müther, welche das Neue, Wunderbare und Unerhörte immer hervorbringt, hatten die großen Entdeckungen zur See und in deren Folge die veränderten Verkehrsströmungen den Kaufmann in neue Bahnen gelenkt, was durch wachsenden Reichthum, durch Vermehrung seines Ansehns, durch die leichtere Zugänglichkeit dieser oder jener fremden Produkte, sowie durch vergrößerten Ab- satz auf das Gewerbe und die arbeitenden Classen seinen noth- wendigen Rückschlag äußerte.
Im Handwerk verursachte zudem bei Bevorzugung der Technik der veränderte Kunstgeschmack mehr, als man glauben möchte, lebhafte Aufregung. Denn damals galt eine Arbeit, wenn sie fertig war, damit noch nicht für abgethan, sondern wie sie unter den Händen ihres Meisters gedieh und der Vollendung entgegen ging, wuchs sie ihm ans Herz und empfing in Form und Zierrath die bleibenden Zeichen seiner Liebe und bewahrte sein Interesse. Fabrikmäßige Massenarbeit kannte man nicht; jedes einzelne Erzeugniß, das nur im geringsten irgend ein Schönheitsinteresse erwecken konnte, erhielt größere Individua- lität, gewissermaßen eine individuelle Physiognomie. Bis in den Anfang des sechszehnten Jahrhunderts hatte man in der alten deutschen Weise fortgearbeitet, in dem reichen, blühenden Stil der späteren Gothik, der grade auf dem Gebiet des Kunst- gewerbes für die Kirche wie für das Haus in Holz, Metall, Stein und Thon so bewunderungswürdige Erzeugnisse hervor- gebracht hat. Nun drang der italienische Geschmack, die in freier Weise wieder aufgelebte Antike über die Alpen, und was bisher für schön gegolten, was aus dem deutschen Herzen entsprungen und mit deutscher Liebe und Hingebung ausgeführt war, das sollte nun häßlich, roh, barbarisch, das sollte gothisch sein in der italienischen Bedeutung des Worts. Kein Wunder, daß der Handwerksmann an seinen Erfindungen irre ward; ob er sich in die neue "antikische" Weise hineinfinden konnte oder nicht, er mußte ihr folgen. Anfangs suchte er noch das neue Ornament in die alten Grundformen einzufügen, bis er auch dieses auf- geben mußte. Dann rief er die Kunst des gelernten Malers und
III. Die Neuzeit.
müther, welche das Neue, Wunderbare und Unerhörte immer hervorbringt, hatten die großen Entdeckungen zur See und in deren Folge die veränderten Verkehrsſtrömungen den Kaufmann in neue Bahnen gelenkt, was durch wachſenden Reichthum, durch Vermehrung ſeines Anſehns, durch die leichtere Zugänglichkeit dieſer oder jener fremden Produkte, ſowie durch vergrößerten Ab- ſatz auf das Gewerbe und die arbeitenden Claſſen ſeinen noth- wendigen Rückſchlag äußerte.
