Fassmann, David: Der Gelehrte Narr. Freiburg, 1729.5) Die dritte Art von Brillen, so allhier feil, sind gut das Gesicht zu erhal- ten, sonderlich denenjenigen unhöflichen und unfreundlichen Leuten, welchen, nachdem sie zu neuen Ehren und Dignitaeten erhoben worden, das Gefichte der- massen verdunckelt und verfinstert wird, daß sie auch in die höchste Undanckbarkeit verfallen. Die Politici des Kauff-Hauses vermelden, daß ermeldete Brillen von der köstlichen Materie des immerwährenden Gedächtnisses wegen empfangener Gutthaten, wie auch aus der Erinnerung der vorgeflogenen Freundschafft, ge- machet seyen. 6) Aber viel wunderbarer ist die vierte Art von Brillen, mit solcher Kunst und Geschicklichkeit verfertiget, daß sie aus einem Floh einen Elephanten, aus einem Zwerg einen grossen ungeheuren Riesen machen. Diese Art Brillen werden von etlichen grossen Herren mit sonderbarer Begierde gekauffet, und hernach ihren unglückseligen Hof dienern auf die Nase gesetzet, welchen sie dann die Augen dermassen alteriren, verfälschen und verblenden, daß sie die geringe und schlechte Gunst, wann sich der Fürst etwa auf sie steuret und lehnet, oder sie über eine Achsel freundlich, wiewohl fälschlich und gezwungener Weise an- siehet, höher achten als wann sie jährlich tausend Species-Ducaten Intraden von ihm bekämen. 7) Noch eine Art von Brillen, neulicher Zeit in Flandern erfunden, seynd allhier zu bekommen, und werden, gleichermassen, von hohen Standes-Perso- nen mit vielem Gelde bezahlet, hernach aber ihren Hofleuten verehret, welche von ihnen aufgesetzet und gebrauchen, verursachen, daß sie die eingebildete Beloh- nungen und hohe Ehren-Stellen, allbereits mit denen Händen ergriffen zu ha- ben vermeynen, die sie doch mit keinem Auge gesehen, auch in Ewigkeit nicht zu sehen bekommen werden. 8) Uber das werden auch allhier, aber in sehr hohem Preiß, Menschen- Augen feil gefunden, die eine wunderbare Wirckung und Tugend haben. Denn es ist unglaublich, welchergestalt einer seine eigene Sachen täglich erken- net und verbessert, wann er sie wohl mit anderer Leute Augen anschauet und ein- siehet. Und bezeugen die gesamten Politici in dem Parnasso bey ihrem Gewissen, daß kein ander Mittel zu der wahren Glückseligkeit, zu der vortrefflichen Tugend des Nosce te ipsum, und zu seiner Selbst-Erkäntniß, darnach so viele grosse Männer gestrebet haben, zu gelangen seye, als eben dieses. 9) Wer- M 3
5) Die dritte Art von Brillen, ſo allhier feil, ſind gut das Geſicht zu erhal- ten, ſonderlich denenjenigen unhoͤflichen und unfreundlichen Leuten, welchen, nachdem ſie zu neuen Ehren und Dignitæten erhoben worden, das Gefichte der- maſſen verdunckelt und verfinſtert wird, daß ſie auch in die hoͤchſte Undanckbarkeit verfallen. Die Politici des Kauff-Hauſes vermelden, daß ermeldete Brillen von der koͤſtlichen Materie des immerwaͤhrenden Gedaͤchtniſſes wegen empfangener Gutthaten, wie auch aus der Erinnerung der vorgeflogenen Freundſchafft, ge- machet ſeyen. 