Falke, Jakob von: Die deutsche Trachten- und Modenwelt. Ein Beitrag zur deutschen Culturgeschichte. Bd. 2. Leipzig, 1858.3. Der Naturalismus u. d. Stutzerthum des dreißigjähr. Kriegs. kung kommen ließ, wie in den Niederlanden. Eine freiere Rich-tung kündigte sich im gesellschaftlichen Leben an, wie in der Litte- ratur und in der Kunst. Für die letztere aber war diese Zeit die am allerwenigsten günstige, sodaß sie sich nirgends zu einer origi- nalen Aeußerung, nicht einmal zur Entfaltung der vorhandenen Kräfte erhob; wenn wir von dem volksmäßigen Kupferstich ab- sehen, welcher der Zeitgeschichte diente, so verschwindet die Kunst fast unsern Blicken. Die Sprache erlag dem unglaublich raschen Eindringen des Fremden, aber sofort auch regt sich die naturge- mäße Opposition in den Verbindungen zur Reinigung der Sprache, deren erste, "die fruchtbringende Gesellschaft", im Jahr 1617 ge- stiftet wurde. Aber es lag in dieser Zeit, daß, was geschah, durch Ueberstürzung fast mehr verdarb als gut machte. So geriethen diese Gesellschaften auf den Gedanken, statt der fremden Wörter neue deutsche zu erfinden, und machten nun aus dem bunten Ge- mengsel eine noch unverständlichere Carricatur. Es war rühm- lich und zeitgemäß, wenn die poetischen Köpfe in der Nation die gelehrte Dichtkunst aufgaben und deutsche Verse statt der lateini- schen machten und, wie Opitz, sogar die Natur als Führerin auf- stellten, aber theils blieb es bei dem Aufstellen dieses guten Vor- bildes, theils fügte man sich im besseren Fall dem französischen Einfluß, im schlechteren und in der Prosa allgemeineren dagegen artete der Naturalismus in widerliche Roheit der Gedanken, der Formen und der Sprache aus. In dieser Richtung wirkte der lange Krieg auf die verderblichste Weise, indem er alles Schöne im Keim erstickte, allem Leben den moralischen Halt und den rech- ten Maßstab der Dinge nahm. Er stumpfte das Gefühl ab, trieb die Freiheit und Natur zur Verwilderung, die Beschränkung und Befangenheit zur Uebertreibung und Ungebundenheit, die Bußfertigkeit, Frömmigkeit und Gottesfurcht, die Gustav Adolf noch im Heere aufrecht zu erhalten suchte, ja selbst den Religions- haß zur Gleichgültigkeit, zur Gottlosigkeit bis zum Spott des Heiligen. So war in den beiden letzten Jahrzehnten des Kriegs alles in seinen äußersten Gegensatz umgeschlagen. Denselben Weg werden wir nun auch in der Geschichte des 3. Der Naturalismus u. d. Stutzerthum des dreißigjähr. Kriegs. kung kommen ließ, wie in den Niederlanden. Eine freiere Rich-tung kündigte ſich im geſellſchaftlichen Leben an, wie in der Litte- ratur und in der Kunſt. Für die letztere aber war dieſe Zeit die am allerwenigſten günſtige, ſodaß ſie ſich nirgends zu einer origi- nalen Aeußerung, nicht einmal zur Entfaltung der vorhandenen Kräfte erhob; wenn wir von dem volksmäßigen Kupferſtich ab- ſehen, welcher der Zeitgeſchichte diente, ſo verſchwindet die Kunſt faſt unſern Blicken. Die Sprache erlag dem unglaublich raſchen Eindringen des Fremden, aber ſofort auch regt ſich die naturge- mäße Oppoſition in den Verbindungen zur Reinigung der Sprache, deren erſte, „die fruchtbringende Geſellſchaft“, im Jahr 1617 ge- ſtiftet wurde. Aber es lag in dieſer Zeit, daß, was geſchah, durch Ueberſtürzung faſt mehr verdarb als gut machte. So geriethen dieſe Geſellſchaften auf den Gedanken, ſtatt der fremden Wörter neue deutſche zu erfinden, und machten nun aus dem bunten Ge- mengſel eine noch unverſtändlichere Carricatur. Es war rühm- lich und zeitgemäß, wenn die poetiſchen Köpfe in der Nation die gelehrte Dichtkunſt aufgaben und deutſche Verſe ſtatt der lateini- ſchen machten und, wie Opitz, ſogar die Natur als Führerin auf- ſtellten, aber theils