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Fassmann, David: Der Gelehrte Narr. Freiburg, 1729.

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kommen, daher, weil das Blut eines Menschen von dreyßig Jahren
hitziger seye, als anderer Leute.

Wer solte wohl meynen, daß dergleichen Leute noch heutiges Tages in
dem galanten Franckreich zu finden, welche glauben, daß nichts ausser ihnen,
wircklich oder reell seye. Denn in denen Memoires de Trevoux wird erzehlet,
daß zu Paris der Urheber einer neuen Secte lebe, den des Malebranches Me-
taphysica
so überklug gemachet, daß er nunmehro behaupten will, er allein
seye in der That wahrhafftig verhanden, alle übrige Menschen aber,
und Creaturen wären nichts als seine eigene Einfälle und Träume.

Gleichwohl hat er Anhänger bekommen, die sich Egoisten, von Ego, Ich
nennen, und deren jedweder glaubet, daß er gantz allein in der Welt seye? daß
übrige aber alles in seiner blossen Einbildung und Gedancken bestehe.

Andere, und absonderlich die Cartesianer, machen das Vieh zu unem-
pfindlichen Machinen, oder geben es vor zwey und vierbeinichte Uhrwercke
aus. Deswegen ist einstmals ein solcher absurder Gelehrter, von einem rafi-
nir
ten Frauenzimmer überaus beschämt worden; allermassen sie einen Brief
an ihn geschrieben, dieses Innhalts: Sie hätte vernommen, daß er ein
Carthesianer worden wäre. Nun würde er auch ohne Zweiffel
die unvernünfftigen Thiere bloß vor gekünstelte Machinen und In-
strumente
halten, die keine Fühlung und Empfindung hätten,
sondern wie ein Uhrwerck durch sich selbst getrieben und beweget
würden. Die Sache aber wohl zu untersuchen, möchte er einmal
ein Paar dergleichen künstliche Machinen z. E. einen Hund und eine
Hündin zusammen stecken, und eine Zeitlang bey einander lassen.
Was gilts es würden diese beyden Machinen und Uhrwercke sich ver-
mehren, und das dritte, vierdte und fünffte Uhrwerck an das
Tage-Licht bringen. Hieraus könte man abnehmen, ob die un-
vernünfftigen Thiere schlechterdings Uhrwercke, und andere der-
gleichen künstliche Machinen wären, oder ob sie nicht vielmehr, in
diesem Stücke, denen Menschen gleich kämen.

Wie-

kommen, daher, weil das Blut eines Menſchen von dreyßig Jahren
hitziger ſeye, als anderer Leute.

Wer ſolte wohl meynen, daß dergleichen Leute noch heutiges Tages in
dem galanten Franckreich zu finden, welche glauben, daß nichts auſſer ihnen,
wircklich oder reell ſeye. Denn in denen Memoires de Trevoux wird erzehlet,
daß zu Paris der Urheber einer neuen Secte lebe, den des Malebranches Me-
taphyſica
ſo uͤberklug gemachet, daß er nunmehro behaupten will, er allein
ſeye in der That wahrhafftig verhanden, alle uͤbrige Menſchen aber,
und Creaturen waͤren nichts als ſeine eigene Einfaͤlle und Traͤume.

Gleichwohl hat er Anhaͤnger bekommen, die ſich Egoiſten, von Ego, Ich
nennen, und deren jedweder glaubet, daß er gantz allein in der Welt ſeye? daß
uͤbrige aber alles in ſeiner bloſſen Einbildung und Gedancken beſtehe.

