geringe, sondern auch weil
Paulus Manutius, welcher dieser Unruhe
Urheber gewesen seyn solle,
Dion. Lambinum, der ihm zum Wiederpart ge-
standen, mit einem Stein von Rom, darinnen besagtes Wort mit
dem
p. geschrieben gestanden, sehr beschädiget, und die Nase gantz zer-
knirschet hatte. Weil nun
Apollo diesem Gesindel, wegen seiner Grob-
heit und Ungeschicklichkeit, ohne diß nicht wohl geneigt, befahlen Ih-
ro Majestät dem Stadt-Voigt sie allerdings aus denen Herrschafften
des
Parnassi zu verweisen. Nachdem aber Cicero, Quintilianus, und an-
dere vornehme Gelehrte, vor sie auf das unterthänigste
intercediret,
und anbey vorgestellet, es seye dieses heyllose Gesindel nicht fähig hö-
here Sachen zu begreiffen, und müsten sich also bißweilen um derglei-
chen
Bagatelle zancken, seynd sie endlich erbeten, und in ihrem Stande
gelassen worden; jedoch mit der
expressen Bedingung, daß sie nicht
kluge, sondern närrische Gelehrte führohin heissen solten.

Gantz entsetzlich ist dieses, daß dergleichen Stäncker, Zäncker und ge-
lehrte Narren gemeiniglich praetendiren grosse Philosophi zu seyn. Was kön-
te aber einem wohl lächerlicher in die Augen fallen als ein Philosophus, der die
gantze Zeit von der Kunst, die Affecten zu bemeistern, zu zäumen und zu zwin-
gen, Lehren und Regeln giebet, und gleichwohl sich selber, durch den gering-

sten

riorum, Pithœi, Aerodii, Schelii und Schultingii Anmerckungen heraus ge-
geben worden. Nach dieſem hat Ulricus Obrechtus Anno 1698. davon eine
gar accurate Edition an das Licht geſtellet. Gleichwohl ſolle dieſes alles jetzo
nichts heiſſen, nichts bedeuten, nichts gelten, ſondern man zancket ſich aufs
neue uͤber den wahren Verſtand, uͤber den Sinn, uͤber die Meynung, und uͤber
die Gedancken des Quintiliani, und zwar mit ſolcher Hefftigkeit, als wann
das Heyl von gantz Europa darauf beruhete. Auf dieſe hochgelahrten Herren
nun ſchicket ſich nicht unrecht eine Paſſage aus Trajani Bocalini Relation ex
Parnaſſo cap.
21. welche alſo lautet:

Geſtern um zwey Uhr iſt allhier, in derer Grammatiſten Quartier, un-
verſehens
Allarm geſchlagen worden. Als die Gelehrten meiſtentheils zu-
gelauffen, fanden ſie, daß die Schulmeiſter, Epiſtel- und Comment-
ſchreiber dermaſſen hart an einander gewachſen waren, daß ſie ſchwehr-
lich aus einander zu ſetzen geweſen. Der Streit hat ſich allein daher er-
hoben, weil ſie ſich nicht vergleichen koͤnnen, ob das Woͤrtlein
Conſumptum
mit oder ohne p. zu ſchreiben? Uber dieſe Unruhe ward Ihro Majeſtaͤt,
der
Apollo, ſehr zornig, nicht allein, da die Urſache dieſes Schul-Krieges
gar geringe, ſondern auch weil
Paulus Manutius, welcher dieſer Unruhe
Urheber geweſen ſeyn ſolle,
Dion. Lambinum, der ihm zum Wiederpart ge-
ſtanden, mit einem Stein von Rom, darinnen beſagtes Wort mit
dem
p. geſchrieben geſtanden, ſehr beſchaͤdiget, und die Naſe gantz zer-
knirſchet hatte. Weil nun
Apollo dieſem Geſindel, wegen ſeiner Grob-
heit und Ungeſchicklichkeit, ohne diß nicht wohl geneigt, befahlen Ih-
ro Majeſtaͤt dem Stadt-Voigt ſie allerdings aus denen Herrſchafften
des
Parnaſſi zu verweiſen. Nachdem aber Cicero, Quintilianus, und an-
dere vornehme Gelehrte, vor ſie auf das unterthaͤnigſte
intercediret,
und anbey vorgeſtellet, es ſeye dieſes heylloſe Geſindel nicht faͤhig hoͤ-
here Sachen zu begreiffen, und muͤſten ſich alſo bißweilen um derglei-
chen
Bagatelle zancken, ſeynd ſie endlich erbeten, und in ihrem Stande
gelaſſen worden; jedoch mit der
expreſſen Bedingung, daß ſie nicht
kluge, ſondern naͤrriſche Gelehrte fuͤhrohin heiſſen ſolten.

