Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Fassmann, David: Der Gelehrte Narr. Freiburg, 1729.

Bild:
<< vorherige Seite

ceratos limites judicandi verlassen und extra principia certa & recepta herum
vagiren, sie gantz unvermerckt in das Labyrinth des schädlichen Irrthums ver-
fallen. Aus dem verderbten Zustande nun entstehen nachgehends die Judicia
insana, febriculosa, & ab omni ratione aliena
die tumme einfältige und alber-
ne Raisonier-Kunst, aus welchen ungereimten und ungegründeten Judiciis
hernach die einfältigen Praejudicia zu entspringen pflegen. Hingegen aus dem
gebesserten Zustande kommen hervor die Judicia sana, accurata, & bona volun-
tatis humanae decreta,
weil man alsdann nicht nach seinem wunderlichen Ge-
nie
und tollen Caprice, sondern nach der Sachen Beschaffenheit ohne eintzi-
ges Interesse, positis & demonstratis probandi principiis taisoniret. Es ist ge-
wiß daß den Wachsthum und das Aufnehmen aller nützlichen Künste und
Wissenschafften nichtsmehr als das unglückliche und ungereimte Raisoniren
verderbet, und glaube ich gäntzlich, daß ein jedweder vernünfftiger Mann
hierinnen mit mir eines Sinnes seyn wird, wie dem Wachsthum derer Disci-
plinen
nichts mehr als die geschickten und unpassionirten Judicia aufgeholffen,
und im grösten Flor erhalten haben. Denn die Menschen sind nach ihrem
verderbten Appetit, gemeiniglich so geartet, daß sie jederzeit dasjenige zu billi-
gen pflegen, was von dem meisten Hauffen, zumal wann der Raisonneur prae-
sumtive Dignitatem
und Merita vor sich hat, daß ist, wann er entweder ein Do-
ctor Excellentissimus, Magister praestantissmus,
und Pastor vigilantissimus heis-
set, gebilliget worden ist, weil sich solche elende Leute insgemein einbilden,
wann sie grosser und vornehmer Gelehrten Judicia annähmen und billigten,
sie alsdann, als junge Raths-Herren in sententionando & dicendo nicht ir-
ren könten. Allein wie miserable solche Consiliarii und vermeynte Oracula
denen jungen Leuten rathen, solches zeiget der Ausgang leider! öffters mehr als
zu klar, weil sie, wann dieselben die Hand an etwas schlagen und sich als Män-
ner zeigen sollen, nichts als lauter leere Ideen im Kopffe haben, die sich weder
hinten noch vorne zu der vor Augen liegenden Sache reimen wollen.

Mancher Studiosus Juris, wann er im Anfange seiner Studiorum Juridico-
rum
mit vielen Desinitionibus, distinctionibus, causis und tabulis, ja auswendig
lernen derer legum Civilium geplaget worden ist, wird desperat, und den-
cket in seinem Hertzen: Ey der Hencker mag das gantze Studium Juridicum
holen, ehe ich mir den Kopff, und die Memoria mit so vielem unnützen
Zeuge zerbrechen und zermartern lassen solte
, auf der andern Seite aber,
wann solche Leute das Examen Conscientiae nicht recht angestellet, und ihren Sta-

