Indessen hielten die sämtlichen Gelehrte des Parnassischen Reichs davor, es würde zwischen Cornelio Tacito, und J. Lipsio, eine grosse Vertraulich- keit und sonderliche Freundschafft sich erzeigen. Allein man hat mit höchster Verwunderung das Gegentheil erfahren. Denn vor zweyen Tagen verklag- te Lipsius den Tacitum vor dem Apolline, mit Vermelden, daß er in seinem ersten Buch derer Historien etliche Worte geschrieben, die da gantz gottloß und nicht zu gedulden wären. Ihro Parnassische Majestät wurden wegen solcher har- ten Auflage sehr bestürtzt, befahlen, auch dem Tacito, den andern Morgen zu erscheinen, und sich zu verantworten, welcher gantz unerschrockenen Gemüths diesem Befehl nachkam, und damit seinen guten Vertrauten Freunden, die sei- netwegen sehr kleinmüthig waren, wieder ein Hertze machte. Beatus Rhena- nus, und Fulvius Ursinus, Zogen den Lipsium auf die Seite und baten ihn sehr von dieser Klage abzustehen, indem es ihm sehr schimpflich fallen würde, wofer- ne er sie nicht erwiese, unglücklich und schädlich aber, falls er sie wahr machen solte. Denn weil Tacitus einer von denen vornehmsten Politischen Freyherren, so in dem Parnasso, und dannenhero einen grossen Anhang bey denenjenigen, so lange Hände und ein weites Gewissen haben, hätte, würden selbige gewißlich mit der Zeit sich zu rächen nicht unterlassen. Diesen gab Lipsius zur Antwort, es möchte gehen wie es wolle, so seye er einmahl entschlossen sein Gewissen zu befriedigen, und trat damit vor den Apollo. Allda waren die vornehmsten von denen Gelehrten, so es mit Tacito hielten, zusammen gekom- men. Da fieng Lipsius an und sagte, wie erPlatonemundSocratem,vor allen Dingen aber die Wahrheit auf seiner Seite hätte. Darauf fiel ihm Taci- tus in die Rede, und sagte, er solte diesen Eingang unterwegens lassen, indem er sich hieher gar nicht schicke. Er möchte lieber seine Klage kurtzlich vorbringen. DiePoliticiwie er,Tacituswären nicht gewoh- net dererjenigen vorbedachte süsse und glatte Worte mit Gedult anzu- hören, von welchen sie nichts als Böses zu gewarten hätten. Alsdann sprach Lipsius zu dem Tacito:Ihr habt in dem ersten Buch eurer Histo- rien frey heraus gesaget, GOtt frage nichts nach dem Heyl und Wohl- farth derer Menschen trachte nur dieselben zu straffen. Dieses klinget abscheulich genug wann es nur von einem weltlichen Fürsten gesaget wird, geschweige dann von GOtt, dessen naturliche Eigenschafft ist, Barmhertzigkeit und väterliche Liebe gegen das gantze menschliche Geschlecht zu erweisen. Es wäre demnach der höchsten Straffe wohl werth, wann man sich solcher schrecklichen und unerhörten Sachen
ver-
Indeſſen hielten die ſaͤmtlichen Gelehrte des Parnaſſiſchen Reichs davor, es wuͤrde zwiſchen Cornelio Tacito, und J. Lipſio, eine groſſe Vertraulich- keit und ſonderliche Freundſchafft ſich erzeigen. Allein man hat mit hoͤchſter Verwunderung das Gegentheil erfahren. Denn vor zweyen Tagen verklag- te Lipſius den Tacitum vor dem Apolline, mit Vermelden, daß er in ſeinem erſten Buch derer Hiſtorien etliche Worte geſchrieben, die da gantz gottloß und nicht zu gedulden waͤren. Ihro Parnaſſiſche Majeſtaͤt wurden wegen ſolcher har- ten Auflage ſehr beſtuͤrtzt, befahlen, auch dem Tacito, den andern Morgen zu erſcheinen, und ſich zu verantworten, welcher gantz unerſchrockenen Gemuͤths dieſem Befehl nachkam, und damit ſeinen guten Vertrauten Freunden, die ſei- netwegen ſehr kleinmuͤthig waren, wieder