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Falke, Jakob von: Die deutsche Trachten- und Modenwelt. Ein Beitrag zur deutschen Culturgeschichte. Bd. 2. Leipzig, 1858.

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3. Der Naturalismus u. d. Stutzerthum des dreißigjähr. Kriegs.
als Sieger und verfolgt, renommistisch aufgeputzt und bettler-
haft zerlumpt.

Diese Söhne des Kriegs, die flotten, freien Glücksritter
wie das scheue Gesindel, wurden die Vorbilder der städtischen
Müssiggänger. Mehr oder weniger war die ganze civilistische
Welt von der soldatischen Eitelkeit und dem hohlen Scheinwesen
angesteckt und trug solches Stutzerthum im Aeußeren zur Schau.

"Weil wir leben in dem Krieg, muß ich alle meine Sachen,
Wammesachsel, Kleid und Schoß nach der Rüstung lassen machen."
So entschuldigt die stutzerische Jugend ihr kriegerisches Aussehen.
Es folgten allmählig auch die Alten, sodaß wir z. B. am Ende
des Kriegs bei dem Friedensschlusse zu Nürnberg die sämmtlichen
Gesandten, die gelehrten Doctoren und Diplomaten wie die Ge-
nerale und Obersten, in gleicher Weise gestiefelt und gespornt
sehen.

Vor allen aber kommt dies Unwesen an den Stutzern und
Pflastertretern zur Erscheinung, die sich jetzt wie eine geschlossene
Kaste von der übrigen Menschheit sondern und auch von dersel-
ben also betrachtet werden. Man sah sie damals in London, wo
sie auf der Promenade der fashionablen Welt, dem St. Pauls-
gang an der St. Paulskirche, Vormittags bis elf Uhr und Nach-
mittags von drei bis sechs flanirten, während der Schneider hin-
ter dem Pfeiler lauschte, um sich die neue Mode zu merken; man
sah sie in Paris vor den Läden, namentlich des heutigen Palais
royal, auf und ab spaziren; man konnte sie in Deutschland überall
in allen Städten finden. Alamode zu sein in allen Dingen, in
Kleidung, Sprache und Leben, das war ihre Aufgabe. Ihre
Redeweise war ein Gemisch von Deutsch, Französisch, Italienisch
oder Spanisch nebst einzelnen ihnen eigenthümlichen Wörtern,
die sich mit dem Rothwelsch oder mit studentischer Sprechweise
vergleichen lassen. Nach wohldurchschwärmter Nacht spät zu
Bette gegangen, standen sie spät wieder auf, um den Tag mit
Flaniren hinzubringen, den Damen den Hof zu machen, sich in
schönem Putz bewundern zu lassen und durchzubringen, was sie

3. Der Naturalismus u. d. Stutzerthum des dreißigjähr. Kriegs.
als Sieger und verfolgt, renommiſtiſch aufgeputzt und bettler-
haft zerlumpt.

Dieſe Söhne des Kriegs, die flotten, freien Glücksritter
wie das ſcheue Geſindel, wurden die Vorbilder der ſtädtiſchen
Müſſiggänger. Mehr oder weniger war die ganze civiliſtiſche
Welt von der ſoldatiſchen Eitelkeit und dem hohlen Scheinweſen
angeſteckt und trug ſolches Stutzerthum im Aeußeren zur Schau.

„Weil wir leben in dem Krieg, muß ich alle meine Sachen,
Wammesachſel, Kleid und Schoß nach der Rüſtung laſſen machen.“
So entſchuldigt die ſtutzeriſche Jugend ihr kriegeriſches Ausſehen.
Es folgten allmählig auch die Alten, ſodaß wir z. B. am Ende
des Kriegs bei dem Friedensſchluſſe zu Nürnberg die ſämmtlichen
Geſandten, die gelehrten Doctoren und Diplomaten wie die Ge-
nerale und Oberſten, in gleicher Weiſe geſtiefelt und geſpornt
ſehen.