Gantz entſetzlich iſt dieſes, daß dergleichen Staͤncker, Zaͤncker und ge-
lehrte Narren gemeiniglich prætendiren groſſe Philoſophi zu ſeyn. Was koͤn-
te aber einem wohl laͤcherlicher in die Augen fallen als ein Philoſophus, der die
gantze Zeit von der Kunſt, die Affecten zu bemeiſtern, zu zaͤumen und zu zwin-
gen, Lehren und Regeln giebet, und gleichwohl ſich ſelber, durch den gering-

ſten
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0082" n="38"/><hi rendition="#aq">riorum, Pith&#x0153;i, Aerodii, Schelii</hi> und <hi rendition="#aq">Schultingii</hi> Anmerckungen heraus ge-<lb/>
geben worden. Nach die&#x017F;em hat <hi rendition="#aq">Ulricus Obrechtus Anno</hi> 1698. davon eine<lb/>
gar <hi rendition="#aq">accurate Edition</hi> an das Licht ge&#x017F;tellet. Gleichwohl &#x017F;olle die&#x017F;es alles jetzo<lb/>
nichts hei&#x017F;&#x017F;en, nichts bedeuten, nichts gelten, &#x017F;ondern man zancket &#x017F;ich aufs<lb/>
neue u&#x0364;ber den wahren Ver&#x017F;tand, u&#x0364;ber den Sinn, u&#x0364;ber die Meynung, und u&#x0364;ber<lb/>
die Gedancken des <hi rendition="#aq">Quintiliani,</hi> und zwar mit &#x017F;olcher Hefftigkeit, als wann<lb/>
das Heyl von gantz <hi rendition="#aq">Europa</hi> darauf beruhete. Auf die&#x017F;e hochgelahrten Herren<lb/>
nun &#x017F;chicket &#x017F;ich nicht unrecht eine <hi rendition="#aq">Pa&#x017F;&#x017F;age</hi> aus <hi rendition="#aq">Trajani Bocalini Relation ex<lb/>
Parna&#x017F;&#x017F;o cap.</hi> 21. welche al&#x017F;o lautet:</p><lb/>
        <p> <hi rendition="#fr">Ge&#x017F;tern um zwey Uhr i&#x017F;t allhier, in derer</hi> <hi rendition="#aq">Grammati&#x017F;t</hi> <hi rendition="#fr">en Quartier, un-<lb/>
ver&#x017F;ehens</hi> <hi rendition="#aq">Allarm</hi> <hi rendition="#fr">ge&#x017F;chlagen worden. Als die Gelehrten mei&#x017F;tentheils zu-<lb/>
gelauffen, fanden &#x017F;ie, daß die Schulmei&#x017F;ter, Epi&#x017F;tel- und Comment-<lb/>
&#x017F;chreiber derma&#x017F;&#x017F;en hart an einander gewach&#x017F;en waren, daß &#x017F;ie &#x017F;chwehr-<lb/>
lich aus einander zu &#x017F;etzen gewe&#x017F;en. Der Streit hat &#x017F;ich allein daher er-<lb/>
hoben, weil &#x017F;ie &#x017F;ich nicht vergleichen ko&#x0364;nnen, ob das Wo&#x0364;rtlein</hi> <hi rendition="#aq">Con&#x017F;umptum</hi><lb/> <hi rendition="#fr">mit oder ohne</hi> <hi rendition="#aq">p.</hi> <hi rendition="#fr">zu &#x017F;chreiben? Uber die&#x017F;e Unruhe ward Ihro Maje&#x017F;ta&#x0364;t,<lb/>
der</hi> <hi rendition="#aq">Apollo,</hi> <hi rendition="#fr">&#x017F;ehr zornig, nicht allein, da die Ur&#x017F;ache die&#x017F;es Schul-Krieges<lb/>
gar geringe, &#x017F;ondern auch weil</hi> <hi rendition="#aq">Paulus Manutius,</hi> <hi rendition="#fr">welcher die&#x017F;er Unruhe<lb/>