tum

ceratos limites judicandi verlaſſen und extra principia certa & recepta herum
vagiren, ſie gantz unvermerckt in das Labyrinth des ſchaͤdlichen Irrthums ver-
fallen. Aus dem verderbten Zuſtande nun entſtehen nachgehends die Judicia
inſana, febriculoſa, & ab omni ratione aliena
die tumme einfaͤltige und alber-
ne Raiſonier-Kunſt, aus welchen ungereimten und ungegruͤndeten Judiciis
hernach die einfaͤltigen Præjudicia zu entſpringen pflegen. Hingegen aus dem
gebeſſerten Zuſtande kommen hervor die Judicia ſana, accurata, & bona volun-
tatis humanæ decreta,
weil man alsdann nicht nach ſeinem wunderlichen Ge-
nie
und tollen Caprice, ſondern nach der Sachen Beſchaffenheit ohne eintzi-
ges Intereſſe, poſitis & demonſtratis probandi principiis taiſoniret. Es iſt ge-
wiß daß den Wachsthum und das Aufnehmen aller nuͤtzlichen Kuͤnſte und
Wiſſenſchafften nichtsmehr als das ungluͤckliche und ungereimte Raiſoniren
verderbet, und glaube ich gaͤntzlich, daß ein jedweder vernuͤnfftiger Mann
hierinnen mit mir eines Sinnes ſeyn wird, wie dem Wachsthum derer Diſci-
plinen
nichts mehr als die geſchickten und unpaſſionirten Judicia aufgeholffen,
und im groͤſten Flor erhalten haben. Denn die Menſchen ſind nach ihrem
verderbten Appetit, gemeiniglich ſo geartet, daß ſie jederzeit dasjenige zu billi-
gen pflegen, was von dem meiſten Hauffen, zumal wann der Raiſonneur præ-
ſumtive Dignitatem
und Merita vor ſich hat, daß iſt, wann er entweder ein Do-
ctor Excellentiſſimus, Magiſter præſtantiſſmus,
und Paſtor vigilantiſſimus heiſ-
ſet, gebilliget worden iſt, weil ſich ſolche elende Leute insgemein einbilden,
wann ſie groſſer und vornehmer Gelehrten Judicia annaͤhmen und billigten,
ſie alsdann, als junge Raths-Herren in ſententionando & dicendo nicht ir-
ren koͤnten. Allein wie miſerable ſolche Conſiliarii und vermeynte Oracula
denen jungen Leuten rathen, ſolches zeiget der Ausgang leider! oͤffters mehr als
zu klar, weil ſie, wann dieſelben die Hand an etwas ſchlagen und ſich als Maͤn-
ner zeigen ſollen, nichts als lauter leere Idéen im Kopffe haben, die ſich weder
hinten noch vorne zu der vor Augen liegenden Sache reimen wollen.

Mancher Studioſus Juris, wann er im Anfange ſeiner Studiorum Juridico-
rum
mit vielen Deſinitionibus, diſtinctionibus, cauſis und tabulis, ja auswendig
lernen derer legum Civilium geplaget worden iſt, wird deſperat, und den-
cket in ſeinem Hertzen: Ey der Hencker mag das gantze Studium Juridicum
holen, ehe ich mir den Kopff, und die Memoria mit ſo vielem unnuͤtzen
Zeuge zerbrechen und zermartern laſſen ſolte
, auf der andern Seite aber,
wann ſolche Leute das Examen Conſcientiæ nicht recht angeſtellet, und ihren Sta-

