Falke, Jakob von: Die deutsche Trachten- und Modenwelt. Ein Beitrag zur deutschen Culturgeschichte. Bd. 2. Leipzig, 1858.2. Die Reaction und die spanische Tracht. Leibchen gehen steif unter Kinn und Ohr, aber damit wächstauch die Kröse bei Männern wie bei den Frauen heraus. An Ellbogen, Knieen und Schultern bleiben zuweilen noch eine Zeit- lang kleine Schlitze oder aufgenähte bunte Streifen als leichte Zierde; weit häufiger sind die dicken Wülste, welche sich um und über die Schultern erheben, und wohl heute noch hier und da als die "Schinkenärmel" erkennbar sind. Die Pluderhose des Landsknechts, die auch der Bürger und Handwerksgesell sich an- geeignet hatten, wies der Bauer zurück, und es sind daher gegen Ende des Jahrhunderts eine enge Kniehose, Strümpfe und Schuhe bei wohlhabender ländlicher Bevölkerung keine seltene Erscheinung. Größeren Beifall fand aber die "Pumphose" oder die "Schlumperhose", und sie nahm in vielen Gegenden dauern- den, auch wohl bleibenden Besitz. Besonders gründete sie in den tiefer liegenden Gegenden eine feste Herrschaft, während das Gebirg sie nicht gebrauchen konnte und das kurze Beinkleid, den Strumpf und das nackte Knie vorzog. An der Niederelbe bei Hamburg in den s. g. Vierlanden können wir noch heute die Pumphose sehen, und der Holländer betrachtete sie fast als natio- nales Palladium, wenn er auch die Bestandtheile änderte. In der Mitte des siebzehnten Jahrhunderts schildert sie der Englän- der Oliver Goldsmith nach eigener Anschauung in folgender Weise: "Der richtige Holländer ist eine der sonderbarsten Figu- ren auf der Welt; auf einem schmalen Kopf voll Haar trägt er einen halb aufgekrämpten engen Hut mit schwarzem Band besetzt, keinen Rock, aber sieben Westen und neun Paar Hosen, sodaß seine Hüften beinahe unter den Achseln anfangen." In dieser Breite seiner Erscheinung, der ein wohlgenährter Körper zu Hülfe kommt, symbolisirt sich das Phlegma und die schwere Würde des holländischen Nationalcharakters. Die Ehehälfte entspricht ihm darin völlig, indem sie nach den Worten Goldsmith's für jedes Paar Hosen des Gemahls zwei Unterröcke anzieht. Das ist nur die volksmäßige Umwandlung des Reifrocks, der Vertugalla, welche zugleich mit der männlichen Pumphose unter das Land- volk sich verbreitet hatte. -- Eine damals originelle Beinbeklei- 2. Die Reaction und die ſpaniſche Tracht. Leibchen gehen ſteif unter Kinn und Ohr, aber damit wächſtauch die Kröſe bei Männern wie bei den Frauen heraus. An Ellbogen, Knieen und Schultern bleiben zuweilen noch eine Zeit- lang kleine Schlitze oder aufgenähte bunte Streifen als leichte Zierde; weit häufiger ſind die dicken Wülſte, welche ſich um und über die Schultern erheben, und wohl heute noch hier und da als die „Schinkenärmel“ erkennbar ſind. Die Pluderhoſe des Landsknechts, die auch der Bürger und Handwerksgeſell ſich an- geeignet hatten, wies der Bauer zurück, und es ſind daher gegen Ende des Jahrhunderts eine enge Kniehoſe, Strümpfe und Schuhe bei wohlhabender ländlicher Bevölkerung keine ſeltene Erſcheinung. Größeren Beifall fand aber die „Pumphoſe“ oder die „Schlumperhoſe“, und ſie nahm in vielen Gegenden dauern- den, auch wohl bleibenden Beſitz. Beſonders gründete ſie in den tiefer liegenden Gegenden eine feſte Herrſchaft, während das Gebirg ſie nicht gebrauchen konnte und das kurze Beinkleid, den Strumpf und das nackte Knie vorzog. An der Niederelbe bei Hamburg in den ſ. g. Vierlanden können wir noch heute die Pumphoſe ſehen, und der Holländer betrachtete ſie faſt als natio- nales Palladium, wenn er auch die Beſtandtheile änderte. In der Mitte des ſiebzehnten Jahrhunderts ſchildert ſie der Englän- der Oliver Goldſmith nach eigener Anſchauung in folgender Weiſe: „Der richtige Holländer iſt eine der ſonderbarſten Figu- ren auf der Welt; auf einem ſchmalen Kopf voll Haar trägt er einen halb aufgekrämpten engen Hut mit ſchwarzem Band beſetzt, keinen Rock, aber ſieben Weſten und neun Paar Hoſen, ſodaß ſeine Hüften beinahe unter den Achſeln anfangen.