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Falke, Jakob von: Die deutsche Trachten- und Modenwelt. Ein Beitrag zur deutschen Culturgeschichte. Bd. 2. Leipzig, 1858.

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5. Die Periode des Zopfes und die Revolution.
der Perrücke fest, die man damals die spanische oder perruque
quarree
nannte, während sich die übrige Welt der Zopffrisur
gemäß der verkleinerten bediente. Die folgende Geschichte ist ein
Beispiel von der Opposition, welche der "preußische" Zopf von
dieser Seite erfuhr. Es mag gegen das Jahr 1750 gewesen
sein. "Noch immer", so erzählt Jemand aus seiner eigenen Ge-
schichte, "erinnere ich mich lebhaft der Angst, die ich in meinen
Knabenjahren ausstand. Ich war auf einer Trivialschule Cur-
rentschüler und trug wie alle meine Kameraden den preußischen
steifen Haarzopf. Von diesem war nun des Herrn Schulinspec-
tors Hochwürden ein abgesagter Feind. So oft er Schulvisita-
tion hielt, so oft hielt er eine Strafpredigt und immer war das
Thema davon der preußische Zopf. Er gab wirklich Befehl,
daß alle preußischen Haarzöpfe ohne Ansehung und ohne Unter-
schied, sie mochten lang oder kurz, dick oder dünn, falsch oder
wahr, ausgestopft oder unausgestopft sein, gänzlich ausgerottet
werden sollten: aber mein guter alter Rector wandte die meinem
preußischen Haarzopfe fürchterlich drohende Gefahr in Gnaden
ab, und ich pflegte und nährte und bebänderte ihn, bis daß der-
selbige der ehrsamen Candidatenperrücke, wie sich's auch nicht
anders ziemt, Platz machen mußte." Dann berichtet er weiter:
"Ich muß auch erzählen, was uns unser lieber Rector in den-
selben weit aussehenden und gefahrvollen Zeiten erzählte, um
uns mit den Leiden anderer zu trösten. ""Zu meiner Zeit"", er-
zählte er, ""trugen die meisten Schüler ihr Haar rund abgeschnit-
ten. Nur einige die schon in der obersten Classe waren, bald
auf die Akademie ziehen und Stutzer machen wollten, ließen ihre
Haare wachsen, und damit sie nicht auf dem Rücken herumflat-
terten, machten sie sich zweiknotige Zöpfe. Der Pastor des Orts
hielt dies für sündlich. Er ging deswegen öfters aus, um auf
dieselbigen Jagd zu machen. In dieser Absicht trug er beständig
eine Scheere bei sich. Wenn ihm nun ein Currentschüler mit
einem Haarzopf begegnete, so rief er ihn zu sich, als ob er etwas
mit ihm reden wolle. Während der Unterredung wußte er

