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Falke, Jakob von: Die deutsche Trachten- und Modenwelt. Ein Beitrag zur deutschen Culturgeschichte. Bd. 2. Leipzig, 1858.

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III. Die Neuzeit.
Ebenmaß gewachsene Madame Tallien, deren politische Rolle
bekanntlich nicht gering war, auf einem Ball in der großen Oper
in einer weißatlassenen Tunica auf bloßem Leibe, die über das
linke Knie heraufgeschürzt war und das ganze Bein bis an die
Obertheile bloß zeigte; um die Hüfte trug sie einen kostbaren
gestickten, blauatlassenen Schurz; die Tunica ohne Aermel war
über beiden Schultern durch Agraffen festgehalten; die ganz
bloßen Arme hatten dreifache Armbänder; an jedem Finger und
jeder Fußzehe steckte ein Ring; die Haare waren in ein durch-
brochenes Casquet, mit Perlen und Edelsteinen besetzt, gefaßt;
alles war mit Diamanten und Juwelen besäet; unter den
Füßen waren natürlich Sandalen.

Trotzdem aber will die neunziger Jahre hindurch das eigent-
liche griechische Costüm in wenigstens erkennbar ächten Formen
noch keineswegs so recht Platz greifen; was man damals a la
Grecque
nannte, hat nur die oben angegebenen Eigenschaften,
die hohe Taille, den freien Fall des Kleides u. s. w. und häufig
mußte die Nudität a la sauvage das Beste thun. Daneben
spielen auch andere Moden, die freilich den Grundcharakter nicht
ändern, und die griechischen Frisurformen hatten die wenn auch
verkleinerten Hüte und Hauben nicht ganz verdrängen können.
Wir haben schon oben bemerkt, wie das Interesse, welches der
Türkenkrieg einflößte und welches die ägyptische Expedition
wieder zu neuem Leben anfachte, neben dem a la Grecque das
a la Turque in Mode gebracht hatte; aber die Eigenthümlich-
keit desselben beschränkte sich auf turbanartige Hauben und Ara-
beskenverzierungen der Kleider. Auch neue englische Moden
kamen herüber, und mit ihnen namentlich der Spenzer, die
kurze Jacke, welche, wenn die Anekdote recht erzählt, durch Zu-
fall entstanden, von längerer Dauer bei der weiblichen Kleidung
sein sollte. Lord Spencer soll nämlich auf der Jagd beim Ritt
den einen Schoß seines Frackes an einem Ast verloren und,
um nicht halbgeschweift heimzukehren, auch den andern herunter-
gerissen haben. Bei den Herren war die darnach entstandene
Mode sehr vorübergehend.

III. Die Neuzeit.
Ebenmaß gewachſene Madame Tallien, deren politiſche Rolle
bekanntlich nicht gering war, auf einem Ball in der großen Oper
in einer weißatlaſſenen Tunica auf bloßem Leibe, die über das
linke Knie heraufgeſchürzt war und das ganze Bein bis an die
Obertheile bloß zeigte; um die Hüfte trug ſie einen koſtbaren
geſtickten, blauatlaſſenen Schurz; die Tunica ohne Aermel war
über beiden Schultern durch Agraffen feſtgehalten; die ganz
bloßen Arme hatten dreifache Armbänder; an jedem Finger und
jeder Fußzehe ſteckte ein Ring; die Haare waren in ein durch-
brochenes Casquet, mit Perlen und Edelſteinen beſetzt, gefaßt;
alles war mit Diamanten und Juwelen beſäet; unter den
Füßen waren natürlich Sandalen.

