Falke, Jakob von: Die deutsche Trachten- und Modenwelt. Ein Beitrag zur deutschen Culturgeschichte. Bd. 2. Leipzig, 1858.4. Die Staatsperrücke u. d. absolute Herrschaft d. französ. Mode. angeregt, sondern durch Sinnenreize beschäftigt sein wollte. DieOper konnte alles sein, ein Mysterium so gut wie ein Schäfer- spiel oder ein Heldendrama, tragisch oder komisch, und alles zu- sammen. Alle Mittel wurden verschwendet, den höchsten Zauber der Decoration und der Maschinerie zu entfalten; sie führte die Augen und Ohren des Publikums durch Himmel und Hölle; sie unterhielt mit Balletten, mit Zauberscenen und Verwandlungen; sie brannte Feuerwerke ab, brachte Schlachten und Kanonen- donner auf die Bühne; Pferde, Esel, Kameele erschienen und das Brüllen und Brummen von Ungeheuern und wilden Thieren mußte mitwirken zu musikalischen Effecten. Endlich nach voll- ständigster Ueberreizung und Blasirtheit fand sogar Hanswurst mit seinen derben Späßen und gemeinem Gefolge Eingang in die vornehme Gesellschaft der Oper. Wie der Pomp und die Massenhaftigkeit in Oper und Was die Kunst betrifft, so wollen wir nur der Architektur 4. Die Staatsperrücke u. d. abſolute Herrſchaft d. franzöſ. Mode. angeregt, ſondern durch Sinnenreize beſchäftigt ſein wollte. DieOper konnte alles ſein, ein Myſterium ſo gut wie ein Schäfer- ſpiel oder ein Heldendrama, tragiſch oder komiſch, und alles zu- ſammen. Alle Mittel wurden verſchwendet, den höchſten Zauber der Decoration und der Maſchinerie zu entfalten; ſie führte die Augen und Ohren des Publikums durch Himmel und Hölle; ſie unterhielt mit Balletten, mit Zauberſcenen und Verwandlungen; ſie brannte Feuerwerke ab, brachte Schlachten und Kanonen- donner auf die Bühne; Pferde, Eſel, Kameele erſchienen und das Brüllen und Brummen von Ungeheuern und wilden Thieren mußte mitwirken zu muſikaliſchen Effecten. Endlich nach voll- ſtändigſter Ueberreizung und Blaſirtheit fand ſogar Hanswurſt mit ſeinen derben Späßen und gemeinem Gefolge Eingang in die vornehme Geſellſchaft der Oper. Wie der Pomp und die Maſſenhaftigkeit in Oper und Was die Kunſt betrifft, ſo wollen wir nur der Architektur <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <p><pb facs="#f0231" n="219"/><fw place="top" type="header">4. Die Staatsperrücke u. d. abſolute Herrſchaft d. franzöſ. Mode.</fw><lb/> angeregt, ſondern durch Sinnenreize beſchäftigt ſein wollte. Die<lb/> Oper konnte alles ſein, ein Myſterium ſo gut wie ein Schäfer-<lb/> ſpiel oder ein Heldendrama, tragiſch oder komiſch, und alles zu-<lb/> ſammen. Alle Mittel wurden verſchwendet, den höchſten Zauber<lb/> der Decoration und der Maſchinerie zu entfalten; ſie führte die<lb/> Augen und Ohren des Publikums durch Himmel und Hölle; ſie<lb/> unterhielt mit Balletten, mit Zauberſcenen und Verwandlungen;<lb/> ſie brannte Feuerwerke ab, brachte Schlachten und Kanonen-<lb/> donner auf die Bühne; Pferde, Eſel, Kameele erſchienen und<lb/> das Brüllen und Brummen von Ungeheuern und wilden Thieren<lb/> mußte mitwirken zu muſikaliſchen Effecten. Endlich nach voll-<lb/> ſtändigſter Ueberreizung und Blaſirtheit fand ſogar Hanswurſt<lb/> mit ſeinen derben Späßen und gemeinem Gefolge Eingang in<lb/> die vornehme Geſellſchaft der Oper.