blieb es bei dem Aufſtellen dieſes guten Vor- bildes, theils fügte man ſich im beſſeren Fall dem franzöſiſchen Einfluß, im ſchlechteren und in der Proſa allgemeineren dagegen artete der Naturalismus in widerliche Roheit der Gedanken, der Formen und der Sprache aus. In dieſer Richtung wirkte der lange Krieg auf die verderblichſte Weiſe, indem er alles Schöne im Keim erſtickte, allem Leben den moraliſchen Halt und den rech- ten Maßſtab der Dinge nahm. Er ſtumpfte das Gefühl ab, trieb die Freiheit und Natur zur Verwilderung, die Beſchränkung und Befangenheit zur Uebertreibung und Ungebundenheit, die Bußfertigkeit, Frömmigkeit und Gottesfurcht, die Guſtav Adolf noch im Heere aufrecht zu erhalten ſuchte, ja ſelbſt den Religions- haß zur Gleichgültigkeit, zur Gottloſigkeit bis zum Spott des Heiligen. So war in den beiden letzten Jahrzehnten des Kriegs alles in ſeinen äußerſten Gegenſatz umgeſchlagen. Denſelben Weg werden wir nun auch in der Geſchichte des <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <p><pb facs="#f0185" n="173"/><fw place="top" type="header">3. Der Naturalismus u. d. Stutzerthum des dreißigjähr. Kriegs.</fw><lb/> kung kommen ließ, wie in den Niederlanden. Eine freiere Rich-<lb/> tung kündigte ſich im geſellſchaftlichen Leben an, wie in der Litte-<lb/> ratur und in der Kunſt. 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3. Der Naturalismus u. d. Stutzerthum des dreißigjähr. Kriegs.
kung kommen ließ, wie in den Niederlanden. Eine freiere Rich-
tung kündigte ſich im geſellſchaftlichen Leben an, wie in der Litte-
ratur und in der Kunſt. Für die letztere aber war dieſe Zeit die
am allerwenigſten günſtige, ſodaß ſie ſich nirgends zu einer origi-
nalen Aeußerung, nicht einmal zur Entfaltung der vorhandenen
Kräfte erhob; wenn wir von dem volksmäßigen Kupferſtich ab-
ſehen, welcher der Zeitgeſchichte diente, ſo verſchwindet die Kunſt
faſt unſern Blicken. Die Sprache erlag dem unglaublich raſchen
Eindringen des Fremden, aber ſofort auch regt ſich die naturge-
mäße Oppoſition in den Verbindungen zur Reinigung der Sprache,
deren erſte, „die fruchtbringende Geſellſchaft“, im Jahr 1617 ge-
ſtiftet wurde. Aber es lag in dieſer Zeit, daß, was geſchah, durch
Ueberſtürzung faſt mehr verdarb als gut machte. So geriethen
dieſe Geſellſchaften auf den Gedanken, ſtatt der fremden Wörter
neue deutſche zu erfinden, und machten nun aus dem bunten Ge-
mengſel eine noch unverſtändlichere Carricatur. Es war rühm-
lich und zeitgemäß, wenn die poetiſchen Köpfe in der Nation die
gelehrte Dichtkunſt aufgaben und deutſche Verſe ſtatt der lateini-
ſchen machten und, wie Opitz, ſogar die Natur als Führerin auf-
ſtellten, aber theils blieb es bei dem Aufſtellen dieſes guten Vor-
bildes, theils fügte man ſich im beſſeren Fall dem franzöſiſchen
Einfluß, im ſchlechteren und in der Proſa allgemeineren dagegen
artete der Naturalismus in widerliche Roheit der Gedanken, der
Formen und der Sprache aus. In dieſer Richtung wirkte der
lange Krieg auf die verderblichſte Weiſe, indem er alles Schöne
im Keim erſtickte, allem Leben den moraliſchen Halt und den rech-
ten Maßſtab der Dinge nahm. Er ſtumpfte das Gefühl ab,
trieb die Freiheit und Natur zur Verwilderung, die Beſchränkung
und Befangenheit zur Uebertreibung und Ungebundenheit, die
Bußfertigkeit, Frömmigkeit und Gottesfurcht, die Guſtav Adolf
noch im Heere aufrecht zu erhalten ſuchte, ja ſelbſt den Religions-
haß zur Gleichgültigkeit, zur Gottloſigkeit bis zum Spott des
Heiligen. So war in den beiden letzten Jahrzehnten des Kriegs
alles in ſeinen äußerſten Gegenſatz umgeſchlagen.
Denſelben Weg werden wir nun auch in der Geſchichte des
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