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Falke, Jakob von: Die deutsche Trachten- und Modenwelt. Ein Beitrag zur deutschen Culturgeschichte. Bd. 2. Leipzig, 1858.

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1. Die Reformation an Haupt und Gliedern.
noch in den Anfang des neuen hinein ein freilich sehr sporadisches
Dasein fristen. Schon in den achtziger Jahren wird der Um-
schlag in Frankreich wie in Deutschland gleich bemerklich, und
statt der Schiffsschnäbel hören wir nun von Entenschnäbeln,
Bärentatzen, Ochsen- oder Kuhmäulern und ähnlichen Ehren-
titeln der Schuhe. Geiler von Kaisersberg zieht auch diese Mode
in den Bereich seiner Predigten hinein: "Die Schuch waren
etwan zu spitz, jetzund so seint sie stumpf wie Kalbsmäuler,
etwan waren die Schuch zu eng, jetzt so seint sie zu weit, die
Schuch seint ausgeschnitten und zerhacket, weren doch besser
ganz dann zerschnitten."

Dieselbe Richtung der Zeit, welche das leichte, geschmeidige
Barett hervorrief, wirkte auch auf die Fußbekleidung. Da man
sich aller Enge und lästigen Unbequemlichkeit entledigen wollte,
machte sich natürlich zunächst die Stelle fühlbar, wo der Schuh
drückte, und darum warf man die losen hölzernen Unterschuhe
und Pantoffel, welche klappernd aller freien Bewegung hinder-
lich waren, bei Seite und schnitt die langen und gespitzten Schnä-
bel ab. Aber weil man noch unter dem Einfluß des alten Mode-
geistes stand, der nur an Uebertreibungen und Seltsamkeiten
Gefallen fand, so verfiel man sogleich in das andre Extrem und
machte die Schuhe in ähnlichem Verhältniß vorne breit, wie man
sie früher spitz getragen hatte. Nur vereinzelt zeigten sich etwa
bis zum Jahre 1510 nach Uebergangsformen im bürgerlichen
Stande: Schuhe, die vorn weder spitz noch breit, sondern nur
abgerundet waren, ohne aber nach der natürlichen Form des
Fußes sich zu richten, sodaß sie nur ein rohes, bäurisch klotziges
Machwerk vorstellten, welches weder auf Schönheit, noch auf
Feinheit und Eleganz irgendwie Anspruch machen konnte.

Der alte Schuh des funfzehnten Jahrhunderts hatte so ziem-
lich den ganzen Fuß bis an die Knöchel bedeckt, den neuen suchte
man vielmehr auf das geringste nothwendige Maß zurückzufüh-
ren, um den Fuß möglichst frei und unbedeckt zu haben. In
vollendeter Ausbildung hatte dieser Schuh an der festen Sohle
nur den breiten Schnabel, der nichts weiter als die Zehen be-

1. Die Reformation an Haupt und Gliedern.
noch in den Anfang des neuen hinein ein freilich ſehr ſporadiſches
Daſein friſten. Schon in den achtziger Jahren wird der Um-
ſchlag in Frankreich wie in Deutſchland gleich bemerklich, und
ſtatt der Schiffsſchnäbel hören wir nun von Entenſchnäbeln,
Bärentatzen, Ochſen- oder Kuhmäulern und ähnlichen Ehren-
titeln der Schuhe. Geiler von Kaiſersberg zieht auch dieſe Mode
in den Bereich ſeiner Predigten hinein: „Die Schuch waren
etwan zu ſpitz, jetzund ſo ſeint ſie ſtumpf wie Kalbsmäuler,
etwan waren die Schuch zu eng, jetzt ſo ſeint ſie zu weit, die
Schuch ſeint ausgeſchnitten und zerhacket, weren doch beſſer
ganz dann zerſchnitten.“