Urheber gewe&#x017F;en &#x017F;eyn &#x017F;olle,</hi> <hi rendition="#aq">Dion. Lambinum,</hi> <hi rendition="#fr">der ihm zum Wiederpart ge-<lb/>
&#x017F;tanden, mit einem Stein von Rom, darinnen be&#x017F;agtes Wort mit<lb/>
dem</hi> <hi rendition="#aq">p.</hi> <hi rendition="#fr">ge&#x017F;chrieben ge&#x017F;tanden, &#x017F;ehr be&#x017F;cha&#x0364;diget, und die Na&#x017F;e gantz zer-<lb/>
knir&#x017F;chet hatte. Weil nun</hi> <hi rendition="#aq">Apollo</hi> <hi rendition="#fr">die&#x017F;em Ge&#x017F;indel, wegen &#x017F;einer Grob-<lb/>
heit und Unge&#x017F;chicklichkeit, ohne diß nicht wohl geneigt, befahlen Ih-<lb/>
ro Maje&#x017F;ta&#x0364;t dem Stadt-Voigt &#x017F;ie allerdings aus denen Herr&#x017F;chafften<lb/>
des</hi> <hi rendition="#aq">Parna&#x017F;&#x017F;i</hi> <hi rendition="#fr">zu verwei&#x017F;en. Nachdem aber</hi> <hi rendition="#aq">Cicero, Quintilianus,</hi> <hi rendition="#fr">und an-<lb/>
dere vornehme Gelehrte, vor &#x017F;ie auf das untertha&#x0364;nig&#x017F;te</hi> <hi rendition="#aq">intercedi</hi> <hi rendition="#fr">ret,<lb/>
und anbey vorge&#x017F;tellet, es &#x017F;eye die&#x017F;es heyllo&#x017F;e Ge&#x017F;indel nicht fa&#x0364;hig ho&#x0364;-<lb/>
here Sachen zu begreiffen, und mu&#x0364;&#x017F;ten &#x017F;ich al&#x017F;o bißweilen um derglei-<lb/>
chen</hi> <hi rendition="#aq">Bagatelle</hi> <hi rendition="#fr">zancken, &#x017F;eynd &#x017F;ie endlich erbeten, und in ihrem Stande<lb/>
gela&#x017F;&#x017F;en worden; jedoch mit der</hi> <hi rendition="#aq">expre&#x017F;&#x017F;</hi> <hi rendition="#fr">en Bedingung, daß &#x017F;ie nicht<lb/>
kluge, &#x017F;ondern na&#x0364;rri&#x017F;che Gelehrte fu&#x0364;hrohin hei&#x017F;&#x017F;en &#x017F;olten.</hi> </p><lb/>
        <p>Gantz ent&#x017F;etzlich i&#x017F;t die&#x017F;es, daß dergleichen Sta&#x0364;ncker, Za&#x0364;ncker und ge-<lb/>
lehrte Narren gemeiniglich <hi rendition="#aq">prætendi</hi>ren gro&#x017F;&#x017F;e <hi rendition="#aq">Philo&#x017F;ophi</hi> zu &#x017F;eyn. Was ko&#x0364;n-<lb/>
te aber einem wohl la&#x0364;cherlicher in die Augen fallen als ein <hi rendition="#aq">Philo&#x017F;ophus,</hi> der die<lb/>
gantze Zeit von der Kun&#x017F;t, die <hi rendition="#aq">Affect</hi>en zu bemei&#x017F;tern, zu za&#x0364;umen und zu zwin-<lb/>
