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Falke, Jakob von: Die deutsche Trachten- und Modenwelt. Ein Beitrag zur deutschen Culturgeschichte. Bd. 2. Leipzig, 1858.

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3. Der Naturalismus u. d. Stutzerthum des dreißigjähr. Kriegs.
Wenn man sich nun noch den Hut, die Stiefel oder Schuhe und
selbst das Haar mit ähnlichem Schmuck bedeckt denkt und die De-
genkuppel, die jetzt über die Schultern hing, mit Spitzen, Borten,
Perlen und Goldarbeiten besetzt, so mag Philander Recht haben,
wenn er sagt: "Und möchte mancher meinen, er sehe einen Kram-
gaden aufgethan oder in einen Paternoster-Laden, so mit mancher-
lei Farben von Nesteln, Bändeln, Zweifelstricken, Schlüpfen und
anderm, so sie favores nennen, sind sie an Haut und Haaren, an
Hosen und Wamms, an Leib und Seel behenket, beschlenket, be-
knöpfet und beladen." Parfümirte farbige Handschuhe, die gewöhn-
lich in der linken Hand getragen wurden, und ein mächtiger hoher
Knotenstock mit Knopf oder Krücke, den man auch in der Hand fürst-
licher Personen finden kann, vollendeten das Bild des Stutzers.

Es ist aber noch zu bemerken, daß vor dieser windigen Ei-
telkeit und dem flotten Soldatengeist auch die ernsten, dunklen
Farben wieder verschwanden, welche die Reactionsperiode modern
gemacht hatte. Es wurde auf's neue eine lustig bunte Welt, die
an hellen Farben Gefallen fand, doch hatten bei so viel anderer
Zierde die einfarbigen Stoffe vor den buntgemusterten den Vor-
zug. Die schwarze Kleidung oder die dunkle blieb in Deutsch-
land allenfalls in der bürgerlichen Welt, welche sich vor der
Mode zurückzog, namentlich aber in den republikanischen und re-
formirten Niederlanden, wo sie noch Jahrzehnte in Ehren und
Ansehn stand.

Zur Bezeichnung für dieses tolle Stutzerthum, das auf der
Straße mit dem Sarraß rasselte, die Sporen klirren und die
Metallstifte klingen ließ, das mit den Stulpen und dem andern
überflüssigen Stoff einherrauschte und mit den Pantoffeln klap-
perte, hatte man damals eine eigene Art Sprache erfunden, die
nicht Philander von Sittewald allein gebrauchte. So heißt z. B.
die Ueberschrift eines fliegenden Blattes: "Kartell stutzerischen
Aufzugs der durchsichtigen, hochgefiederten, wohlgespornten und
weitgestiefelten, langschwarzhärigen, zigeunerischen, wohlver-
nestelten, langlapphosischen, milztägischen, wohlherausstaffirten,
weltbekannten Cavalliere. Sammt deren hochgeputzten, hoch-

Falke, Trachten- und Modenwelt. II. 13

3. Der Naturalismus u. d. Stutzerthum des dreißigjähr. Kriegs.
Wenn man ſich nun noch den Hut, die Stiefel oder Schuhe und
ſelbſt das Haar mit ähnlichem Schmuck bedeckt denkt und die De-
genkuppel, die jetzt über die Schultern hing, mit Spitzen, Borten,
Perlen und Goldarbeiten beſetzt, ſo mag Philander Recht haben,
wenn er ſagt: „Und möchte mancher meinen, er ſehe einen Kram-
gaden aufgethan oder in einen Paternoſter-Laden, ſo mit mancher-
lei Farben von Neſteln, Bändeln, Zweifelſtricken, Schlüpfen und
anderm, ſo ſie favores nennen, ſind ſie an Haut und Haaren, an
Hoſen und Wamms, an Leib und Seel behenket, beſchlenket, be-
knöpfet und beladen.“ Parfümirte farbige Handſchuhe, die gewöhn-
lich in der linken Hand getragen wurden, und ein mächtiger hoher
Knotenſtock mit Knopf oder Krücke, den man auch in der Hand fürſt-
licher Perſonen finden kann, vollendeten das Bild des Stutzers.