Vor allen aber kommt dies Unweſen an den Stutzern und
Pflaſtertretern zur Erſcheinung, die ſich jetzt wie eine geſchloſſene
Kaſte von der übrigen Menſchheit ſondern und auch von derſel-
ben alſo betrachtet werden. Man ſah ſie damals in London, wo
ſie auf der Promenade der faſhionablen Welt, dem St. Pauls-
gang an der St. Paulskirche, Vormittags bis elf Uhr und Nach-
mittags von drei bis ſechs flanirten, während der Schneider hin-
ter dem Pfeiler lauſchte, um ſich die neue Mode zu merken; man
ſah ſie in Paris vor den Läden, namentlich des heutigen Palais
royal, auf und ab ſpaziren; man konnte ſie in Deutſchland überall
in allen Städten finden. Alamode zu ſein in allen Dingen, in
Kleidung, Sprache und Leben, das war ihre Aufgabe. Ihre
Redeweiſe war ein Gemiſch von Deutſch, Franzöſiſch, Italieniſch
oder Spaniſch nebſt einzelnen ihnen eigenthümlichen Wörtern,
die ſich mit dem Rothwelſch oder mit ſtudentiſcher Sprechweiſe
vergleichen laſſen. Nach wohldurchſchwärmter Nacht ſpät zu
Bette gegangen, ſtanden ſie ſpät wieder auf, um den Tag mit
Flaniren hinzubringen, den Damen den Hof zu machen, ſich in
ſchönem Putz bewundern zu laſſen und durchzubringen, was ſie

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[183/0195] 3. Der Naturalismus u. d. Stutzerthum des dreißigjähr. Kriegs. als Sieger und verfolgt, renommiſtiſch aufgeputzt und bettler- haft zerlumpt. Dieſe Söhne des Kriegs, die flotten, freien Glücksritter wie das ſcheue Geſindel, wurden die Vorbilder der ſtädtiſchen Müſſiggänger. Mehr oder weniger war die ganze civiliſtiſche Welt von der ſoldatiſchen Eitelkeit und dem hohlen Scheinweſen angeſteckt und trug ſolches Stutzerthum im Aeußeren zur Schau. „Weil wir leben in dem Krieg, muß ich alle meine Sachen, Wammesachſel, Kleid und Schoß nach der Rüſtung laſſen machen.“ So entſchuldigt die ſtutzeriſche Jugend ihr kriegeriſches Ausſehen. Es folgten allmählig auch die Alten, ſodaß wir z. B. am Ende des Kriegs bei dem Friedensſchluſſe zu Nürnberg die ſämmtlichen Geſandten, die gelehrten Doctoren und Diplomaten wie die Ge- nerale und Oberſten, in gleicher Weiſe geſtiefelt und geſpornt ſehen. Vor allen aber kommt dies Unweſen an den Stutzern und Pflaſtertretern zur Erſcheinung, die ſich jetzt wie eine geſchloſſene Kaſte von der übrigen Menſchheit ſondern und auch von derſel- ben alſo betrachtet werden. Man ſah ſie damals in London, wo ſie auf der Promenade der faſhionablen Welt, dem St. Pauls- gang an der St. Paulskirche, Vormittags bis elf Uhr und Nach- mittags von drei bis ſechs flanirten, während der Schneider hin- ter dem Pfeiler lauſchte, um ſich die neue Mode zu merken; man ſah ſie in Paris vor den Läden, namentlich des heutigen Palais royal, auf und ab ſpaziren; man konnte ſie in Deutſchland überall in allen Städten finden. Alamode zu ſein in allen Dingen, in Kleidung, Sprache und Leben, das war ihre Aufgabe. Ihre Redeweiſe war ein Gemiſch von Deutſch, Franzöſiſch, Italieniſch oder Spaniſch nebſt einzelnen ihnen eigenthümlichen Wörtern, die ſich mit dem Rothwelſch oder mit ſtudentiſcher Sprechweiſe vergleichen laſſen. Nach wohldurchſchwärmter Nacht ſpät zu Bette gegangen, ſtanden ſie ſpät wieder auf, um den Tag mit Flaniren hinzubringen, den Damen den Hof zu machen, ſich in ſchönem Putz bewundern zu laſſen und durchzubringen, was ſie

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Zitationshilfe: Falke, Jakob von: Die deutsche Trachten- und Modenwelt. Ein Beitrag zur deutschen Culturgeschichte. Bd. 2. Leipzig, 1858, S. 183. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/falke_trachten02_1858/195>, abgerufen am 06.05.2024.