gen, Lehren und Regeln giebet, und gleichwohl &#x017F;ich &#x017F;elber, durch den gering-<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">&#x017F;ten</fw><lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[38/0082] riorum, Pithœi, Aerodii, Schelii und Schultingii Anmerckungen heraus ge- geben worden. Nach dieſem hat Ulricus Obrechtus Anno 1698. davon eine gar accurate Edition an das Licht geſtellet. Gleichwohl ſolle dieſes alles jetzo nichts heiſſen, nichts bedeuten, nichts gelten, ſondern man zancket ſich aufs neue uͤber den wahren Verſtand, uͤber den Sinn, uͤber die Meynung, und uͤber die Gedancken des Quintiliani, und zwar mit ſolcher Hefftigkeit, als wann das Heyl von gantz Europa darauf beruhete. Auf dieſe hochgelahrten Herren nun ſchicket ſich nicht unrecht eine Paſſage aus Trajani Bocalini Relation ex Parnaſſo cap. 21. welche alſo lautet: Geſtern um zwey Uhr iſt allhier, in derer Grammatiſten Quartier, un- verſehens Allarm geſchlagen worden. Als die Gelehrten meiſtentheils zu- gelauffen, fanden ſie, daß die Schulmeiſter, Epiſtel- und Comment- ſchreiber dermaſſen hart an einander gewachſen waren, daß ſie ſchwehr- lich aus einander zu ſetzen geweſen. Der Streit hat ſich allein daher er- hoben, weil ſie ſich nicht vergleichen koͤnnen, ob das Woͤrtlein Conſumptum mit oder ohne p. zu ſchreiben? Uber dieſe Unruhe ward Ihro Majeſtaͤt, der Apollo, ſehr zornig, nicht allein, da die Urſache dieſes Schul-Krieges gar geringe, ſondern auch weil Paulus Manutius, welcher dieſer Unruhe Urheber geweſen ſeyn ſolle, Dion. Lambinum, der ihm zum Wiederpart ge- ſtanden, mit einem Stein von Rom, darinnen beſagtes Wort mit dem p. geſchrieben geſtanden, ſehr beſchaͤdiget, und die Naſe gantz zer- knirſchet hatte. Weil nun Apollo dieſem Geſindel, wegen ſeiner Grob- heit und Ungeſchicklichkeit, ohne diß nicht wohl geneigt, befahlen Ih- ro Majeſtaͤt dem Stadt-Voigt ſie allerdings aus denen Herrſchafften des Parnaſſi zu verweiſen. Nachdem aber Cicero, Quintilianus, und an- dere vornehme Gelehrte, vor ſie auf das unterthaͤnigſte intercediret, und anbey vorgeſtellet, es ſeye dieſes heylloſe Geſindel nicht faͤhig hoͤ- here Sachen zu begreiffen, und muͤſten ſich alſo bißweilen um derglei- chen Bagatelle zancken, ſeynd ſie endlich erbeten, und in ihrem Stande gelaſſen worden; jedoch mit der expreſſen Bedingung, daß ſie nicht kluge, ſondern naͤrriſche Gelehrte fuͤhrohin heiſſen ſolten. Gantz entſetzlich iſt dieſes, daß dergleichen Staͤncker, Zaͤncker und ge- lehrte Narren gemeiniglich prætendiren groſſe Philoſophi zu ſeyn. Was koͤn- te aber einem wohl laͤcherlicher in die Augen fallen als ein Philoſophus, der die gantze Zeit von der Kunſt, die Affecten zu bemeiſtern, zu zaͤumen und zu zwin- gen, Lehren und Regeln giebet, und gleichwohl ſich ſelber, durch den gering- ſten

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/fassmann_narr_1729
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/fassmann_narr_1729/82
Zitationshilfe: Fassmann, David: Der Gelehrte Narr. Freiburg, 1729, S. 38. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/fassmann_narr_1729/82>, abgerufen am 21.11.2024.