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Falke, Jakob von: Die deutsche Trachten- und Modenwelt. Ein Beitrag zur deutschen Culturgeschichte. Bd. 2. Leipzig, 1858.

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III. Die Neuzeit.
Formen, Verhältnisse und Intentionen und nach der andern ein
kleinlich unruhiges Wesen, Steifheit, Abgeschmacktheit und Un-
sinn der Gedanken in den Verzierungen. Wenn die Baukunst
in ihrer imposanten und noblen Verschwendung des Raumes
und der Massen Würde, Pracht und Majestät erreicht, so hebt
sie diese Wirkung durch die übertriebene und immer gebrochene
Gliederung, durch die Ueberladung mit Detail wieder auf. Die
großartigen Palastanlagen, mit denen jeder Fürst die berühmten
zu Versailles nachzuahmen suchte, sprechen durchaus im Pathos
zu uns: colossal in den Dimensionen, oft von ausgezeichneter
Schönheit in den Verhältnissen, mit scharfen, weit heraussprin-
genden Profilen und gekrönt von reichem plastischen Bilderwerk,
werfen sie auf die großen, freien, sonnigen Höfe ihre breiten
Schattenmassen, aber ein Blick auf die Lichtseite des Gebäudes,
und wir erkennen einen unendlichen Wechsel der gebrochenen
Linien, einen krausen Wust von Vorsprüngen und Vertiefungen
des architektonischen oder bildnerischen Schmucks, daß unter der
unruhigen und kleinlichen Zerlegung von Licht und Schatten
der Eindruck wieder verschwindet. Da drehen sich die Säulen in
tauartigen Spiralen, da bäumen und brechen sich die Giebel in
allerlei Formen und Unformen; die Fenster werden zerschnitten
mit Bögen und graden Linien; Thürme und Dächer gestalten
sich wie Zwiebeln und Birnen; die Kuppeln werden flach ge-
drückt, umgekehrt schüsselförmig, selbst oval: kurz, jeder Theil
weicht willkürlich heraus aus seiner ihm naturgemäß angewie-
senen Grenze und Richtung.

An die Palastbauten schließen sich die Gartenanlagen im
Geiste wie im Plane auf's engste an. Aber fast in noch höherer
Weise tragen sie den Charakter der Zeit zur Schau, denn hier
sind es nicht Kunstwerke aus einem unfreien Material, denen sie
ihre Formen giebt, sondern es ist die Natur selbst, welche sonst
der menschlichen Gesetze zu spotten pflegt. Auch hier ist die
Großartigkeit der Anlage, die Nichtachtung von Raum und
Mitteln nicht zu verkennen: weite Perspectiven eröffnen sich dem
Blick, Wassermassen beleben die Räumlichkeiten in großen Bas-

III. Die Neuzeit.
Formen, Verhältniſſe und Intentionen und nach der andern ein
kleinlich unruhiges Weſen, Steifheit, Abgeſchmacktheit und Un-
ſinn der Gedanken in den Verzierungen. Wenn die Baukunſt
in ihrer impoſanten und noblen Verſchwendung des Raumes
und der Maſſen Würde, Pracht und Majeſtät erreicht, ſo hebt
ſie dieſe Wirkung durch die übertriebene und immer gebrochene
Gliederung, durch die Ueberladung mit Detail wieder auf. Die
großartigen Palaſtanlagen, mit denen jeder Fürſt die berühmten
zu Verſailles nachzuahmen ſuchte, ſprechen durchaus im Pathos
zu uns: coloſſal in den Dimenſionen, oft von ausgezeichneter
Schönheit in den Verhältniſſen, mit ſcharfen, weit herausſprin-
genden Profilen und gekrönt von reichem plaſtiſchen Bilderwerk,
werfen ſie auf die großen, freien, ſonnigen Höfe ihre breiten
Schattenmaſſen, aber ein Blick auf die Lichtſeite des Gebäudes,
und wir erkennen einen unendlichen Wechſel der gebrochenen
Linien, einen krauſen Wuſt von Vorſprüngen und Vertiefungen
des architektoniſchen oder bildneriſchen Schmucks, daß unter der
unruhigen und kleinlichen Zerlegung von Licht und Schatten
der Eindruck wieder verſchwindet. Da drehen ſich die Säulen in
tauartigen Spiralen, da bäumen und brechen ſich die Giebel in
allerlei Formen und Unformen; die Fenſter werden zerſchnitten
mit Bögen und graden Linien; Thürme und Dächer geſtalten
ſich wie Zwiebeln und Birnen; die Kuppeln werden flach ge-
drückt, umgekehrt ſchüſſelförmig, ſelbſt oval: kurz, jeder Theil
weicht willkürlich heraus aus ſeiner ihm naturgemäß angewie-
ſenen Grenze und Richtung.

