Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Fassmann, David: Der Gelehrte Narr. Freiburg, 1729.

Bild:
<< vorherige Seite

Vorrede.
"set, es gebe in der Welt nicht seines gleiche, daher auch alles vor kost-
"bar ja unschätzbar achtet, was er redet, thut oder schreibet. Item:

"Denjenigen, der aus einem gelehrten Stoltz, und aus Hoffart,
"nichts anders vorbringet, als lauter Sententien und solche Dinge,
"die von andern Autoribus schon vorlängst gesaget und geschrieben
"worden. Ferner:

"Denjenigen, der sich, um seiner Academischen Titel willen, stoltz
"und hoffärtig, ja gantz und gar unerträglich anstellet; da man doch
"weiß, daß er eintzig und allein seine Blöße damit bedecket, in der
"Haut aber anders nichts als ein purer Ignorant ist. Desgleichen:

"Denjenigen, welcher denen absurden Meynungen derer alten
"Philosophorum, Stoicorum und Scholasticorum mit der äussersten
"Hartnäckigkeit anhanget, und nicht ein Haar breit davon abwei-
"chen will, ob gleich andere, zu unseren Zeiten lebende, wackere Män-
"ner, ja die gesunde Vernunfft selber, und die tägliche Erfahrung
"das Contrarium lehren. Nichtweniger:

"Denjenigen, der über Dinge, die uns nirgendswo dentlich of-
"fenbaret sind, die niemand jemals mit Augen gesehen, niemals
"mit Ohren gehöret, niemals mit Händen begriffen, niemals mit
"der Nase berochen, niemals mit der Zunge belecket oder gekostet,
"die folglich unmöglich so zu demonstriren, daß sie der Mensch mit
"seinen Sinnen, als etwas unfehlbares und vollkommen gewisses
"begreiffen mag, ebenfalls mit der grösten Hartnäckigkeit disputi-
"ret, und sie als etwas ausgemachtes behaupten will, auch Bü-
"cher, ja wohl einen und noch mehr Folianten davon schreibet.
"Weiter:

"Denjenigen, welcher zu wissen praetendiret, was die vor vielen
"hundert, ja ein, zwey biß drey tausend Jahren verstorbene Gelehr-
"te gedacht haben, wann sie sich gleich nirgendswo über ihre Ge-
"dancken recht deutlich expliciret; und dann endlich:

"Denjenigen, der ein verdecktes Essen und eine Pastete von Pos-
"sibili
täten hinter der andern auf den Tisch fetzet; niemals aber
"etwas reelles vorbringet, das zur wircklichen Nahrung und Spei-
"se, d. i. zu einem wahren Nutzen dienen könte."

Von

Vorrede.
„ſet, es gebe in der Welt nicht ſeines gleiche, daher auch alles vor koſt-
„bar ja unſchaͤtzbar achtet, was er redet, thut oder ſchreibet. Item:

„Denjenigen, der aus einem gelehrten Stoltz, und aus Hoffart,
„nichts anders vorbringet, als lauter Sententien und ſolche Dinge,
„die von andern Autoribus ſchon vorlaͤngſt geſaget und geſchrieben
„worden. Ferner:

„Denjenigen, der ſich, um ſeiner Academiſchen Titel willen, ſtoltz
„und hoffaͤrtig, ja gantz und gar unertraͤglich anſtellet; da man doch
„weiß, daß er eintzig und allein ſeine Bloͤße damit bedecket, in der
„Haut aber anders nichts als ein purer Ignorant iſt. Desgleichen:

„Denjenigen, welcher denen abſurden Meynungen derer alten
Philoſophorum, Stoicorum und Scholaſticorum mit der aͤuſſerſten
„Hartnaͤckigkeit anhanget, und nicht ein Haar breit davon abwei-
„chen will, ob gleich andere, zu unſeren Zeiten lebende, wackere Maͤn-
„ner, ja die geſunde Vernunfft ſelber, und die taͤgliche Erfahrung
„das Contrarium lehren. Nichtweniger:

„Denjenigen, der uͤber Dinge, die uns nirgendswo dentlich of-
„fenbaret ſind, die niemand jemals mit Augen geſehen, niemals
„mit Ohren gehoͤret, niemals mit Haͤnden begriffen, niemals mit
„der Naſe berochen, niemals mit der Zunge belecket oder gekoſtet,
„die folglich unmoͤglich ſo zu demonſtriren, daß ſie der Menſch mit
„ſeinen Sinnen, als etwas unfehlbares und vollkommen gewiſſes
„begreiffen mag, ebenfalls mit der groͤſten Hartnaͤckigkeit diſputi-
„ret, und ſie als etwas ausgemachtes behaupten will, auch Buͤ-
„cher, ja wohl einen und noch mehr Folianten davon ſchreibet.
„Weiter:

„Denjenigen, welcher zu wiſſen prætendiret, was die vor vielen
„hundert, ja ein, zwey biß drey tauſend Jahren verſtorbene Gelehr-
„te gedacht haben, wann ſie ſich gleich nirgendswo uͤber ihre Ge-
„dancken recht deutlich expliciret; und dann endlich:

„Denjenigen, der ein verdecktes Eſſen und eine Paſtete von Poſ-
„ſibili
taͤten hinter der andern auf den Tiſch fetzet; niemals aber
„etwas reelles vorbringet, das zur wircklichen Nahrung und Spei-
„ſe, d. i. zu einem wahren Nutzen dienen koͤnte.„

Von
<TEI>
  <text>
    <front>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0043"/><fw place="top" type="header">Vorrede.</fw><lb/>
&#x201E;&#x017F;et, es gebe in der Welt nicht &#x017F;eines gleiche, daher auch alles vor ko&#x017F;t-<lb/>
&#x201E;bar ja un&#x017F;cha&#x0364;tzbar achtet, was er redet, thut oder &#x017F;chreibet. Item:</p><lb/>
        <p>&#x201E;Denjenigen, der aus einem gelehrten Stoltz, und aus Hoffart,<lb/>
&#x201E;nichts anders vorbringet, als lauter <hi rendition="#aq">Sententi</hi>en und &#x017F;olche Dinge,<lb/>
&#x201E;die von andern <hi rendition="#aq">Autoribus</hi> &#x017F;chon vorla&#x0364;ng&#x017F;t ge&#x017F;aget und ge&#x017F;chrieben<lb/>
&#x201E;worden. Ferner:</p><lb/>
        <p>&#x201E;Denjenigen, der &#x017F;ich, um &#x017F;einer <hi rendition="#aq">Academi</hi>&#x017F;chen Titel willen, &#x017F;toltz<lb/>
&#x201E;und hoffa&#x0364;rtig, ja gantz und gar unertra&#x0364;glich an&#x017F;tellet; da man doch<lb/>
&#x201E;weiß, daß er eintzig und allein &#x017F;eine Blo&#x0364;ße damit bedecket, in der<lb/>
&#x201E;Haut aber anders nichts als ein purer <hi rendition="#aq">Ignorant</hi> i&#x017F;t. Desgleichen:</p><lb/>
        <p>&#x201E;Denjenigen, welcher denen <hi rendition="#aq">ab&#x017F;urd</hi>en Meynungen derer alten<lb/>
&#x201E;<hi rendition="#aq">Philo&#x017F;ophorum, Stoicorum</hi> und <hi rendition="#aq">Schola&#x017F;ticorum</hi> mit der a&#x0364;u&#x017F;&#x017F;er&#x017F;ten<lb/>
&#x201E;Hartna&#x0364;ckigkeit anhanget, und nicht ein Haar breit davon abwei-<lb/>
&#x201E;chen will, ob gleich andere, zu un&#x017F;eren Zeiten lebende, wackere Ma&#x0364;n-<lb/>
&#x201E;ner, ja die ge&#x017F;unde Vernunfft &#x017F;elber, und die ta&#x0364;gliche Erfahrung<lb/>
&#x201E;das <hi rendition="#aq">Contrarium</hi> lehren. Nichtweniger:</p><lb/>
        <p>&#x201E;Denjenigen, der u&#x0364;ber Dinge, die uns nirgendswo dentlich of-<lb/>
&#x201E;fenbaret &#x017F;ind, die niemand jemals mit Augen ge&#x017F;ehen, niemals<lb/>
&#x201E;mit Ohren geho&#x0364;ret, niemals mit Ha&#x0364;nden begriffen, niemals mit<lb/>
&#x201E;der Na&#x017F;e berochen, niemals mit der Zunge belecket oder geko&#x017F;tet,<lb/>
&#x201E;die folglich unmo&#x0364;glich &#x017F;o zu <hi rendition="#aq">demon&#x017F;tri</hi>ren, daß &#x017F;ie der Men&#x017F;ch mit<lb/>
&#x201E;&#x017F;einen Sinnen, als etwas unfehlbares und vollkommen gewi&#x017F;&#x017F;es<lb/>
&#x201E;begreiffen mag, ebenfalls mit der gro&#x0364;&#x017F;ten Hartna&#x0364;ckigkeit <hi rendition="#aq">di&#x017F;puti-</hi><lb/>
&#x201E;ret, und &#x017F;ie als etwas ausgemachtes behaupten will, auch Bu&#x0364;-<lb/>
&#x201E;cher, ja wohl einen und noch mehr <hi rendition="#aq">Foliant</hi>en davon &#x017F;chreibet.<lb/>
&#x201E;Weiter:</p><lb/>