tum
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0218" n="174"/><hi rendition="#aq">ceratos limites judicandi</hi> verla&#x017F;&#x017F;en und <hi rendition="#aq">extra principia certa &amp; recepta</hi> herum<lb/><hi rendition="#aq">vagir</hi>en, &#x017F;ie gantz unvermerckt in das <hi rendition="#aq">Labyrinth</hi> des &#x017F;cha&#x0364;dlichen Irrthums ver-<lb/>
fallen. Aus dem verderbten Zu&#x017F;tande nun ent&#x017F;tehen nachgehends die <hi rendition="#aq">Judicia<lb/>
in&#x017F;ana, febriculo&#x017F;a, &amp; ab omni ratione aliena</hi> die tumme einfa&#x0364;ltige und alber-<lb/>
ne <hi rendition="#aq">Rai&#x017F;onier-</hi>Kun&#x017F;t, aus welchen ungereimten und ungegru&#x0364;ndeten <hi rendition="#aq">Judiciis</hi><lb/>
hernach die einfa&#x0364;ltigen <hi rendition="#aq">Præjudicia</hi> zu ent&#x017F;pringen pflegen. Hingegen aus dem<lb/>
gebe&#x017F;&#x017F;erten Zu&#x017F;tande kommen hervor die <hi rendition="#aq">Judicia &#x017F;ana, accurata, &amp; bona volun-<lb/>
tatis humanæ decreta,</hi> weil man alsdann nicht nach &#x017F;einem wunderlichen <hi rendition="#aq">Ge-<lb/>
nie</hi> und tollen <hi rendition="#aq">Caprice,</hi> &#x017F;ondern nach der Sachen Be&#x017F;chaffenheit ohne eintzi-<lb/>
ges <hi rendition="#aq">Intere&#x017F;&#x017F;e, po&#x017F;itis &amp; demon&#x017F;tratis probandi principiis tai&#x017F;oni</hi>ret. Es i&#x017F;t ge-<lb/>
wiß daß den Wachsthum und das Aufnehmen aller nu&#x0364;tzlichen Ku&#x0364;n&#x017F;te und<lb/>
Wi&#x017F;&#x017F;en&#x017F;chafften nichtsmehr als das unglu&#x0364;ckliche und ungereimte <hi rendition="#aq">Rai&#x017F;oni</hi>ren<lb/>
verderbet, und glaube ich ga&#x0364;ntzlich, daß ein jedweder vernu&#x0364;nfftiger Mann<lb/>
hierinnen mit mir eines Sinnes &#x017F;eyn wird, wie dem Wachsthum derer <hi rendition="#aq">Di&#x017F;ci-<lb/>
plinen</hi> nichts mehr als die ge&#x017F;chickten und un<hi rendition="#aq">pa&#x017F;&#x017F;ionir</hi>ten <hi rendition="#aq">Judicia</hi> aufgeholffen,<lb/>
und im gro&#x0364;&#x017F;ten Flor erhalten haben. Denn die Men&#x017F;chen &#x017F;ind nach ihrem<lb/>
verderbten <hi rendition="#aq">Appetit,</hi> gemeiniglich &#x017F;o geartet, daß &#x017F;ie jederzeit dasjenige zu billi-<lb/>
gen pflegen, was von dem mei&#x017F;ten Hauffen, zumal wann der <hi rendition="#aq">Rai&#x017F;onneur præ-<lb/>
&#x017F;umtive Dignitatem</hi> und <hi rendition="#aq">Merita</hi> vor &#x017F;ich hat, daß i&#x017F;t, wann er entweder ein <hi rendition="#aq">Do-<lb/>
ctor Excellenti&#x017F;&#x017F;imus, Magi&#x017F;ter præ&#x017F;tanti&#x017F;&#x017F;mus,</hi> und <hi rendition="#aq">Pa&#x017F;tor vigilanti&#x017F;&#x017F;imus</hi> hei&#x017F;-<lb/>
&#x017F;et, gebilliget worden i&#x017F;t, weil &#x017F;ich &#x017F;olche elende Leute insgemein einbilden,<lb/>
wann &#x017F;ie gro&#x017F;&#x017F;er und vornehmer Gelehrten <hi rendition="#aq">Judicia</hi> anna&#x0364;hmen und billigten,<lb/>
&#x017F;ie alsdann, als junge Raths-Herren <hi rendition="#aq">in &#x017F;ententionando &amp; dicendo</hi> nicht ir-<lb/>
ren ko&#x0364;nten. Allein wie <hi rendition="#aq">mi&#x017F;erable</hi> &#x017F;olche <hi rendition="#aq">Con&#x017F;iliarii</hi> und vermeynte <hi rendition="#aq">Oracula</hi><lb/>
denen jungen Leuten rathen, &#x017F;olches zeiget der Ausgang leider! o&#x0364;ffters mehr als<lb/>
zu klar, weil &#x017F;ie, wann die&#x017F;elben die Hand an etwas &#x017F;chlagen und &#x017F;ich als Ma&#x0364;n-<lb/>
ner zeigen &#x017F;ollen, nichts als lauter leere <hi rendition="#aq">Idéen</hi> im Kopffe haben, die &#x017F;ich weder<lb/>
hinten noch vorne zu der vor Augen liegenden Sache reimen wollen.</p><lb/>
        <p>Mancher <hi rendition="#aq">Studio&#x017F;us Juris,</hi> wann er im Anfange &#x017F;einer <hi rendition="#aq">Studiorum Juridico-<lb/>
rum</hi> mit vielen <hi rendition="#aq">De&#x017F;initionibus, di&#x017F;tinctionibus, cau&#x017F;is</hi> und <hi rendition="#aq">tabulis,</hi> ja auswendig<lb/>
lernen derer <hi rendition="#aq">legum Civilium</hi> geplaget worden i&#x017F;t, wird <hi rendition="#aq">de&#x017F;perat,</hi> und den-<lb/>
cket in &#x017F;einem Hertzen: <hi rendition="#fr">Ey der Hencker mag das gantze</hi> <hi rendition="#aq">Studium Juridicum</hi><lb/><hi rendition="#fr">holen, ehe ich mir den Kopff, und die</hi> <hi rendition="#aq">Memoria</hi> <hi rendition="#fr">mit &#x017F;o vielem unnu&#x0364;tzen<lb/>
Zeuge zerbrechen und zermartern la&#x017F;&#x017F;en &#x017F;olte</hi>, auf der andern Seite aber,<lb/>
wann &#x017F;olche Leute das Examen <hi rendition="#aq">Con&#x017F;cientiæ</hi> nicht recht ange&#x017F;tellet, und ihren <hi rendition="#aq">Sta-</hi><lb/>
<fw place="bottom" type="catch"><hi rendition="#aq">tum</hi></fw><lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[174/0218] ceratos limites judicandi verlaſſen und extra principia certa & recepta herum vagiren, ſie gantz unvermerckt in das Labyrinth des ſchaͤdlichen Irrthums ver- fallen. Aus dem verderbten Zuſtande nun entſtehen nachgehends die Judicia inſana, febriculoſa, & ab omni ratione aliena die tumme einfaͤltige und alber- ne Raiſonier-Kunſt, aus welchen ungereimten und ungegruͤndeten Judiciis hernach die einfaͤltigen Præjudicia zu entſpringen pflegen. Hingegen aus dem gebeſſerten Zuſtande kommen hervor die Judicia ſana, accurata, & bona volun- tatis humanæ decreta, weil man alsdann nicht nach ſeinem wunderlichen Ge- nie und tollen Caprice, ſondern nach der Sachen Beſchaffenheit ohne eintzi- ges Intereſſe, poſitis & demonſtratis probandi principiis taiſoniret. Es iſt ge- wiß daß den Wachsthum und das Aufnehmen aller nuͤtzlichen Kuͤnſte und Wiſſenſchafften nichtsmehr als das ungluͤckliche und ungereimte Raiſoniren verderbet, und glaube ich gaͤntzlich, daß ein jedweder vernuͤnfftiger Mann hierinnen mit mir eines Sinnes ſeyn wird, wie dem Wachsthum derer Diſci- plinen nichts mehr als die geſchickten und unpaſſionirten Judicia aufgeholffen, und im groͤſten Flor erhalten haben. Denn die Menſchen ſind nach ihrem verderbten Appetit, gemeiniglich ſo geartet, daß ſie jederzeit dasjenige zu billi- gen pflegen, was von dem meiſten Hauffen, zumal wann der Raiſonneur præ- ſumtive Dignitatem und Merita vor ſich hat, daß iſt, wann er entweder ein Do- ctor Excellentiſſimus, Magiſter præſtantiſſmus, und Paſtor vigilantiſſimus heiſ- ſet, gebilliget worden iſt, weil ſich ſolche elende Leute insgemein einbilden, wann ſie groſſer und vornehmer Gelehrten Judicia annaͤhmen und billigten, ſie alsdann, als junge Raths-Herren in ſententionando & dicendo nicht ir- ren koͤnten. Allein wie miſerable ſolche Conſiliarii und vermeynte Oracula denen jungen Leuten rathen, ſolches zeiget der Ausgang leider! oͤffters mehr als zu klar, weil ſie, wann dieſelben die Hand an etwas ſchlagen und ſich als Maͤn- ner zeigen ſollen, nichts als lauter leere Idéen im Kopffe haben, die ſich weder hinten noch vorne zu der vor Augen liegenden Sache reimen wollen. Mancher Studioſus Juris, wann er im Anfange ſeiner Studiorum Juridico- rum mit vielen Deſinitionibus, diſtinctionibus, cauſis und tabulis, ja auswendig lernen derer legum Civilium geplaget worden iſt, wird deſperat, und den- cket in ſeinem Hertzen: Ey der Hencker mag das gantze Studium Juridicum holen, ehe ich mir den Kopff, und die Memoria mit ſo vielem unnuͤtzen Zeuge zerbrechen und zermartern laſſen ſolte, auf der andern Seite aber, wann ſolche Leute das Examen Conſcientiæ nicht recht angeſtellet, und ihren Sta- tum

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/fassmann_narr_1729
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/fassmann_narr_1729/218
Zitationshilfe: Fassmann, David: Der Gelehrte Narr. Freiburg, 1729, S. 174. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/fassmann_narr_1729/218>, abgerufen am 06.05.2024.