Trotzdem aber will die neunziger Jahre hindurch das eigent-
liche griechiſche Coſtüm in wenigſtens erkennbar ächten Formen
noch keineswegs ſo recht Platz greifen; was man damals à la
Grecque
nannte, hat nur die oben angegebenen Eigenſchaften,
die hohe Taille, den freien Fall des Kleides u. ſ. w. und häufig
mußte die Nudität à la sauvage das Beſte thun. Daneben
ſpielen auch andere Moden, die freilich den Grundcharakter nicht
ändern, und die griechiſchen Friſurformen hatten die wenn auch
verkleinerten Hüte und Hauben nicht ganz verdrängen können.
Wir haben ſchon oben bemerkt, wie das Intereſſe, welches der
Türkenkrieg einflößte und welches die ägyptiſche Expedition
wieder zu neuem Leben anfachte, neben dem à la Grecque das
à la Turque in Mode gebracht hatte; aber die Eigenthümlich-
keit deſſelben beſchränkte ſich auf turbanartige Hauben und Ara-
beskenverzierungen der Kleider. Auch neue engliſche Moden
kamen herüber, und mit ihnen namentlich der Spenzer, die
kurze Jacke, welche, wenn die Anekdote recht erzählt, durch Zu-
fall entſtanden, von längerer Dauer bei der weiblichen Kleidung
ſein ſollte. Lord Spencer ſoll nämlich auf der Jagd beim Ritt
den einen Schoß ſeines Frackes an einem Aſt verloren und,
um nicht halbgeſchweift heimzukehren, auch den andern herunter-
geriſſen haben. Bei den Herren war die darnach entſtandene
Mode ſehr vorübergehend.

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[310/0322] III. Die Neuzeit. Ebenmaß gewachſene Madame Tallien, deren politiſche Rolle bekanntlich nicht gering war, auf einem Ball in der großen Oper in einer weißatlaſſenen Tunica auf bloßem Leibe, die über das linke Knie heraufgeſchürzt war und das ganze Bein bis an die Obertheile bloß zeigte; um die Hüfte trug ſie einen koſtbaren geſtickten, blauatlaſſenen Schurz; die Tunica ohne Aermel war über beiden Schultern durch Agraffen feſtgehalten; die ganz bloßen Arme hatten dreifache Armbänder; an jedem Finger und jeder Fußzehe ſteckte ein Ring; die Haare waren in ein durch- brochenes Casquet, mit Perlen und Edelſteinen beſetzt, gefaßt; alles war mit Diamanten und Juwelen beſäet; unter den Füßen waren natürlich Sandalen. Trotzdem aber will die neunziger Jahre hindurch das eigent- liche griechiſche Coſtüm in wenigſtens erkennbar ächten Formen noch keineswegs ſo recht Platz greifen; was man damals à la Grecque nannte, hat nur die oben angegebenen Eigenſchaften, die hohe Taille, den freien Fall des Kleides u. ſ. w. und häufig mußte die Nudität à la sauvage das Beſte thun. Daneben ſpielen auch andere Moden, die freilich den Grundcharakter nicht ändern, und die griechiſchen Friſurformen hatten die wenn auch verkleinerten Hüte und Hauben nicht ganz verdrängen können. Wir haben ſchon oben bemerkt, wie das Intereſſe, welches der Türkenkrieg einflößte und welches die ägyptiſche Expedition wieder zu neuem Leben anfachte, neben dem à la Grecque das à la Turque in Mode gebracht hatte; aber die Eigenthümlich- keit deſſelben beſchränkte ſich auf turbanartige Hauben und Ara- beskenverzierungen der Kleider. Auch neue engliſche Moden kamen herüber, und mit ihnen namentlich der Spenzer, die kurze Jacke, welche, wenn die Anekdote recht erzählt, durch Zu- fall entſtanden, von längerer Dauer bei der weiblichen Kleidung ſein ſollte. Lord Spencer ſoll nämlich auf der Jagd beim Ritt den einen Schoß ſeines Frackes an einem Aſt verloren und, um nicht halbgeſchweift heimzukehren, auch den andern herunter- geriſſen haben. Bei den Herren war die darnach entſtandene Mode ſehr vorübergehend.

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Zitationshilfe: Falke, Jakob von: Die deutsche Trachten- und Modenwelt. Ein Beitrag zur deutschen Culturgeschichte. Bd. 2. Leipzig, 1858, S. 310. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/falke_trachten02_1858/322>, abgerufen am 24.11.2024.