Andere, und abſonderlich die Carteſianer, machen das Vieh zu unem-
pfindlichen Machinen, oder geben es vor zwey und vierbeinichte Uhrwercke
aus. Deswegen iſt einſtmals ein ſolcher abſurder Gelehrter, von einem rafi-
nir
ten Frauenzimmer uͤberaus beſchaͤmt worden; allermaſſen ſie einen Brief
an ihn geſchrieben, dieſes Innhalts: Sie haͤtte vernommen, daß er ein
Cartheſianer worden waͤre. Nun wuͤrde er auch ohne Zweiffel
die unvernuͤnfftigen Thiere bloß vor gekuͤnſtelte Machinen und In-
ſtrumente
halten, die keine Fuͤhlung und Empfindung haͤtten,
ſondern wie ein Uhrwerck durch ſich ſelbſt getrieben und beweget
wuͤrden. Die Sache aber wohl zu unterſuchen, moͤchte er einmal
ein Paar dergleichen kuͤnſtliche Machinen z. E. einen Hund und eine
Huͤndin zuſammen ſtecken, und eine Zeitlang bey einander laſſen.
Was gilts es wuͤrden dieſe beyden Machinen und Uhrwercke ſich ver-
mehren, und das dritte, vierdte und fuͤnffte Uhrwerck an das
Tage-Licht bringen. Hieraus koͤnte man abnehmen, ob die un-
vernuͤnfftigen Thiere ſchlechterdings Uhrwercke, und andere der-
gleichen kuͤnſtliche Machinen waͤren, oder ob ſie nicht vielmehr, in
dieſem Stuͤcke, denen Menſchen gleich kaͤmen.

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[216/0260] kommen, daher, weil das Blut eines Menſchen von dreyßig Jahren hitziger ſeye, als anderer Leute. Wer ſolte wohl meynen, daß dergleichen Leute noch heutiges Tages in dem galanten Franckreich zu finden, welche glauben, daß nichts auſſer ihnen, wircklich oder reell ſeye. Denn in denen Memoires de Trevoux wird erzehlet, daß zu Paris der Urheber einer neuen Secte lebe, den des Malebranches Me- taphyſica ſo uͤberklug gemachet, daß er nunmehro behaupten will, er allein ſeye in der That wahrhafftig verhanden, alle uͤbrige Menſchen aber, und Creaturen waͤren nichts als ſeine eigene Einfaͤlle und Traͤume. Gleichwohl hat er Anhaͤnger bekommen, die ſich Egoiſten, von Ego, Ich nennen, und deren jedweder glaubet, daß er gantz allein in der Welt ſeye? daß uͤbrige aber alles in ſeiner bloſſen Einbildung und Gedancken beſtehe. Andere, und abſonderlich die Carteſianer, machen das Vieh zu unem- pfindlichen Machinen, oder geben es vor zwey und vierbeinichte Uhrwercke aus. Deswegen iſt einſtmals ein ſolcher abſurder Gelehrter, von einem rafi- nirten Frauenzimmer uͤberaus beſchaͤmt worden; allermaſſen ſie einen Brief an ihn geſchrieben, dieſes Innhalts: Sie haͤtte vernommen, daß er ein Cartheſianer worden waͤre. Nun wuͤrde er auch ohne Zweiffel die unvernuͤnfftigen Thiere bloß vor gekuͤnſtelte Machinen und In- ſtrumente halten, die keine Fuͤhlung und Empfindung haͤtten, ſondern wie ein Uhrwerck durch ſich ſelbſt getrieben und beweget wuͤrden. Die Sache aber wohl zu unterſuchen, moͤchte er einmal ein Paar dergleichen kuͤnſtliche Machinen z. E. einen Hund und eine Huͤndin zuſammen ſtecken, und eine Zeitlang bey einander laſſen. Was gilts es wuͤrden dieſe beyden Machinen und Uhrwercke ſich ver- mehren, und das dritte, vierdte und fuͤnffte Uhrwerck an das Tage-Licht bringen. Hieraus koͤnte man abnehmen, ob die un- vernuͤnfftigen Thiere ſchlechterdings Uhrwercke, und andere der- gleichen kuͤnſtliche Machinen waͤren, oder ob ſie nicht vielmehr, in dieſem Stuͤcke, denen Menſchen gleich kaͤmen. Wie-

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Zitationshilfe: Fassmann, David: Der Gelehrte Narr. Freiburg, 1729, S. 216. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/fassmann_narr_1729/260>, abgerufen am 24.11.2024.