5. Die Periode des Zopfes und die Revolution.
der Perrücke feſt, die man damals die ſpaniſche oder perruque
quarrée
nannte, während ſich die übrige Welt der Zopffriſur
gemäß der verkleinerten bediente. Die folgende Geſchichte iſt ein
Beiſpiel von der Oppoſition, welche der „preußiſche“ Zopf von
dieſer Seite erfuhr. Es mag gegen das Jahr 1750 geweſen
ſein. „Noch immer“, ſo erzählt Jemand aus ſeiner eigenen Ge-
ſchichte, „erinnere ich mich lebhaft der Angſt, die ich in meinen
Knabenjahren ausſtand. Ich war auf einer Trivialſchule Cur-
rentſchüler und trug wie alle meine Kameraden den preußiſchen
ſteifen Haarzopf. Von dieſem war nun des Herrn Schulinſpec-
tors Hochwürden ein abgeſagter Feind. So oft er Schulviſita-
tion hielt, ſo oft hielt er eine Strafpredigt und immer war das
Thema davon der preußiſche Zopf. Er gab wirklich Befehl,
daß alle preußiſchen Haarzöpfe ohne Anſehung und ohne Unter-
ſchied, ſie mochten lang oder kurz, dick oder dünn, falſch oder
wahr, ausgeſtopft oder unausgeſtopft ſein, gänzlich ausgerottet
werden ſollten: aber mein guter alter Rector wandte die meinem
preußiſchen Haarzopfe fürchterlich drohende Gefahr in Gnaden
ab, und ich pflegte und nährte und bebänderte ihn, bis daß der-
ſelbige der ehrſamen Candidatenperrücke, wie ſich’s auch nicht
anders ziemt, Platz machen mußte.“ Dann berichtet er weiter:
„Ich muß auch erzählen, was uns unſer lieber Rector in den-
ſelben weit ausſehenden und gefahrvollen Zeiten erzählte, um
uns mit den Leiden anderer zu tröſten. „„Zu meiner Zeit““, er-
zählte er, „„trugen die meiſten Schüler ihr Haar rund abgeſchnit-
ten. Nur einige die ſchon in der oberſten Claſſe waren, bald
auf die Akademie ziehen und Stutzer machen wollten, ließen ihre
Haare wachſen, und damit ſie nicht auf dem Rücken herumflat-
terten, machten ſie ſich zweiknotige Zöpfe. Der Paſtor des Orts
hielt dies für ſündlich. Er ging deswegen öfters aus, um auf
dieſelbigen Jagd zu machen. In dieſer Abſicht trug er beſtändig
eine Scheere bei ſich. Wenn ihm nun ein Currentſchüler mit
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[269/0281] 5. Die Periode des Zopfes und die Revolution. der Perrücke feſt, die man damals die ſpaniſche oder perruque quarrée nannte, während ſich die übrige Welt der Zopffriſur gemäß der verkleinerten bediente. Die folgende Geſchichte iſt ein Beiſpiel von der Oppoſition, welche der „preußiſche“ Zopf von dieſer Seite erfuhr. Es mag gegen das Jahr 1750 geweſen ſein. „Noch immer“, ſo erzählt Jemand aus ſeiner eigenen Ge- ſchichte, „erinnere ich mich lebhaft der Angſt, die ich in meinen Knabenjahren ausſtand. Ich war auf einer Trivialſchule Cur- rentſchüler und trug wie alle meine Kameraden den preußiſchen ſteifen Haarzopf. Von dieſem war nun des Herrn Schulinſpec- tors Hochwürden ein abgeſagter Feind. So oft er Schulviſita- tion hielt, ſo oft hielt er eine Strafpredigt und immer war das Thema davon der preußiſche Zopf. Er gab wirklich Befehl, daß alle preußiſchen Haarzöpfe ohne Anſehung und ohne Unter- ſchied, ſie mochten lang oder kurz, dick oder dünn, falſch oder wahr, ausgeſtopft oder unausgeſtopft ſein, gänzlich ausgerottet werden ſollten: aber mein guter alter Rector wandte die meinem preußiſchen Haarzopfe fürchterlich drohende Gefahr in Gnaden ab, und ich pflegte und nährte und bebänderte ihn, bis daß der- ſelbige der ehrſamen Candidatenperrücke, wie ſich’s auch nicht anders ziemt, Platz machen mußte.“ Dann berichtet er weiter: „Ich muß auch erzählen, was uns unſer lieber Rector in den- ſelben weit ausſehenden und gefahrvollen Zeiten erzählte, um uns mit den Leiden anderer zu tröſten. „„Zu meiner Zeit““, er- zählte er, „„trugen die meiſten Schüler ihr Haar rund abgeſchnit- ten. Nur einige die ſchon in der oberſten Claſſe waren, bald auf die Akademie ziehen und Stutzer machen wollten, ließen ihre Haare wachſen, und damit ſie nicht auf dem Rücken herumflat- terten, machten ſie ſich zweiknotige Zöpfe. Der Paſtor des Orts hielt dies für ſündlich. Er ging deswegen öfters aus, um auf dieſelbigen Jagd zu machen. In dieſer Abſicht trug er beſtändig eine Scheere bei ſich. Wenn ihm nun ein Currentſchüler mit einem Haarzopf begegnete, ſo rief er ihn zu ſich, als ob er etwas mit ihm reden wolle. Während der Unterredung wußte er

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Zitationshilfe: Falke, Jakob von: Die deutsche Trachten- und Modenwelt. Ein Beitrag zur deutschen Culturgeschichte. Bd. 2. Leipzig, 1858, S. 269. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/falke_trachten02_1858/281>, abgerufen am 09.05.2024.