Dieſelbe Richtung der Zeit, welche das leichte, geſchmeidige
Barett hervorrief, wirkte auch auf die Fußbekleidung. Da man
ſich aller Enge und läſtigen Unbequemlichkeit entledigen wollte,
machte ſich natürlich zunächſt die Stelle fühlbar, wo der Schuh
drückte, und darum warf man die loſen hölzernen Unterſchuhe
und Pantoffel, welche klappernd aller freien Bewegung hinder-
lich waren, bei Seite und ſchnitt die langen und geſpitzten Schnä-
bel ab. Aber weil man noch unter dem Einfluß des alten Mode-
geiſtes ſtand, der nur an Uebertreibungen und Seltſamkeiten
Gefallen fand, ſo verfiel man ſogleich in das andre Extrem und
machte die Schuhe in ähnlichem Verhältniß vorne breit, wie man
ſie früher ſpitz getragen hatte. Nur vereinzelt zeigten ſich etwa
bis zum Jahre 1510 nach Uebergangsformen im bürgerlichen
Stande: Schuhe, die vorn weder ſpitz noch breit, ſondern nur
abgerundet waren, ohne aber nach der natürlichen Form des
Fußes ſich zu richten, ſodaß ſie nur ein rohes, bäuriſch klotziges
Machwerk vorſtellten, welches weder auf Schönheit, noch auf
Feinheit und Eleganz irgendwie Anſpruch machen konnte.

Der alte Schuh des funfzehnten Jahrhunderts hatte ſo ziem-
lich den ganzen Fuß bis an die Knöchel bedeckt, den neuen ſuchte
man vielmehr auf das geringſte nothwendige Maß zurückzufüh-
ren, um den Fuß möglichſt frei und unbedeckt zu haben. In
vollendeter Ausbildung hatte dieſer Schuh an der feſten Sohle
nur den breiten Schnabel, der nichts weiter als die Zehen be-

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[29/0041] 1. Die Reformation an Haupt und Gliedern. noch in den Anfang des neuen hinein ein freilich ſehr ſporadiſches Daſein friſten. Schon in den achtziger Jahren wird der Um- ſchlag in Frankreich wie in Deutſchland gleich bemerklich, und ſtatt der Schiffsſchnäbel hören wir nun von Entenſchnäbeln, Bärentatzen, Ochſen- oder Kuhmäulern und ähnlichen Ehren- titeln der Schuhe. Geiler von Kaiſersberg zieht auch dieſe Mode in den Bereich ſeiner Predigten hinein: „Die Schuch waren etwan zu ſpitz, jetzund ſo ſeint ſie ſtumpf wie Kalbsmäuler, etwan waren die Schuch zu eng, jetzt ſo ſeint ſie zu weit, die Schuch ſeint ausgeſchnitten und zerhacket, weren doch beſſer ganz dann zerſchnitten.“ Dieſelbe Richtung der Zeit, welche das leichte, geſchmeidige Barett hervorrief, wirkte auch auf die Fußbekleidung. Da man ſich aller Enge und läſtigen Unbequemlichkeit entledigen wollte, machte ſich natürlich zunächſt die Stelle fühlbar, wo der Schuh drückte, und darum warf man die loſen hölzernen Unterſchuhe und Pantoffel, welche klappernd aller freien Bewegung hinder- lich waren, bei Seite und ſchnitt die langen und geſpitzten Schnä- bel ab. Aber weil man noch unter dem Einfluß des alten Mode- geiſtes ſtand, der nur an Uebertreibungen und Seltſamkeiten Gefallen fand, ſo verfiel man ſogleich in das andre Extrem und machte die Schuhe in ähnlichem Verhältniß vorne breit, wie man ſie früher ſpitz getragen hatte. Nur vereinzelt zeigten ſich etwa bis zum Jahre 1510 nach Uebergangsformen im bürgerlichen Stande: Schuhe, die vorn weder ſpitz noch breit, ſondern nur abgerundet waren, ohne aber nach der natürlichen Form des Fußes ſich zu richten, ſodaß ſie nur ein rohes, bäuriſch klotziges Machwerk vorſtellten, welches weder auf Schönheit, noch auf Feinheit und Eleganz irgendwie Anſpruch machen konnte. Der alte Schuh des funfzehnten Jahrhunderts hatte ſo ziem- lich den ganzen Fuß bis an die Knöchel bedeckt, den neuen ſuchte man vielmehr auf das geringſte nothwendige Maß zurückzufüh- ren, um den Fuß möglichſt frei und unbedeckt zu haben. In vollendeter Ausbildung hatte dieſer Schuh an der feſten Sohle nur den breiten Schnabel, der nichts weiter als die Zehen be-

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Zitationshilfe: Falke, Jakob von: Die deutsche Trachten- und Modenwelt. Ein Beitrag zur deutschen Culturgeschichte. Bd. 2. Leipzig, 1858, S. 29. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/falke_trachten02_1858/41>, abgerufen am 23.11.2024.