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Falke, Jakob von: Die deutsche Trachten- und Modenwelt. Ein Beitrag zur deutschen Culturgeschichte. Bd. 2. Leipzig, 1858.

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III. Die Neuzeit.
an welchem die Communeros von Castilien vor der Krone erla-
gen, lieferte Spanien willenlos in die Hände Karls V. und ent-
schied zugleich über das Schicksal der spanischen Kleidung. Denn
wie politisch und religiös sich hier dieselbe Bewegung gezeigt
hatte, von welcher anderswo die Welt entflammt war, so war
auch für den Menschen dasselbe Bedürfniß vorhanden gewesen,
der lästigen Enge sich zu entwinden. Wir können auch in Spa-
nien sehen, wie die Kleider an den Gelenken sich öffnen, wie der
Aermel sich schlitzt von oben bis unten und das faltige Hemd
oder farbiger Stoff bauschend heraustritt. Aber es wollte hier
in keiner Weise gelingen: die religiösen Neuerungen erdrückte
die Inquisition, die politischen fanden ihren Todestag bei Villa-
lar, Ruhe und Stille kehrten in die eingeschüchterte Nation zu-
rück, und so war es unmöglich, daß die Kleidung sich zu der
Freiheit und zu der Entartung entfalten konnte, wie in Deutsch-
land unter dem Brausen des reformatorischen Sturmes. Aehn-
lich erging es in Italien und Frankreich: auch hier ein gleicher
Anfang und ein baldiges Ende, wenn auch unter abweichenden
socialen Einflüssen ein mannigfach anderer Gang eintrat.

Unter dem straffen Regiment des Königs und der absoluten
Unterwürfigkeit der Geister und der Gewissen, wie sie die In-
quisition im rechtgläubigen Spanien zurückgeführt hatte, schrumpft
die Bewegung in sich selbst zusammen und kehrt bald zur Steife
und Enge, freilich nun unter ganz anderen Formen, zurück. Die
Schlitze verschwinden wieder oder zeigen sich an bedeutungslosen
Stellen nur als leichte Zierde von aufgenähtem buntfarbigen
Stoff und als leise Erinnerungen der aufgeregteren Zeit. Die
ganze Kleidung sitzt straff und gespannt über den Körper, aber
nicht unmittelbar, sondern bezeichnend genug hat sich der Spa-
nier statt des lustig ausgebauschten, umherflatternden Stoffes
mit dicken, runden Wülsten umlegt. So liegt das Beinkleid
von den Schuhen herauf aufs engste den Beinen an, daß sich
jede Muskel markirt, eine Eigenschaft, die in der zweiten Hälfte
des sechszehnten Jahrhunderts durch die in Aufnahme kommen-
den seidenen Tricots wesentlich erhöht wurde und an Eleganz

III. Die Neuzeit.
an welchem die Communeros von Caſtilien vor der Krone erla-
gen, lieferte Spanien willenlos in die Hände Karls V. und ent-
ſchied zugleich über das Schickſal der ſpaniſchen Kleidung. Denn
wie politiſch und religiös ſich hier dieſelbe Bewegung gezeigt
hatte, von welcher anderswo die Welt entflammt war, ſo war
auch für den Menſchen daſſelbe Bedürfniß vorhanden geweſen,
der läſtigen Enge ſich zu entwinden. Wir können auch in Spa-
nien ſehen, wie die Kleider an den Gelenken ſich öffnen, wie der
Aermel ſich ſchlitzt von oben bis unten und das faltige Hemd
oder farbiger Stoff bauſchend heraustritt. Aber es wollte hier
in keiner Weiſe gelingen: die religiöſen Neuerungen erdrückte
die Inquiſition, die politiſchen fanden ihren Todestag bei Villa-
lar, Ruhe und Stille kehrten in die eingeſchüchterte Nation zu-
rück, und ſo war es unmöglich, daß die Kleidung ſich zu der
Freiheit und zu der Entartung entfalten konnte, wie in Deutſch-
land unter dem Brauſen des reformatoriſchen Sturmes. Aehn-
lich erging es in Italien und Frankreich: auch hier ein gleicher
Anfang und ein baldiges Ende, wenn auch unter abweichenden
ſocialen Einflüſſen ein mannigfach anderer Gang eintrat.

Unter dem ſtraffen Regiment des Königs und der abſoluten
Unterwürfigkeit der Geiſter und der Gewiſſen, wie ſie die In-
quiſition im rechtgläubigen Spanien zurückgeführt hatte, ſchrumpft
die Bewegung in ſich ſelbſt zuſammen und kehrt bald zur Steife
und Enge, freilich nun unter ganz anderen Formen, zurück. Die
Schlitze verſchwinden wieder oder zeigen ſich an bedeutungsloſen
Stellen nur als leichte Zierde von aufgenähtem buntfarbigen
Stoff und als leiſe Erinnerungen der aufgeregteren Zeit. Die
ganze Kleidung ſitzt ſtraff und geſpannt über den Körper, aber
nicht unmittelbar, ſondern bezeichnend genug hat ſich der Spa-
nier ſtatt des luſtig ausgebauſchten, umherflatternden Stoffes
mit dicken, runden Wülſten umlegt. So liegt das Beinkleid
von den Schuhen herauf aufs engſte den Beinen an, daß ſich
jede Muskel markirt, eine Eigenſchaft, die in der zweiten Hälfte
des ſechszehnten Jahrhunderts durch die in Aufnahme kommen-
den ſeidenen Tricots weſentlich erhöht wurde und an Eleganz

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[86/0098] III. Die Neuzeit. an welchem die Communeros von Caſtilien vor der Krone erla- gen, lieferte Spanien willenlos in die Hände Karls V. und ent- ſchied zugleich über das Schickſal der ſpaniſchen Kleidung. Denn wie politiſch und religiös ſich hier dieſelbe Bewegung gezeigt hatte, von welcher anderswo die Welt entflammt war, ſo war auch für den Menſchen daſſelbe Bedürfniß vorhanden geweſen, der läſtigen Enge ſich zu entwinden. Wir können auch in Spa- nien ſehen, wie die Kleider an den Gelenken ſich öffnen, wie der Aermel ſich ſchlitzt von oben bis unten und das faltige Hemd oder farbiger Stoff bauſchend heraustritt. Aber es wollte hier in keiner Weiſe gelingen: die religiöſen Neuerungen erdrückte die Inquiſition, die politiſchen fanden ihren Todestag bei Villa- lar, Ruhe und Stille kehrten in die eingeſchüchterte Nation zu- rück, und ſo war es unmöglich, daß die Kleidung ſich zu der Freiheit und zu der Entartung entfalten konnte, wie in Deutſch- land unter dem Brauſen des reformatoriſchen Sturmes. Aehn- lich erging es in Italien und Frankreich: auch hier ein gleicher Anfang und ein baldiges Ende, wenn auch unter abweichenden ſocialen Einflüſſen ein mannigfach anderer Gang eintrat. Unter dem ſtraffen Regiment des Königs und der abſoluten Unterwürfigkeit der Geiſter und der Gewiſſen, wie ſie die In- quiſition im rechtgläubigen Spanien zurückgeführt hatte, ſchrumpft die Bewegung in ſich ſelbſt zuſammen und kehrt bald zur Steife und Enge, freilich nun unter ganz anderen Formen, zurück. Die Schlitze verſchwinden wieder oder zeigen ſich an bedeutungsloſen Stellen nur als leichte Zierde von aufgenähtem buntfarbigen Stoff und als leiſe Erinnerungen der aufgeregteren Zeit. Die ganze Kleidung ſitzt ſtraff und geſpannt über den Körper, aber nicht unmittelbar, ſondern bezeichnend genug hat ſich der Spa- nier ſtatt des luſtig ausgebauſchten, umherflatternden Stoffes mit dicken, runden Wülſten umlegt. So liegt das Beinkleid von den Schuhen herauf aufs engſte den Beinen an, daß ſich jede Muskel markirt, eine Eigenſchaft, die in der zweiten Hälfte des ſechszehnten Jahrhunderts durch die in Aufnahme kommen- den ſeidenen Tricots weſentlich erhöht wurde und an Eleganz

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Zitationshilfe: Falke, Jakob von: Die deutsche Trachten- und Modenwelt. Ein Beitrag zur deutschen Culturgeschichte. Bd. 2. Leipzig, 1858, S. 86. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/falke_trachten02_1858/98>, abgerufen am 24.11.2024.