6) Aber viel wunderbarer iſt die vierte Art von Brillen, mit ſolcher Kunſt und Geſchicklichkeit verfertiget, daß ſie aus einem Floh einen Elephanten, aus einem Zwerg einen groſſen ungeheuren Rieſen machen. Dieſe Art Brillen werden von etlichen groſſen Herren mit ſonderbarer Begierde gekauffet, und hernach ihren ungluͤckſeligen Hof dienern auf die Naſe geſetzet, welchen ſie dann die Augen dermaſſen alteriren, verfaͤlſchen und verblenden, daß ſie die geringe und ſchlechte Gunſt, wann ſich der Fuͤrſt etwa auf ſie ſteuret und lehnet, oder ſie uͤber eine Achſel freundlich, wiewohl faͤlſchlich und gezwungener Weiſe an- ſiehet, hoͤher achten als wann ſie jaͤhrlich tauſend Species-Ducaten Intraden von ihm bekaͤmen. 7) Noch eine Art von Brillen, neulicher Zeit in Flandern erfunden, ſeynd allhier zu bekommen, und werden, gleichermaſſen, von hohen Standes-Perſo- nen mit vielem Gelde bezahlet, hernach aber ihren Hofleuten verehret, welche von ihnen aufgeſetzet und gebrauchen, verurſachen, daß ſie die eingebildete Beloh- nungen und hohe Ehren-Stellen, allbereits mit denen Haͤnden ergriffen zu ha- ben vermeynen, die ſie doch mit keinem Auge geſehen, auch in Ewigkeit nicht zu ſehen bekommen werden. 8) Uber das werden auch allhier, aber in ſehr hohem Preiß, Menſchen- Augen feil gefunden, die eine wunderbare Wirckung und Tugend haben. Denn es iſt unglaublich, welchergeſtalt einer ſeine eigene Sachen taͤglich erken- net und verbeſſert, wann er ſie wohl mit anderer Leute Augen anſchauet und ein- ſiehet. Und bezeugen die geſamten Politici in dem Parnaſſo bey ihrem Gewiſſen, daß kein ander Mittel zu der wahren Gluͤckſeligkeit, zu der vortrefflichen Tugend des Noſce te ipſum, und zu ſeiner Selbſt-Erkaͤntniß, darnach ſo viele groſſe Maͤnner geſtrebet haben, zu gelangen ſeye, als eben dieſes. 9) Wer- M 3
<TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <list> <pb facs="#f0137" n="93"/> <item>5) Die dritte Art von Brillen, ſo allhier feil, ſind gut das Geſicht zu erhal-<lb/> ten, ſonderlich denenjenigen unhoͤflichen und unfreundlichen Leuten, welchen,<lb/> nachdem ſie zu neuen Ehren und <hi rendition="#aq">Dignitæ</hi>ten erhoben worden, das Gefichte der-<lb/> maſſen verdunckelt und verfinſtert wird, daß ſie auch in die hoͤchſte Undanckbarkeit<lb/> verfallen. Die <hi rendition="#aq">Politici</hi> des Kauff-Hauſes vermelden, daß ermeldete Brillen von<lb/> der koͤſtlichen <hi rendition="#aq">Materie</hi> des immerwaͤhrenden Gedaͤchtniſſes wegen empfangener<lb/> Gutthaten, wie auch aus der Erinnerung der vorgeflogenen Freundſchafft, ge-<lb/> machet ſeyen.</item><lb/> <item>6) Aber viel wunderbarer iſt die vierte Art von Brillen, mit ſolcher Kunſt<lb/> und Geſchicklichkeit verfertiget, daß ſie aus einem Floh einen Elephanten, aus<lb/> einem Zwerg einen groſſen ungeheuren Rieſen machen. Dieſe Art Brillen<lb/> werden von etlichen groſſen Herren mit ſonderbarer Begierde gekauffet, und<lb/> hernach ihren ungluͤckſeligen Hof dienern auf die Naſe geſetzet, welchen ſie dann<lb/> die Augen dermaſſen <hi rendition="#aq">alteri</hi>ren, verfaͤlſchen und verblenden, daß ſie die geringe<lb/> und ſchlechte Gunſt, wann ſich der Fuͤrſt etwa auf ſie ſteuret und lehnet, oder<lb/> ſie uͤber eine Achſel freundlich, wiewohl faͤlſchlich und gezwungener Weiſe an-<lb/> ſiehet, hoͤher achten als wann ſie jaͤhrlich tauſend <hi rendition="#aq">Species-Ducaten Intraden</hi><lb/> von ihm bekaͤmen.</item><lb/> <item>7) Noch eine Art von Brillen, neulicher Zeit in Flandern erfunden, ſeynd<lb/> allhier zu bekommen, und werden, gleichermaſſen, von hohen Standes-Perſo-<lb/> nen mit vielem Gelde bezahlet, hernach aber ihren Hofleuten verehret, welche<lb/> von ihnen aufgeſetzet und gebrauchen, verurſachen, daß ſie die eingebildete Beloh-<lb/> nungen und hohe Ehren-Stellen, allbereits mit denen Haͤnden ergriffen zu ha-<lb/> ben vermeynen, die ſie doch mit keinem Auge geſehen, auch in Ewigkeit nicht zu<lb/> ſehen bekommen werden.