Im Handwerk verurſachte zudem bei Bevorzugung der Technik der veränderte Kunſtgeſchmack mehr, als man glauben möchte, lebhafte Aufregung. Denn damals galt eine Arbeit, wenn ſie fertig war, damit noch nicht für abgethan, ſondern wie ſie unter den Händen ihres Meiſters gedieh und der Vollendung entgegen ging, wuchs ſie ihm ans Herz und empfing in Form und Zierrath die bleibenden Zeichen ſeiner Liebe und bewahrte ſein Intereſſe. Fabrikmäßige Maſſenarbeit kannte man nicht; jedes einzelne Erzeugniß, das nur im geringſten irgend ein Schönheitsintereſſe erwecken konnte, erhielt größere Individua- lität, gewiſſermaßen eine individuelle Phyſiognomie. Bis in den Anfang des ſechszehnten Jahrhunderts hatte man in der alten deutſchen Weiſe fortgearbeitet, in dem reichen, blühenden Stil der ſpäteren Gothik, der grade auf dem Gebiet des Kunſt- gewerbes für die Kirche wie für das Haus in Holz, Metall, Stein und Thon ſo bewunderungswürdige Erzeugniſſe hervor- gebracht hat. Nun drang der italieniſche Geſchmack, die in freier Weiſe wieder aufgelebte Antike über die Alpen, und was bisher für ſchön gegolten, was aus dem deutſchen Herzen entſprungen und mit deutſcher Liebe und Hingebung ausgeführt war, das ſollte nun häßlich, roh, barbariſch, das ſollte gothiſch ſein in der italieniſchen Bedeutung des Worts. Kein Wunder, daß der Handwerksmann an ſeinen Erfindungen irre ward; ob er ſich in die neue „antikiſche“ Weiſe hineinfinden konnte oder nicht, er mußte ihr folgen. Anfangs ſuchte er noch das neue Ornament in die alten Grundformen einzufügen, bis er auch dieſes auf- geben mußte. Dann rief er die Kunſt des gelernten Malers und
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III. Die Neuzeit.
müther, welche das Neue, Wunderbare und Unerhörte immer
hervorbringt, hatten die großen Entdeckungen zur See und in
deren Folge die veränderten Verkehrsſtrömungen den Kaufmann
in neue Bahnen gelenkt, was durch wachſenden Reichthum, durch
Vermehrung ſeines Anſehns, durch die leichtere Zugänglichkeit
dieſer oder jener fremden Produkte, ſowie durch vergrößerten Ab-
ſatz auf das Gewerbe und die arbeitenden Claſſen ſeinen noth-
wendigen Rückſchlag äußerte.
Im Handwerk verurſachte zudem bei Bevorzugung der
Technik der veränderte Kunſtgeſchmack mehr, als man glauben
möchte, lebhafte Aufregung. Denn damals galt eine Arbeit,
wenn ſie fertig war, damit noch nicht für abgethan, ſondern wie
ſie unter den Händen ihres Meiſters gedieh und der Vollendung
entgegen ging, wuchs ſie ihm ans Herz und empfing in Form
und Zierrath die bleibenden Zeichen ſeiner Liebe und bewahrte
ſein Intereſſe. Fabrikmäßige Maſſenarbeit kannte man nicht;
jedes einzelne Erzeugniß, das nur im geringſten irgend ein
Schönheitsintereſſe erwecken konnte, erhielt größere Individua-
lität, gewiſſermaßen eine individuelle Phyſiognomie. Bis in
den Anfang des ſechszehnten Jahrhunderts hatte man in der
alten deutſchen Weiſe fortgearbeitet, in dem reichen, blühenden
Stil der ſpäteren Gothik, der grade auf dem Gebiet des Kunſt-
gewerbes für die Kirche wie für das Haus in Holz, Metall,
Stein und Thon ſo bewunderungswürdige Erzeugniſſe hervor-
gebracht hat. Nun drang der italieniſche Geſchmack, die in freier
Weiſe wieder aufgelebte Antike über die Alpen, und was bisher
für ſchön gegolten, was aus dem deutſchen Herzen entſprungen
und mit deutſcher Liebe und Hingebung ausgeführt war, das
ſollte nun häßlich, roh, barbariſch, das ſollte gothiſch ſein in
der italieniſchen Bedeutung des Worts. Kein Wunder, daß der
Handwerksmann an ſeinen Erfindungen irre ward; ob er ſich in
die neue „antikiſche“ Weiſe hineinfinden konnte oder nicht, er
mußte ihr folgen. Anfangs ſuchte er noch das neue Ornament
in die alten Grundformen einzufügen, bis er auch dieſes auf-
geben mußte. Dann rief er die Kunſt des gelernten Malers und
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Falke, Jakob von: Die deutsche Trachten- und Modenwelt. Ein Beitrag zur deutschen Culturgeschichte. Bd. 2. Leipzig, 1858, S. 8. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/falke_trachten02_1858/20>, abgerufen am 08.07.2024.
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