An die Palaſtbauten ſchließen ſich die Gartenanlagen im
Geiſte wie im Plane auf’s engſte an. Aber faſt in noch höherer
Weiſe tragen ſie den Charakter der Zeit zur Schau, denn hier
ſind es nicht Kunſtwerke aus einem unfreien Material, denen ſie
ihre Formen giebt, ſondern es iſt die Natur ſelbſt, welche ſonſt
der menſchlichen Geſetze zu ſpotten pflegt. Auch hier iſt die
Großartigkeit der Anlage, die Nichtachtung von Raum und
Mitteln nicht zu verkennen: weite Perſpectiven eröffnen ſich dem
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[220/0232] III. Die Neuzeit. Formen, Verhältniſſe und Intentionen und nach der andern ein kleinlich unruhiges Weſen, Steifheit, Abgeſchmacktheit und Un- ſinn der Gedanken in den Verzierungen. Wenn die Baukunſt in ihrer impoſanten und noblen Verſchwendung des Raumes und der Maſſen Würde, Pracht und Majeſtät erreicht, ſo hebt ſie dieſe Wirkung durch die übertriebene und immer gebrochene Gliederung, durch die Ueberladung mit Detail wieder auf. Die großartigen Palaſtanlagen, mit denen jeder Fürſt die berühmten zu Verſailles nachzuahmen ſuchte, ſprechen durchaus im Pathos zu uns: coloſſal in den Dimenſionen, oft von ausgezeichneter Schönheit in den Verhältniſſen, mit ſcharfen, weit herausſprin- genden Profilen und gekrönt von reichem plaſtiſchen Bilderwerk, werfen ſie auf die großen, freien, ſonnigen Höfe ihre breiten Schattenmaſſen, aber ein Blick auf die Lichtſeite des Gebäudes, und wir erkennen einen unendlichen Wechſel der gebrochenen Linien, einen krauſen Wuſt von Vorſprüngen und Vertiefungen des architektoniſchen oder bildneriſchen Schmucks, daß unter der unruhigen und kleinlichen Zerlegung von Licht und Schatten der Eindruck wieder verſchwindet. Da drehen ſich die Säulen in tauartigen Spiralen, da bäumen und brechen ſich die Giebel in allerlei Formen und Unformen; die Fenſter werden zerſchnitten mit Bögen und graden Linien; Thürme und Dächer geſtalten ſich wie Zwiebeln und Birnen; die Kuppeln werden flach ge- drückt, umgekehrt ſchüſſelförmig, ſelbſt oval: kurz, jeder Theil weicht willkürlich heraus aus ſeiner ihm naturgemäß angewie- ſenen Grenze und Richtung. An die Palaſtbauten ſchließen ſich die Gartenanlagen im Geiſte wie im Plane auf’s engſte an. Aber faſt in noch höherer Weiſe tragen ſie den Charakter der Zeit zur Schau, denn hier ſind es nicht Kunſtwerke aus einem unfreien Material, denen ſie ihre Formen giebt, ſondern es iſt die Natur ſelbſt, welche ſonſt der menſchlichen Geſetze zu ſpotten pflegt. Auch hier iſt die Großartigkeit der Anlage, die Nichtachtung von Raum und Mitteln nicht zu verkennen: weite Perſpectiven eröffnen ſich dem Blick, Waſſermaſſen beleben die Räumlichkeiten in großen Baſ-

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Zitationshilfe: Falke, Jakob von: Die deutsche Trachten- und Modenwelt. Ein Beitrag zur deutschen Culturgeschichte. Bd. 2. Leipzig, 1858, S. 220. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/falke_trachten02_1858/232>, abgerufen am 24.11.2024.