</p><lb/> <p>Wie der Pomp und die Maſſenhaftigkeit in Oper und<lb/> Schauſpiel, herrſchte die Phraſe im Stil der Proſa. Mit der<lb/> Pracht der Sprache, welche auch die Roheit nicht ablegte, ver-<lb/> band ſich die „Zierde“ oder Zierlichkeit. Dadurch wurde der<lb/> Stil noch manierirter, denn indem ihm gewiſſermaßen Schrauben<lb/> angelegt wurden, verlor er die wilde Freiheit, welche er in der<lb/> Herrſchaft des Bombaſtes noch gehabt hatte: er wurde hoch-<lb/> trabend, pathetiſch, pompös, ſteifen Gangs wie auf hohen Ab-<lb/> ſätzen gehend und die Schleppe hinter ſich herſchleifend, und<lb/> ſchmückte ſich zugleich mit zierlichen, gedrechſelten Redensarten,<lb/> mit fein gekräuſelten Floskeln. Die Satzfügung wurde ver-<lb/> ſchroben, undeutſch, unklar und dunkel. Wie der Kopf des<lb/> Mannes unter der Lockenmaſſe der Perrücke verſchwindet, ſo war<lb/> jeder Gedanke in ein geſchraubtes, ſteifes, verſchnörkeltes Satz-<lb/> gebäude eingeſchloſſen, durch welches man ſich mühevoll durch-<lb/> arbeiten muß, um den Inhalt zu finden: man glaubt in einem<lb/> Irrgarten zu ſein.</p><lb/> <p>Was die Kunſt betrifft, ſo wollen wir nur der Architektur<lb/> und der Gartenkunſt gedenken, welche beide das doppelſeitige<lb/> Weſen der Zeit in großartigſter Weiſe zur Schau tragen. Auch<lb/> hier iſt nach der einen Seite Maſſenhaftigkeit, Coloſſalität der<lb/></p> </div> </div> </body> </text> </TEI> [219/0231]
4. Die Staatsperrücke u. d. abſolute Herrſchaft d. franzöſ. Mode.
angeregt, ſondern durch Sinnenreize beſchäftigt ſein wollte. Die
Oper konnte alles ſein, ein Myſterium ſo gut wie ein Schäfer-
ſpiel oder ein Heldendrama, tragiſch oder komiſch, und alles zu-
ſammen. Alle Mittel wurden verſchwendet, den höchſten Zauber
der Decoration und der Maſchinerie zu entfalten; ſie führte die
Augen und Ohren des Publikums durch Himmel und Hölle; ſie
unterhielt mit Balletten, mit Zauberſcenen und Verwandlungen;
ſie brannte Feuerwerke ab, brachte Schlachten und Kanonen-
donner auf die Bühne; Pferde, Eſel, Kameele erſchienen und
das Brüllen und Brummen von Ungeheuern und wilden Thieren
mußte mitwirken zu muſikaliſchen Effecten. Endlich nach voll-
ſtändigſter Ueberreizung und Blaſirtheit fand ſogar Hanswurſt
mit ſeinen derben Späßen und gemeinem Gefolge Eingang in
die vornehme Geſellſchaft der Oper.
Wie der Pomp und die Maſſenhaftigkeit in Oper und
Schauſpiel, herrſchte die Phraſe im Stil der Proſa. Mit der
Pracht der Sprache, welche auch die Roheit nicht ablegte, ver-
band ſich die „Zierde“ oder Zierlichkeit. Dadurch wurde der
Stil noch manierirter, denn indem ihm gewiſſermaßen Schrauben
angelegt wurden, verlor er die wilde Freiheit, welche er in der
Herrſchaft des Bombaſtes noch gehabt hatte: er wurde hoch-
trabend, pathetiſch, pompös, ſteifen Gangs wie auf hohen Ab-
ſätzen gehend und die Schleppe hinter ſich herſchleifend, und
ſchmückte ſich zugleich mit zierlichen, gedrechſelten Redensarten,
mit fein gekräuſelten Floskeln. Die Satzfügung wurde ver-
ſchroben, undeutſch, unklar und dunkel. Wie der Kopf des
Mannes unter der Lockenmaſſe der Perrücke verſchwindet, ſo war
jeder Gedanke in ein geſchraubtes, ſteifes, verſchnörkeltes Satz-
gebäude eingeſchloſſen, durch welches man ſich mühevoll durch-
arbeiten muß, um den Inhalt zu finden: man glaubt in einem
Irrgarten zu ſein.
Was die Kunſt betrifft, ſo wollen wir nur der Architektur
und der Gartenkunſt gedenken, welche beide das doppelſeitige
Weſen der Zeit in großartigſter Weiſe zur Schau tragen. Auch
hier iſt nach der einen Seite Maſſenhaftigkeit, Coloſſalität der
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools ?Language Resource Switchboard?FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |