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Falke, Jakob von: Die deutsche Trachten- und Modenwelt. Ein Beitrag zur deutschen Culturgeschichte. Bd. 2. Leipzig, 1858.

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5. Die Periode des Zopfes und die Revolution.
Man liebt nun die vollen und ganzen Farben; je kräftiger, satter
oder leuchtender sie wirken, um so besser. Ein feuriges oder
tiefdunkles Roth, ein leuchtendes oder gesättigtes Blau, das
grelle, brennende Gelb und ein warmes Grün nebst dem wir-
kungsvollen, hervorstrahlenden Golde sind freilich durchaus keine
Mängel in dem farbigen Bilde der Menschheit, aber damals
setzte man sie unverbunden ohne Zwischenstufen in breiten Mas-
sen neben einander. Die Wirkung ist eine blendende, betäubende,
und solche Pracht entsprach vollkommen den Intentionen Lud-
wigs XIV.; man konnte keine schreienden Mißtöne wahrnehmen,
aber das Uebermaß des Farbenprunkes schlug das feine Gefühl
wie mit Kolben todt. Dieser Sinn gehörte nicht bloß Lud-
wig XIV. und dem französischen Hof allein; er war Gemeingut
oder vielmehr Gemeinübel der ganzen Zeit. Alles kleidete sich
in ähnlichen Gegensätzen, und Blau und Roth mit reichem Golde
dazu waren die Lieblingsfarben. Diesem Geschmacke entsprach
auch die Vorliebe für die schwersten Sammt- und Seidenstoffe,
welche, in bauschiger Masse getragen, den großgebrochenen, brei-
ten und eckigen Faltenwurf hervorbrachten.

Nun kam die Schwäche und Süßlichkeit des Zopfes. Wie
das architektonische Gefühl sich an die starken Profilirungen stieß
und an die Massenhaftigkeit des vortretenden Ornaments, so
wurde der Farbensinn von der Ueberkraft des früheren Colorits
zurückgestoßen. Man brach die Farben und dämpfte sie zu un-
bestimmten Mischfarben. Man wollte selbst das Schwarz nicht
mehr haben und bekämpfte es von allen Seiten; sogar die schwarze
Trauer sollte aufgehoben werden. Grau, Grünlich, Bräunlich,
Changeant aller Art und dergleichen waren die Farben, welche
der charakterlosen Schwäche, dem unbestimmten Sehnen und
Schweben in der Welt der Gefühle, der unbewußten Unzu-
friedenheit mit der allerdings trostlosen Gegenwart, der träume-
rischen Sentimentalität trefflichst zusagten. Das zarte Blaßrosa
kann als die Lieblingsfarbe der schönen Seelen betrachtet werden.
Selbst die bunten, geblümten Kleiderstoffe waren aus diesen
Mischfarben zusammengesetzt; kräftigere, lebhafte Farben, die

5. Die Periode des Zopfes und die Revolution.
Man liebt nun die vollen und ganzen Farben; je kräftiger, ſatter
oder leuchtender ſie wirken, um ſo beſſer. Ein feuriges oder
tiefdunkles Roth, ein leuchtendes oder geſättigtes Blau, das
grelle, brennende Gelb und ein warmes Grün nebſt dem wir-
kungsvollen, hervorſtrahlenden Golde ſind freilich durchaus keine
Mängel in dem farbigen Bilde der Menſchheit, aber damals
ſetzte man ſie unverbunden ohne Zwiſchenſtufen in breiten Maſ-
ſen neben einander. Die Wirkung iſt eine blendende, betäubende,
und ſolche Pracht entſprach vollkommen den Intentionen Lud-
wigs XIV.; man konnte keine ſchreienden Mißtöne wahrnehmen,
aber das Uebermaß des Farbenprunkes ſchlug das feine Gefühl
wie mit Kolben todt. Dieſer Sinn gehörte nicht bloß Lud-
wig XIV. und dem franzöſiſchen Hof allein; er war Gemeingut
oder vielmehr Gemeinübel der ganzen Zeit. Alles kleidete ſich
in ähnlichen Gegenſätzen, und Blau und Roth mit reichem Golde
dazu waren die Lieblingsfarben. Dieſem Geſchmacke entſprach
auch die Vorliebe für die ſchwerſten Sammt- und Seidenſtoffe,
welche, in bauſchiger Maſſe getragen, den großgebrochenen, brei-
ten und eckigen Faltenwurf hervorbrachten.

Nun kam die Schwäche und Süßlichkeit des Zopfes. Wie
das architektoniſche Gefühl ſich an die ſtarken Profilirungen ſtieß
und an die Maſſenhaftigkeit des vortretenden Ornaments, ſo
wurde der Farbenſinn von der Ueberkraft des früheren Colorits
zurückgeſtoßen. Man brach die Farben und dämpfte ſie zu un-
beſtimmten Miſchfarben. Man wollte ſelbſt das Schwarz nicht
mehr haben und bekämpfte es von allen Seiten; ſogar die ſchwarze
Trauer ſollte aufgehoben werden. Grau, Grünlich, Bräunlich,
Changeant aller Art und dergleichen waren die Farben, welche
der charakterloſen Schwäche, dem unbeſtimmten Sehnen und
Schweben in der Welt der Gefühle, der unbewußten Unzu-
friedenheit mit der allerdings troſtloſen Gegenwart, der träume-
riſchen Sentimentalität trefflichſt zuſagten. Das zarte Blaßroſa
kann als die Lieblingsfarbe der ſchönen Seelen betrachtet werden.
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[327/0339] 5. Die Periode des Zopfes und die Revolution. Man liebt nun die vollen und ganzen Farben; je kräftiger, ſatter oder leuchtender ſie wirken, um ſo beſſer. Ein feuriges oder tiefdunkles Roth, ein leuchtendes oder geſättigtes Blau, das grelle, brennende Gelb und ein warmes Grün nebſt dem wir- kungsvollen, hervorſtrahlenden Golde ſind freilich durchaus keine Mängel in dem farbigen Bilde der Menſchheit, aber damals ſetzte man ſie unverbunden ohne Zwiſchenſtufen in breiten Maſ- ſen neben einander. Die Wirkung iſt eine blendende, betäubende, und ſolche Pracht entſprach vollkommen den Intentionen Lud- wigs XIV.; man konnte keine ſchreienden Mißtöne wahrnehmen, aber das Uebermaß des Farbenprunkes ſchlug das feine Gefühl wie mit Kolben todt. Dieſer Sinn gehörte nicht bloß Lud- wig XIV. und dem franzöſiſchen Hof allein; er war Gemeingut oder vielmehr Gemeinübel der ganzen Zeit. Alles kleidete ſich in ähnlichen Gegenſätzen, und Blau und Roth mit reichem Golde dazu waren die Lieblingsfarben. Dieſem Geſchmacke entſprach auch die Vorliebe für die ſchwerſten Sammt- und Seidenſtoffe, welche, in bauſchiger Maſſe getragen, den großgebrochenen, brei- ten und eckigen Faltenwurf hervorbrachten. Nun kam die Schwäche und Süßlichkeit des Zopfes. Wie das architektoniſche Gefühl ſich an die ſtarken Profilirungen ſtieß und an die Maſſenhaftigkeit des vortretenden Ornaments, ſo wurde der Farbenſinn von der Ueberkraft des früheren Colorits zurückgeſtoßen. Man brach die Farben und dämpfte ſie zu un- beſtimmten Miſchfarben. Man wollte ſelbſt das Schwarz nicht mehr haben und bekämpfte es von allen Seiten; ſogar die ſchwarze Trauer ſollte aufgehoben werden. Grau, Grünlich, Bräunlich, Changeant aller Art und dergleichen waren die Farben, welche der charakterloſen Schwäche, dem unbeſtimmten Sehnen und Schweben in der Welt der Gefühle, der unbewußten Unzu- friedenheit mit der allerdings troſtloſen Gegenwart, der träume- riſchen Sentimentalität trefflichſt zuſagten. Das zarte Blaßroſa kann als die Lieblingsfarbe der ſchönen Seelen betrachtet werden. Selbſt die bunten, geblümten Kleiderſtoffe waren aus dieſen Miſchfarben zuſammengeſetzt; kräftigere, lebhafte Farben, die

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Zitationshilfe: Falke, Jakob von: Die deutsche Trachten- und Modenwelt. Ein Beitrag zur deutschen Culturgeschichte. Bd. 2. Leipzig, 1858, S. 327. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/falke_trachten02_1858/339>, abgerufen am 24.11.2024.