        <p>&#x201E;Denjenigen, welcher zu wi&#x017F;&#x017F;en <hi rendition="#aq">prætendi</hi>ret, was die vor vielen<lb/>
&#x201E;hundert, ja ein, zwey biß drey tau&#x017F;end Jahren ver&#x017F;torbene Gelehr-<lb/>
&#x201E;te gedacht haben, wann &#x017F;ie &#x017F;ich gleich nirgendswo u&#x0364;ber ihre Ge-<lb/>
&#x201E;dancken recht deutlich <hi rendition="#aq">explici</hi>ret; und dann endlich:</p><lb/>
        <p>&#x201E;Denjenigen, der ein verdecktes E&#x017F;&#x017F;en und eine Pa&#x017F;tete von <hi rendition="#aq">Po&#x017F;-<lb/>
&#x201E;&#x017F;ibili</hi>ta&#x0364;ten hinter der andern auf den Ti&#x017F;ch fetzet; niemals aber<lb/>
&#x201E;etwas <hi rendition="#aq">reell</hi>es vorbringet, das zur wircklichen Nahrung und Spei-<lb/>
&#x201E;&#x017F;e, d. i. zu einem wahren Nutzen dienen ko&#x0364;nte.&#x201E;</p><lb/>
        <fw place="bottom" type="catch">Von</fw><lb/>
      </div>
    </front>
  </text>
</TEI>
[0043] Vorrede. „ſet, es gebe in der Welt nicht ſeines gleiche, daher auch alles vor koſt- „bar ja unſchaͤtzbar achtet, was er redet, thut oder ſchreibet. Item: „Denjenigen, der aus einem gelehrten Stoltz, und aus Hoffart, „nichts anders vorbringet, als lauter Sententien und ſolche Dinge, „die von andern Autoribus ſchon vorlaͤngſt geſaget und geſchrieben „worden. Ferner: „Denjenigen, der ſich, um ſeiner Academiſchen Titel willen, ſtoltz „und hoffaͤrtig, ja gantz und gar unertraͤglich anſtellet; da man doch „weiß, daß er eintzig und allein ſeine Bloͤße damit bedecket, in der „Haut aber anders nichts als ein purer Ignorant iſt. Desgleichen: „Denjenigen, welcher denen abſurden Meynungen derer alten „Philoſophorum, Stoicorum und Scholaſticorum mit der aͤuſſerſten „Hartnaͤckigkeit anhanget, und nicht ein Haar breit davon abwei- „chen will, ob gleich andere, zu unſeren Zeiten lebende, wackere Maͤn- „ner, ja die geſunde Vernunfft ſelber, und die taͤgliche Erfahrung „das Contrarium lehren. Nichtweniger: „Denjenigen, der uͤber Dinge, die uns nirgendswo dentlich of- „fenbaret ſind, die niemand jemals mit Augen geſehen, niemals „mit Ohren gehoͤret, niemals mit Haͤnden begriffen, niemals mit „der Naſe berochen, niemals mit der Zunge belecket oder gekoſtet, „die folglich unmoͤglich ſo zu demonſtriren, daß ſie der Menſch mit „ſeinen Sinnen, als etwas unfehlbares und vollkommen gewiſſes „begreiffen mag, ebenfalls mit der groͤſten Hartnaͤckigkeit diſputi- „ret, und ſie als etwas ausgemachtes behaupten will, auch Buͤ- „cher, ja wohl einen und noch mehr Folianten davon ſchreibet. „Weiter: „Denjenigen, welcher zu wiſſen prætendiret, was die vor vielen „hundert, ja ein, zwey biß drey tauſend Jahren verſtorbene Gelehr- „te gedacht haben, wann ſie ſich gleich nirgendswo uͤber ihre Ge- „dancken recht deutlich expliciret; und dann endlich: „Denjenigen, der ein verdecktes Eſſen und eine Paſtete von Poſ- „ſibilitaͤten hinter der andern auf den Tiſch fetzet; niemals aber „etwas reelles vorbringet, das zur wircklichen Nahrung und Spei- „ſe, d. i. zu einem wahren Nutzen dienen koͤnte.„ Von

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/fassmann_narr_1729
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/fassmann_narr_1729/43
Zitationshilfe: Fassmann, David: Der Gelehrte Narr. Freiburg, 1729, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/fassmann_narr_1729/43>, abgerufen am 24.11.2024.