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Falke, Jakob von: Die deutsche Trachten- und Modenwelt. Ein Beitrag zur deutschen Culturgeschichte. Bd. 2. Leipzig, 1858.

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2. Die Reaction und die spanische Tracht.
Tracht: meist von Goldstoff und netzartig mit Schnüren um-
zogen oder bestickt mit Seide oder Perlen, schließt sie mit mäßigen
Wülsten zu beiden Seiten des Kopfes das Haar fast vollständig
ein, und darüber ruht denn, schief aufgesetzt und mit bunten
Federn über der Stirn, das verkleinerte seidene oder sammtne
Barett. Es ist so hutähnlich geworden, daß es sich gewöhnlich
nur als Hut bezeichnet findet. Die Kleinheit war es vornämlich,
welche wieder den Anstoß erregte. "Und erstlich haben wir aus
Welschland herausgebracht kleine sammatine Hütlin, die tragen
die Weibsbilder, nicht zu bedecken das Haupt, sondern allein zur
Zierd und Hoffart, die seind so klein, daß sie nicht den vierten
Theil des Haupts bedecken mögen. Und siehet eben, als wann
ein Weib ein Apfel auf den Kopf setzte und spräche: "Das ist
ein Hut." Die goldenen Hauben waren nicht billig: in einer
Lübecker Hochzeitsordnung von 1566 werden die der ersten Classe,
welche als Morgengabe geschenkt wurden, auf zwölf Thaler
geschätzt.

Neben dieser Haube begegnen wir in den Trachtenbüchern
nicht selten bei Bürgerfrauen und Bürgertöchtern zwei lang ge-
flochtenen blonden Zöpfen zu dem kleinen Barett oder einer
Pelzhaube; an den Spitzen mit Bändern umwunden, fallen sie
den Rücken hinab, sind aber auch zuweilen am Kopf aufgebun-
den. Blond war die Lieblingsfarbe aller Stände wie bei den
Italienerinnen, unterlag aber auch in Deutschland in Bezug auf
die Aechtheit der Farbe wie des Stoffes vielfachen Zweifeln und
Anfechtungen. Den Vorwürfen der Geistlichen zufolge war auch
das "Bleichen" und Färben der Haare und das Versetzen mit
fremdem Haar von den deutschen Frauen gekannt und geübt.
"Die natürlichen Haare thügen nichts, sie müssen gebleicht sein
oder ein Flechten von todtem Haar und großen Zöpfen wie die
Bergseil", sagt der eine, ein anderer redet von "feinen, großen,
dicken, gelben, geborgeten oder erkauften Haarflechten"; es heißt
auch: "es ist jetzunder ein gemeiner Brauch, einer Todten, die
hübsches Haar hatte, die Haar abzuschneiden und in das Haar
zu flechten". Im Hoffartsteufel wird sogar ganz die Weise der

2. Die Reaction und die ſpaniſche Tracht.
Tracht: meiſt von Goldſtoff und netzartig mit Schnüren um-
zogen oder beſtickt mit Seide oder Perlen, ſchließt ſie mit mäßigen
Wülſten zu beiden Seiten des Kopfes das Haar faſt vollſtändig
ein, und darüber ruht denn, ſchief aufgeſetzt und mit bunten
Federn über der Stirn, das verkleinerte ſeidene oder ſammtne
Barett. Es iſt ſo hutähnlich geworden, daß es ſich gewöhnlich
nur als Hut bezeichnet findet. Die Kleinheit war es vornämlich,
welche wieder den Anſtoß erregte. „Und erſtlich haben wir aus
Welſchland herausgebracht kleine ſammatine Hütlin, die tragen
die Weibsbilder, nicht zu bedecken das Haupt, ſondern allein zur
Zierd und Hoffart, die ſeind ſo klein, daß ſie nicht den vierten
Theil des Haupts bedecken mögen. Und ſiehet eben, als wann
ein Weib ein Apfel auf den Kopf ſetzte und ſpräche: „Das iſt
ein Hut.“ Die goldenen Hauben waren nicht billig: in einer
Lübecker Hochzeitsordnung von 1566 werden die der erſten Claſſe,
welche als Morgengabe geſchenkt wurden, auf zwölf Thaler
geſchätzt.