</item><lb/> <item>8) Uber das werden auch allhier, aber in ſehr hohem Preiß, Menſchen-<lb/> Augen feil gefunden, die eine wunderbare Wirckung und Tugend haben.<lb/> Denn es iſt unglaublich, welchergeſtalt einer ſeine eigene Sachen taͤglich erken-<lb/> net und verbeſſert, wann er ſie wohl mit anderer Leute Augen anſchauet und ein-<lb/> ſiehet. Und bezeugen die geſamten <hi rendition="#aq">Politici</hi> in dem <hi rendition="#aq">Parnaſſo</hi> bey ihrem Gewiſſen,<lb/> daß kein ander Mittel zu der wahren Gluͤckſeligkeit, zu der vortrefflichen Tugend<lb/> des <hi rendition="#aq">Noſce te ipſum,</hi> und zu ſeiner Selbſt-Erkaͤntniß, darnach ſo viele groſſe<lb/> Maͤnner geſtrebet haben, zu gelangen ſeye, als eben dieſes.</item><lb/> <fw place="bottom" type="sig">M 3</fw> <fw place="bottom" type="catch">9) Wer-</fw><lb/> </list> </div> </div> </body> </text> </TEI> [93/0137]
5) Die dritte Art von Brillen, ſo allhier feil, ſind gut das Geſicht zu erhal-
ten, ſonderlich denenjenigen unhoͤflichen und unfreundlichen Leuten, welchen,
nachdem ſie zu neuen Ehren und Dignitæten erhoben worden, das Gefichte der-
maſſen verdunckelt und verfinſtert wird, daß ſie auch in die hoͤchſte Undanckbarkeit
verfallen. Die Politici des Kauff-Hauſes vermelden, daß ermeldete Brillen von
der koͤſtlichen Materie des immerwaͤhrenden Gedaͤchtniſſes wegen empfangener
Gutthaten, wie auch aus der Erinnerung der vorgeflogenen Freundſchafft, ge-
machet ſeyen.
6) Aber viel wunderbarer iſt die vierte Art von Brillen, mit ſolcher Kunſt
und Geſchicklichkeit verfertiget, daß ſie aus einem Floh einen Elephanten, aus
einem Zwerg einen groſſen ungeheuren Rieſen machen. Dieſe Art Brillen
werden von etlichen groſſen Herren mit ſonderbarer Begierde gekauffet, und
hernach ihren ungluͤckſeligen Hof dienern auf die Naſe geſetzet, welchen ſie dann
die Augen dermaſſen alteriren, verfaͤlſchen und verblenden, daß ſie die geringe
und ſchlechte Gunſt, wann ſich der Fuͤrſt etwa auf ſie ſteuret und lehnet, oder
ſie uͤber eine Achſel freundlich, wiewohl faͤlſchlich und gezwungener Weiſe an-
ſiehet, hoͤher achten als wann ſie jaͤhrlich tauſend Species-Ducaten Intraden
von ihm bekaͤmen.
7) Noch eine Art von Brillen, neulicher Zeit in Flandern erfunden, ſeynd
allhier zu bekommen, und werden, gleichermaſſen, von hohen Standes-Perſo-
nen mit vielem Gelde bezahlet, hernach aber ihren Hofleuten verehret, welche
von ihnen aufgeſetzet und gebrauchen, verurſachen, daß ſie die eingebildete Beloh-
nungen und hohe Ehren-Stellen, allbereits mit denen Haͤnden ergriffen zu ha-
ben vermeynen, die ſie doch mit keinem Auge geſehen, auch in Ewigkeit nicht zu
ſehen bekommen werden.
8) Uber das werden auch allhier, aber in ſehr hohem Preiß, Menſchen-
Augen feil gefunden, die eine wunderbare Wirckung und Tugend haben.
Denn es iſt unglaublich, welchergeſtalt einer ſeine eigene Sachen taͤglich erken-
net und verbeſſert, wann er ſie wohl mit anderer Leute Augen anſchauet und ein-
ſiehet. Und bezeugen die geſamten Politici in dem Parnaſſo bey ihrem Gewiſſen,
daß kein ander Mittel zu der wahren Gluͤckſeligkeit, zu der vortrefflichen Tugend
des Noſce te ipſum, und zu ſeiner Selbſt-Erkaͤntniß, darnach ſo viele groſſe
Maͤnner geſtrebet haben, zu gelangen ſeye, als eben dieſes.
9) Wer-
M 3
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools ?Language Resource Switchboard?FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |