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Falke, Jakob von: Die deutsche Trachten- und Modenwelt. Ein Beitrag zur deutschen Culturgeschichte. Bd. 2. Leipzig, 1858.

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1. Die Reformation an Haupt und Gliedern.
niß denen früherer Zeiten gleichblieben: Sammet und Atlas,
einfacher und gemusterter, die verschiedenen Seidenstoffe, Sendel,
Rasch u. s. w., Kamelot, die feinen Wollstoffe aus Mecheln,
Leiden und andern niederländischen Städten, dann die gröberen
einheimischen Fabrikate, die Elle zu 2 Gulden, zu einem oder
einem halben Gulden, Barchent und "grober Zwilch", wie er den
Bauern und der arbeitenden Classe vorgeschrieben war, nebst den
baumwollenen und linnenen Stoffen für die Frauen. --

Das Jahr 1530 läßt sich als den Zeitpunkt betrachten, in
welchem die Reformation im Trachtenwesen ihren Höhepunkt,
ihre Vollendung erreicht hatte. Es ist bedeutungsvoll das Jahr
des Augsburger Reichstages, welcher, wenn auch auf welthisto-
risch bedeutenden Gebieten, ebenfalls den Höhepunkt der Bewe-
gung bezeichnet. Und zwar war die Umgestaltung der Trachten
innerhalb der Grenzen des Vaterlandes bis dahin eine rein deut-
sche gewesen und, vielleicht den ersten Anstoß ausgenommen,
frei und ungehindert von jedem fremden Einfluß, nur allein von
der Strömung der Zeit getragen. Aber von nun wirken mehr-
fach äußere und fremde Elemente ein. Zunächst erschlafft die
Bewegung in sich selbst, und es erfolgt nach der Erregung die
Abspannung. Obwohl auf dem Gebiet der Trachten die aben-
teuerlichen Landsknechte fortwährend in demselben Geiste einwir-
ken und das lustige, übermüthige Treiben wach zu erhalten suchen,
können wir doch an Einzelheiten beobachten, wie die Ebbe ein-
tritt und die Fluthen sich verlaufen. Wieder ist der Kopf der
Barometer. Schon werden die ganz kurzen Haare des Mannes
häufiger gefunden, und das Barett fängt an, seine willkürlich
freie Gestalt und die reiche Federfülle allmählig einzubüßen; es
wird eine flache, steife Platte, oder häufiger und bleibender ver-
kleinert sich der Rand, der Deckel schrumpft zusammen, und so
wird das Barett ein kleines seidenes Mützchen, bis es sich zur
Hutform wieder aufrichtet. Währenddeß verschwindet die Haar-
haube. Das Wamms des Mannes, nunmehr wattirt und ge-
steppt, legt sich enger und steifer um den Leib, steigt bis unter
das Kinn empor und beschränkt den Kopf in seiner freien Bewe-

1. Die Reformation an Haupt und Gliedern.
niß denen früherer Zeiten gleichblieben: Sammet und Atlas,
einfacher und gemuſterter, die verſchiedenen Seidenſtoffe, Sendel,
Raſch u. ſ. w., Kamelot, die feinen Wollſtoffe aus Mecheln,
Leiden und andern niederländiſchen Städten, dann die gröberen
einheimiſchen Fabrikate, die Elle zu 2 Gulden, zu einem oder
einem halben Gulden, Barchent und „grober Zwilch“, wie er den
Bauern und der arbeitenden Claſſe vorgeſchrieben war, nebſt den
baumwollenen und linnenen Stoffen für die Frauen. —

Das Jahr 1530 läßt ſich als den Zeitpunkt betrachten, in
welchem die Reformation im Trachtenweſen ihren Höhepunkt,
ihre Vollendung erreicht hatte. Es iſt bedeutungsvoll das Jahr
des Augsburger Reichstages, welcher, wenn auch auf welthiſto-
riſch bedeutenden Gebieten, ebenfalls den Höhepunkt der Bewe-
gung bezeichnet. Und zwar war die Umgeſtaltung der Trachten
innerhalb der Grenzen des Vaterlandes bis dahin eine rein deut-
ſche geweſen und, vielleicht den erſten Anſtoß ausgenommen,
frei und ungehindert von jedem fremden Einfluß, nur allein von
der Strömung der Zeit getragen. Aber von nun wirken mehr-
fach äußere und fremde Elemente ein. Zunächſt erſchlafft die
Bewegung in ſich ſelbſt, und es erfolgt nach der Erregung die
Abſpannung. Obwohl auf dem Gebiet der Trachten die aben-
teuerlichen Landsknechte fortwährend in demſelben Geiſte einwir-
ken und das luſtige, übermüthige Treiben wach zu erhalten ſuchen,
können wir doch an Einzelheiten beobachten, wie die Ebbe ein-
tritt und die Fluthen ſich verlaufen. Wieder iſt der Kopf der
Barometer. Schon werden die ganz kurzen Haare des Mannes
häufiger gefunden, und das Barett fängt an, ſeine willkürlich
freie Geſtalt und die reiche Federfülle allmählig einzubüßen; es
wird eine flache, ſteife Platte, oder häufiger und bleibender ver-
kleinert ſich der Rand, der Deckel ſchrumpft zuſammen, und ſo
wird das Barett ein kleines ſeidenes Mützchen, bis es ſich zur
Hutform wieder aufrichtet. Währenddeß verſchwindet die Haar-
haube. Das Wamms des Mannes, nunmehr wattirt und ge-
ſteppt, legt ſich enger und ſteifer um den Leib, ſteigt bis unter
das Kinn empor und beſchränkt den Kopf in ſeiner freien Bewe-

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[79/0091] 1. Die Reformation an Haupt und Gliedern. niß denen früherer Zeiten gleichblieben: Sammet und Atlas, einfacher und gemuſterter, die verſchiedenen Seidenſtoffe, Sendel, Raſch u. ſ. w., Kamelot, die feinen Wollſtoffe aus Mecheln, Leiden und andern niederländiſchen Städten, dann die gröberen einheimiſchen Fabrikate, die Elle zu 2 Gulden, zu einem oder einem halben Gulden, Barchent und „grober Zwilch“, wie er den Bauern und der arbeitenden Claſſe vorgeſchrieben war, nebſt den baumwollenen und linnenen Stoffen für die Frauen. — Das Jahr 1530 läßt ſich als den Zeitpunkt betrachten, in welchem die Reformation im Trachtenweſen ihren Höhepunkt, ihre Vollendung erreicht hatte. Es iſt bedeutungsvoll das Jahr des Augsburger Reichstages, welcher, wenn auch auf welthiſto- riſch bedeutenden Gebieten, ebenfalls den Höhepunkt der Bewe- gung bezeichnet. Und zwar war die Umgeſtaltung der Trachten innerhalb der Grenzen des Vaterlandes bis dahin eine rein deut- ſche geweſen und, vielleicht den erſten Anſtoß ausgenommen, frei und ungehindert von jedem fremden Einfluß, nur allein von der Strömung der Zeit getragen. Aber von nun wirken mehr- fach äußere und fremde Elemente ein. Zunächſt erſchlafft die Bewegung in ſich ſelbſt, und es erfolgt nach der Erregung die Abſpannung. Obwohl auf dem Gebiet der Trachten die aben- teuerlichen Landsknechte fortwährend in demſelben Geiſte einwir- ken und das luſtige, übermüthige Treiben wach zu erhalten ſuchen, können wir doch an Einzelheiten beobachten, wie die Ebbe ein- tritt und die Fluthen ſich verlaufen. Wieder iſt der Kopf der Barometer. Schon werden die ganz kurzen Haare des Mannes häufiger gefunden, und das Barett fängt an, ſeine willkürlich freie Geſtalt und die reiche Federfülle allmählig einzubüßen; es wird eine flache, ſteife Platte, oder häufiger und bleibender ver- kleinert ſich der Rand, der Deckel ſchrumpft zuſammen, und ſo wird das Barett ein kleines ſeidenes Mützchen, bis es ſich zur Hutform wieder aufrichtet. Währenddeß verſchwindet die Haar- haube. Das Wamms des Mannes, nunmehr wattirt und ge- ſteppt, legt ſich enger und ſteifer um den Leib, ſteigt bis unter das Kinn empor und beſchränkt den Kopf in ſeiner freien Bewe-

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Zitationshilfe: Falke, Jakob von: Die deutsche Trachten- und Modenwelt. Ein Beitrag zur deutschen Culturgeschichte. Bd. 2. Leipzig, 1858, S. 79. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/falke_trachten02_1858/91>, abgerufen am 27.04.2024.