“ In dieſer Breite ſeiner Erſcheinung, der ein wohlgenährter Körper zu Hülfe kommt, ſymboliſirt ſich das Phlegma und die ſchwere Würde des holländiſchen Nationalcharakters. Die Ehehälfte entſpricht ihm darin völlig, indem ſie nach den Worten Goldſmith’s für jedes Paar Hoſen des Gemahls zwei Unterröcke anzieht. Das iſt nur die volksmäßige Umwandlung des Reifrocks, der Vertugalla, welche zugleich mit der männlichen Pumphoſe unter das Land- volk ſich verbreitet hatte. — Eine damals originelle Beinbeklei- <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <p><pb facs="#f0177" n="165"/><fw place="top" type="header">2. Die Reaction und die ſpaniſche Tracht.</fw><lb/> Leibchen gehen ſteif unter Kinn und Ohr, aber damit wächſt<lb/> auch die Kröſe bei Männern wie bei den Frauen heraus. An<lb/> Ellbogen, Knieen und Schultern bleiben zuweilen noch eine Zeit-<lb/> lang kleine Schlitze oder aufgenähte bunte Streifen als leichte<lb/> Zierde; weit häufiger ſind die dicken Wülſte, welche ſich um und<lb/> über die Schultern erheben, und wohl heute noch hier und da<lb/> als die „Schinkenärmel“ erkennbar ſind. 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Leibchen gehen ſteif unter Kinn und Ohr, aber damit wächſt
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Ellbogen, Knieen und Schultern bleiben zuweilen noch eine Zeit-
lang kleine Schlitze oder aufgenähte bunte Streifen als leichte
Zierde; weit häufiger ſind die dicken Wülſte, welche ſich um und
über die Schultern erheben, und wohl heute noch hier und da
als die „Schinkenärmel“ erkennbar ſind. Die Pluderhoſe des
Landsknechts, die auch der Bürger und Handwerksgeſell ſich an-
geeignet hatten, wies der Bauer zurück, und es ſind daher gegen
Ende des Jahrhunderts eine enge Kniehoſe, Strümpfe und
Schuhe bei wohlhabender ländlicher Bevölkerung keine ſeltene
Erſcheinung. Größeren Beifall fand aber die „Pumphoſe“ oder
die „Schlumperhoſe“, und ſie nahm in vielen Gegenden dauern-
den, auch wohl bleibenden Beſitz. Beſonders gründete ſie in den
tiefer liegenden Gegenden eine feſte Herrſchaft, während das
Gebirg ſie nicht gebrauchen konnte und das kurze Beinkleid, den
Strumpf und das nackte Knie vorzog. An der Niederelbe bei
Hamburg in den ſ. g. Vierlanden können wir noch heute die
Pumphoſe ſehen, und der Holländer betrachtete ſie faſt als natio-
nales Palladium, wenn er auch die Beſtandtheile änderte. In
der Mitte des ſiebzehnten Jahrhunderts ſchildert ſie der Englän-
der Oliver Goldſmith nach eigener Anſchauung in folgender
Weiſe: „Der richtige Holländer iſt eine der ſonderbarſten Figu-
ren auf der Welt; auf einem ſchmalen Kopf voll Haar trägt er
einen halb aufgekrämpten engen Hut mit ſchwarzem Band beſetzt,
keinen Rock, aber ſieben Weſten und neun Paar Hoſen, ſodaß
ſeine Hüften beinahe unter den Achſeln anfangen.“ In dieſer
Breite ſeiner Erſcheinung, der ein wohlgenährter Körper zu Hülfe
kommt, ſymboliſirt ſich das Phlegma und die ſchwere Würde des
holländiſchen Nationalcharakters. Die Ehehälfte entſpricht ihm
darin völlig, indem ſie nach den Worten Goldſmith’s für jedes
Paar Hoſen des Gemahls zwei Unterröcke anzieht. Das iſt nur
die volksmäßige Umwandlung des Reifrocks, der Vertugalla,
welche zugleich mit der männlichen Pumphoſe unter das Land-
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