Falke, Jakob von: Die deutsche Trachten- und Modenwelt. Ein Beitrag zur deutschen Culturgeschichte. Bd. 2. Leipzig, 1858.III. Die Neuzeit. maßen der Selbstständigkeit erfreut, bis auf den einfachstenHandwerksmann mit Frau und Tochter legen der Aeltern und Großältern Kleidung ab und folgen der Mode, so gut es eben gehen will. Es sind darum auch nicht mehr bestimmte Vor- rechte, bestimmte abgestufte Preise der Stoffe oder des Schmuckes, welche die willkürlich von oben her festgesetzten Stände oder Classen scheiden, nicht mehr neue und veraltete Moden, sondern der Geschmack allein, der wahre oder vermeinte, wie er grade in zeitgemäßer Weise herrschte, und neben dem Geschmack die im Vermögenszustand liegenden Gränzen. Dieses Zurückweichen der Volkstrachten vor dem Zopfcostüm III. Die Neuzeit. maßen der Selbſtſtändigkeit erfreut, bis auf den einfachſtenHandwerksmann mit Frau und Tochter legen der Aeltern und Großältern Kleidung ab und folgen der Mode, ſo gut es eben gehen will. Es ſind darum auch nicht mehr beſtimmte Vor- rechte, beſtimmte abgeſtufte Preiſe der Stoffe oder des Schmuckes, welche die willkürlich von oben her feſtgeſetzten Stände oder Claſſen ſcheiden, nicht mehr neue und veraltete Moden, ſondern der Geſchmack allein, der wahre oder vermeinte, wie er grade in zeitgemäßer Weiſe herrſchte, und neben dem Geſchmack die im Vermögenszuſtand liegenden Gränzen. Dieſes Zurückweichen der Volkstrachten vor dem Zopfcoſtüm <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <p><pb facs="#f0304" n="292"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#aq">III.</hi> Die Neuzeit.</fw><lb/> maßen der Selbſtſtändigkeit erfreut, bis auf den einfachſten<lb/> Handwerksmann mit Frau und Tochter legen der Aeltern und<lb/> Großältern Kleidung ab und folgen der Mode, ſo gut es eben<lb/> gehen will. Es ſind darum auch nicht mehr beſtimmte Vor-<lb/> rechte, beſtimmte abgeſtufte Preiſe der Stoffe oder des Schmuckes,<lb/> welche die willkürlich von oben her feſtgeſetzten Stände oder<lb/> Claſſen ſcheiden, nicht mehr neue und veraltete Moden, ſondern<lb/> der Geſchmack allein, der wahre oder vermeinte, wie er grade in<lb/> zeitgemäßer Weiſe herrſchte, und neben dem Geſchmack die im<lb/> Vermögenszuſtand liegenden Gränzen.</p><lb/> <p>Dieſes Zurückweichen der Volkstrachten vor dem Zopfcoſtüm<lb/> iſt ebenſo deutlich, wenn auch nicht mit derſelben Ausnahms-<lb/> loſigkeit, auf dem Lande zu bemerken. Wenn wir weiter keine<lb/> Nachrichten darüber hätten, ſo würden wir aus dem Reſultat,<lb/> wie es uns heute vorliegt, den vollgültigſten Beweis ſchöpfen<lb/> können. Wir mögen die deutſchen Volkstrachten muſtern bis<lb/> überall an die Gränzen der deutſchen Zunge, von dem Hirten<lb/> des Berner Oberlandes und der Sennerin an bis hinab zum<lb/> Marſchbauern, zum Ditmarſen, Frieſen und Holländer, vom<lb/> Rheine bis nach Mähren und zur Memel, wir werden kaum<lb/> irgend eine Tracht finden, die in unzerſtörter Vollſtändigkeit<lb/> aus einer dem Zopf voraufgehenden Periode datirte. Viel-<lb/> mehr iſt der größte Theil desjenigen, was uns noch heut zu<lb/> Tage in bunter Vermiſchung der Zeiten und Formen als Volks-<lb/> tracht entgegentritt, der Periode des Zopfes und zwar der zweiten<lb/> Hälfte des achtzehnten Jahrhunderts zuzuſchreiben, ſo ſehr, daß<lb/> uns oft die ganzen Figuren, Männer wie Frauen, gleich leben-<lb/> digen, nur allerdings verbauerten Repräſentanten der glorwür-<lb/> digen Coſtümperiode Ludwigs <hi rendition="#aq">XVI.</hi> vorkommen. Nicht minder<lb/> werden wir noch kräftig an die Löwen und Löwinnen der Revo-<lb/> lution gemahnt, und ſelbſt Erinnerungen an die Anfänge des<lb/> neunzehnten Jahrhunderts können wir nicht abweiſen. Dieſe<lb/> Umwandlung der Volkstrachten macht ſich in ſo bedeutender Weiſe<lb/> geltend, daß man von der Herrſchaft des Zopfes an ihre zweite<lb/> Bildungsperiode beginnen könnte.</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [292/0304]
III. Die Neuzeit.
maßen der Selbſtſtändigkeit erfreut, bis auf den einfachſten
Handwerksmann mit Frau und Tochter legen der Aeltern und
Großältern Kleidung ab und folgen der Mode, ſo gut es eben
gehen will. Es ſind darum auch nicht mehr beſtimmte Vor-
rechte, beſtimmte abgeſtufte Preiſe der Stoffe oder des Schmuckes,
welche die willkürlich von oben her feſtgeſetzten Stände oder
Claſſen ſcheiden, nicht mehr neue und veraltete Moden, ſondern
der Geſchmack allein, der wahre oder vermeinte, wie er grade in
zeitgemäßer Weiſe herrſchte, und neben dem Geſchmack die im
Vermögenszuſtand liegenden Gränzen.
Dieſes Zurückweichen der Volkstrachten vor dem Zopfcoſtüm
iſt ebenſo deutlich, wenn auch nicht mit derſelben Ausnahms-
loſigkeit, auf dem Lande zu bemerken. Wenn wir weiter keine
Nachrichten darüber hätten, ſo würden wir aus dem Reſultat,
wie es uns heute vorliegt, den vollgültigſten Beweis ſchöpfen
können. Wir mögen die deutſchen Volkstrachten muſtern bis
überall an die Gränzen der deutſchen Zunge, von dem Hirten
des Berner Oberlandes und der Sennerin an bis hinab zum
Marſchbauern, zum Ditmarſen, Frieſen und Holländer, vom
Rheine bis nach Mähren und zur Memel, wir werden kaum
irgend eine Tracht finden, die in unzerſtörter Vollſtändigkeit
aus einer dem Zopf voraufgehenden Periode datirte. Viel-
mehr iſt der größte Theil desjenigen, was uns noch heut zu
Tage in bunter Vermiſchung der Zeiten und Formen als Volks-
tracht entgegentritt, der Periode des Zopfes und zwar der zweiten
Hälfte des achtzehnten Jahrhunderts zuzuſchreiben, ſo ſehr, daß
uns oft die ganzen Figuren, Männer wie Frauen, gleich leben-
digen, nur allerdings verbauerten Repräſentanten der glorwür-
digen Coſtümperiode Ludwigs XVI. vorkommen. Nicht minder
werden wir noch kräftig an die Löwen und Löwinnen der Revo-
lution gemahnt, und ſelbſt Erinnerungen an die Anfänge des
neunzehnten Jahrhunderts können wir nicht abweiſen. Dieſe
Umwandlung der Volkstrachten macht ſich in ſo bedeutender Weiſe
geltend, daß man von der Herrſchaft des Zopfes an ihre zweite
Bildungsperiode beginnen könnte.
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