ein Hertze machte. Beatus Rhena- nus, und Fulvius Urſinus, Zogen den Lipſium auf die Seite und baten ihn ſehr von dieſer Klage abzuſtehen, indem es ihm ſehr ſchimpflich fallen wuͤrde, wofer- ne er ſie nicht erwieſe, ungluͤcklich und ſchaͤdlich aber, falls er ſie wahr machen ſolte. Denn weil Tacitus einer von denen vornehmſten Politiſchen Freyherren, ſo in dem Parnaſſo, und dannenhero einen groſſen Anhang bey denenjenigen, ſo lange Haͤnde und ein weites Gewiſſen haben, haͤtte, wuͤrden ſelbige gewißlich mit der Zeit ſich zu raͤchen nicht unterlaſſen. Dieſen gab Lipſius zur Antwort, es moͤchte gehen wie es wolle, ſo ſeye er einmahl entſchloſſen ſein Gewiſſen zu befriedigen, und trat damit vor den Apollo. Allda waren die vornehmſten von denen Gelehrten, ſo es mit Tacito hielten, zuſammen gekom- men. Da fieng Lipſius an und ſagte, wie erPlatonemundSocratem,vor allen Dingen aber die Wahrheit auf ſeiner Seite haͤtte. Darauf fiel ihm Taci- tus in die Rede, und ſagte, er ſolte dieſen Eingang unterwegens laſſen, indem er ſich hieher gar nicht ſchicke. Er moͤchte lieber ſeine Klage kůrtzlich vorbringen. DiePoliticiwie er,Tacituswaͤren nicht gewoh- net dererjenigen vorbedachte ſuͤſſe und glatte Worte mit Gedult anzu- hoͤren, von welchen ſie nichts als Boͤſes zu gewarten haͤtten. Alsdann ſprach Lipſius zu dem Tacito:Ihr habt in dem erſten Buch eurer Hiſto- rien frey heraus geſaget, GOtt frage nichts nach dem Heyl und Wohl- farth derer Menſchen trachte nur dieſelben zu ſtraffen. Dieſes klinget abſcheulich genug wann es nur von einem weltlichen Fuͤrſten geſaget wird, geſchweige dann von GOtt, deſſen natůrliche Eigenſchafft iſt, Barmhertzigkeit und vaͤterliche Liebe gegen das gantze menſchliche Geſchlecht zu erweiſen. Es waͤre demnach der hoͤchſten Straffe wohl werth, wann man ſich ſolcher ſchrecklichen und unerhoͤrten Sachen
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Indeſſen hielten die ſaͤmtlichen Gelehrte des Parnaſſiſchen Reichs davor,
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Verwunderung das Gegentheil erfahren. Denn vor zweyen Tagen verklag-
te Lipſius den Tacitum vor dem Apolline, mit Vermelden, daß er in ſeinem
erſten Buch derer Hiſtorien etliche Worte geſchrieben, die da gantz gottloß und
nicht zu gedulden waͤren. Ihro Parnaſſiſche Majeſtaͤt wurden wegen ſolcher har-
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dieſem Befehl nachkam, und damit ſeinen guten Vertrauten Freunden, die ſei-
netwegen ſehr kleinmuͤthig waren, wieder ein Hertze machte. Beatus Rhena-
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es moͤchte gehen wie es wolle, ſo ſeye er einmahl entſchloſſen ſein
Gewiſſen zu befriedigen, und trat damit vor den Apollo. Allda waren die
vornehmſten von denen Gelehrten, ſo es mit Tacito hielten, zuſammen gekom-
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ſprach Lipſius zu dem Tacito: Ihr habt in dem erſten Buch eurer Hiſto-
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Barmhertzigkeit und vaͤterliche Liebe gegen das gantze menſchliche
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werth, wann man ſich ſolcher ſchrecklichen und unerhoͤrten Sachen
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Fassmann, David: Der Gelehrte Narr. Freiburg, 1729, S. 122. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/fassmann_narr_1729/166>, abgerufen am 16.02.2025.
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