Neben dieſer Haube begegnen wir in den Trachtenbüchern
nicht ſelten bei Bürgerfrauen und Bürgertöchtern zwei lang ge-
flochtenen blonden Zöpfen zu dem kleinen Barett oder einer
Pelzhaube; an den Spitzen mit Bändern umwunden, fallen ſie
den Rücken hinab, ſind aber auch zuweilen am Kopf aufgebun-
den. Blond war die Lieblingsfarbe aller Stände wie bei den
Italienerinnen, unterlag aber auch in Deutſchland in Bezug auf
die Aechtheit der Farbe wie des Stoffes vielfachen Zweifeln und
Anfechtungen. Den Vorwürfen der Geiſtlichen zufolge war auch
das „Bleichen“ und Färben der Haare und das Verſetzen mit
fremdem Haar von den deutſchen Frauen gekannt und geübt.
„Die natürlichen Haare thügen nichts, ſie müſſen gebleicht ſein
oder ein Flechten von todtem Haar und großen Zöpfen wie die
Bergſeil“, ſagt der eine, ein anderer redet von „feinen, großen,
dicken, gelben, geborgeten oder erkauften Haarflechten“; es heißt
auch: „es iſt jetzunder ein gemeiner Brauch, einer Todten, die
hübſches Haar hatte, die Haar abzuſchneiden und in das Haar
zu flechten“. Im Hoffartsteufel wird ſogar ganz die Weiſe der

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[135/0147] 2. Die Reaction und die ſpaniſche Tracht. Tracht: meiſt von Goldſtoff und netzartig mit Schnüren um- zogen oder beſtickt mit Seide oder Perlen, ſchließt ſie mit mäßigen Wülſten zu beiden Seiten des Kopfes das Haar faſt vollſtändig ein, und darüber ruht denn, ſchief aufgeſetzt und mit bunten Federn über der Stirn, das verkleinerte ſeidene oder ſammtne Barett. Es iſt ſo hutähnlich geworden, daß es ſich gewöhnlich nur als Hut bezeichnet findet. Die Kleinheit war es vornämlich, welche wieder den Anſtoß erregte. „Und erſtlich haben wir aus Welſchland herausgebracht kleine ſammatine Hütlin, die tragen die Weibsbilder, nicht zu bedecken das Haupt, ſondern allein zur Zierd und Hoffart, die ſeind ſo klein, daß ſie nicht den vierten Theil des Haupts bedecken mögen. Und ſiehet eben, als wann ein Weib ein Apfel auf den Kopf ſetzte und ſpräche: „Das iſt ein Hut.“ Die goldenen Hauben waren nicht billig: in einer Lübecker Hochzeitsordnung von 1566 werden die der erſten Claſſe, welche als Morgengabe geſchenkt wurden, auf zwölf Thaler geſchätzt. Neben dieſer Haube begegnen wir in den Trachtenbüchern nicht ſelten bei Bürgerfrauen und Bürgertöchtern zwei lang ge- flochtenen blonden Zöpfen zu dem kleinen Barett oder einer Pelzhaube; an den Spitzen mit Bändern umwunden, fallen ſie den Rücken hinab, ſind aber auch zuweilen am Kopf aufgebun- den. Blond war die Lieblingsfarbe aller Stände wie bei den Italienerinnen, unterlag aber auch in Deutſchland in Bezug auf die Aechtheit der Farbe wie des Stoffes vielfachen Zweifeln und Anfechtungen. Den Vorwürfen der Geiſtlichen zufolge war auch das „Bleichen“ und Färben der Haare und das Verſetzen mit fremdem Haar von den deutſchen Frauen gekannt und geübt. „Die natürlichen Haare thügen nichts, ſie müſſen gebleicht ſein oder ein Flechten von todtem Haar und großen Zöpfen wie die Bergſeil“, ſagt der eine, ein anderer redet von „feinen, großen, dicken, gelben, geborgeten oder erkauften Haarflechten“; es heißt auch: „es iſt jetzunder ein gemeiner Brauch, einer Todten, die hübſches Haar hatte, die Haar abzuſchneiden und in das Haar zu flechten“. Im Hoffartsteufel wird ſogar ganz die Weiſe der

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Zitationshilfe: Falke, Jakob von: Die deutsche Trachten- und Modenwelt. Ein Beitrag zur deutschen Culturgeschichte. Bd. 2. Leipzig, 1858, S. 135. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/falke_trachten02_1858/147>, abgerufen am 09.05.2024.