Es iſt aber noch zu bemerken, daß vor dieſer windigen Ei-
telkeit und dem flotten Soldatengeiſt auch die ernſten, dunklen
Farben wieder verſchwanden, welche die Reactionsperiode modern
gemacht hatte. Es wurde auf’s neue eine luſtig bunte Welt, die
an hellen Farben Gefallen fand, doch hatten bei ſo viel anderer
Zierde die einfarbigen Stoffe vor den buntgemuſterten den Vor-
zug. Die ſchwarze Kleidung oder die dunkle blieb in Deutſch-
land allenfalls in der bürgerlichen Welt, welche ſich vor der
Mode zurückzog, namentlich aber in den republikaniſchen und re-
formirten Niederlanden, wo ſie noch Jahrzehnte in Ehren und
Anſehn ſtand.

Zur Bezeichnung für dieſes tolle Stutzerthum, das auf der
Straße mit dem Sarraß raſſelte, die Sporen klirren und die
Metallſtifte klingen ließ, das mit den Stulpen und dem andern
überflüſſigen Stoff einherrauſchte und mit den Pantoffeln klap-
perte, hatte man damals eine eigene Art Sprache erfunden, die
nicht Philander von Sittewald allein gebrauchte. So heißt z. B.
die Ueberſchrift eines fliegenden Blattes: „Kartell ſtutzeriſchen
Aufzugs der durchſichtigen, hochgefiederten, wohlgeſpornten und
weitgeſtiefelten, langſchwarzhärigen, zigeuneriſchen, wohlver-
neſtelten, langlapphoſiſchen, milztägiſchen, wohlherausſtaffirten,
weltbekannten Cavalliere. Sammt deren hochgeputzten, hoch-

Falke, Trachten- und Modenwelt. II. 13
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[193/0205] 3. Der Naturalismus u. d. Stutzerthum des dreißigjähr. Kriegs. Wenn man ſich nun noch den Hut, die Stiefel oder Schuhe und ſelbſt das Haar mit ähnlichem Schmuck bedeckt denkt und die De- genkuppel, die jetzt über die Schultern hing, mit Spitzen, Borten, Perlen und Goldarbeiten beſetzt, ſo mag Philander Recht haben, wenn er ſagt: „Und möchte mancher meinen, er ſehe einen Kram- gaden aufgethan oder in einen Paternoſter-Laden, ſo mit mancher- lei Farben von Neſteln, Bändeln, Zweifelſtricken, Schlüpfen und anderm, ſo ſie favores nennen, ſind ſie an Haut und Haaren, an Hoſen und Wamms, an Leib und Seel behenket, beſchlenket, be- knöpfet und beladen.“ Parfümirte farbige Handſchuhe, die gewöhn- lich in der linken Hand getragen wurden, und ein mächtiger hoher Knotenſtock mit Knopf oder Krücke, den man auch in der Hand fürſt- licher Perſonen finden kann, vollendeten das Bild des Stutzers. Es iſt aber noch zu bemerken, daß vor dieſer windigen Ei- telkeit und dem flotten Soldatengeiſt auch die ernſten, dunklen Farben wieder verſchwanden, welche die Reactionsperiode modern gemacht hatte. Es wurde auf’s neue eine luſtig bunte Welt, die an hellen Farben Gefallen fand, doch hatten bei ſo viel anderer Zierde die einfarbigen Stoffe vor den buntgemuſterten den Vor- zug. Die ſchwarze Kleidung oder die dunkle blieb in Deutſch- land allenfalls in der bürgerlichen Welt, welche ſich vor der Mode zurückzog, namentlich aber in den republikaniſchen und re- formirten Niederlanden, wo ſie noch Jahrzehnte in Ehren und Anſehn ſtand. Zur Bezeichnung für dieſes tolle Stutzerthum, das auf der Straße mit dem Sarraß raſſelte, die Sporen klirren und die Metallſtifte klingen ließ, das mit den Stulpen und dem andern überflüſſigen Stoff einherrauſchte und mit den Pantoffeln klap- perte, hatte man damals eine eigene Art Sprache erfunden, die nicht Philander von Sittewald allein gebrauchte. So heißt z. B. die Ueberſchrift eines fliegenden Blattes: „Kartell ſtutzeriſchen Aufzugs der durchſichtigen, hochgefiederten, wohlgeſpornten und weitgeſtiefelten, langſchwarzhärigen, zigeuneriſchen, wohlver- neſtelten, langlapphoſiſchen, milztägiſchen, wohlherausſtaffirten, weltbekannten Cavalliere. Sammt deren hochgeputzten, hoch- Falke, Trachten- und Modenwelt. II. 13

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Zitationshilfe: Falke, Jakob von: Die deutsche Trachten- und Modenwelt. Ein Beitrag zur deutschen Culturgeschichte. Bd. 2. Leipzig, 1858, S. 193. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/falke_trachten02_1858/205>, abgerufen am 09.05.2024.