Falke, Jakob von: Die deutsche Trachten- und Modenwelt. Ein Beitrag zur deutschen Culturgeschichte. Bd. 2. Leipzig, 1858.III. Die Neuzeit. mit verhülltem Haupt in der Kirche zu betrauern. Diese Ver-ordnung erscheint bereits als ein Zeichen der neuen Zeitrichtung. Die Mode der Aufschlitzung, welche der Natur der Sache Zwei Kleider, ein oberes und ein unteres, gehören nun III. Die Neuzeit. mit verhülltem Haupt in der Kirche zu betrauern. Dieſe Ver-ordnung erſcheint bereits als ein Zeichen der neuen Zeitrichtung. Die Mode der Aufſchlitzung, welche der Natur der Sache Zwei Kleider, ein oberes und ein unteres, gehören nun <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <p><pb facs="#f0142" n="130"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#aq">III.</hi> Die Neuzeit.</fw><lb/> mit verhülltem Haupt in der Kirche zu betrauern. Dieſe Ver-<lb/> ordnung erſcheint bereits als ein Zeichen der neuen Zeitrichtung.</p><lb/> <p>Die Mode der Aufſchlitzung, welche der Natur der Sache<lb/> gemäß bei den Frauen mehr eine bloße Zierde geblieben war,<lb/> als daß ſie umgeſtaltend auf die geſammte Kleidung eingewirkt<lb/> hätte, iſt ſchon binnen wenigen Jahrzehnten aus der eigentlich<lb/> modiſchen Damenwelt wieder völlig verſchwunden, und an der<lb/> einzigen Stelle, wo ſie von größerer Bedeutung geweſen war, an<lb/> den Aermeln, durch Wülſte erſetzt. Dieſe treten ſchon gleich nach<lb/> dem Jahre 1550 an den Schultern in ſolcher Höhe auf, daß ſie<lb/> der weiblichen Figur ein widernatürliches Anſehen geben. Der<lb/> Kopf, ohnehin dicht in Kragen und Krauſe ſteckend, erſcheint tief<lb/> zwiſchen die Schultern verſenkt, ſodaß der etwaige Eindruck<lb/> eines ſchönen Wuchſes völlig vernichtet wird. Nichts Unvor-<lb/> theilhafteres läßt ſich denken, denn die ſchöne Linie der Ab-<lb/> ſenkung vom Hals zur Schulter iſt in’s grade Gegentheil ver-<lb/> kehrt. Uebrigens konnten ſich dieſe Schulterpuffen in ihrer<lb/> außerordentlichen Höhe nicht lange vor der wachſenden Breite<lb/> der Krauſe behaupten, und ſo verſchwinden ſie ſchon in den<lb/> ſiebziger Jahr entweder ganz oder nehmen die tiefer liegende<lb/> und beſcheidnere Geſtalt an, wie wir ihr häufig in Weigel’s<lb/> Trachtenbuch begegnen.</p><lb/> <p>Zwei Kleider, ein <hi rendition="#g">oberes</hi> und ein <hi rendition="#g">unteres</hi>, gehören nun<lb/> auch wieder in Deutſchland zur vollſtändigen Toilette einer wohl-<lb/> gekleideten Dame von Stand. Die Magdeburger Ordnung von<lb/> 1583 unterſcheidet ausdrücklich die Oberröcke und die Unterröcke,<lb/> unter welchen letzteren wir uns immer volle Kleider zu denken<lb/> haben. Obwohl beide einer engen und langen Taille nebſt Ein-<lb/> preſſung des Körpers zuſtreben, findet ſich doch das Oberkleid<lb/> eine Zeitlang im vornehmen und vornehmſten Stande und dann<lb/> auch im bürgerlichen in auffallender Weite getragen; es vertritt<lb/> gewiſſermaßen die Stelle des altmodiſchen Mantels. Darnach<lb/> hat es ſeine größte und anſchließende Enge unmittelbar unter<lb/> den Achſeln und, völlig ohne Taille, läuft es von hier ohne<lb/> Brechung, ohne irgend eine Falte, ſich erweiternd wie eine Glocke<lb/></p> </div> </div> </body> </text> </TEI> [130/0142]
III. Die Neuzeit.
mit verhülltem Haupt in der Kirche zu betrauern. Dieſe Ver-
ordnung erſcheint bereits als ein Zeichen der neuen Zeitrichtung.
Die Mode der Aufſchlitzung, welche der Natur der Sache
gemäß bei den Frauen mehr eine bloße Zierde geblieben war,
als daß ſie umgeſtaltend auf die geſammte Kleidung eingewirkt
hätte, iſt ſchon binnen wenigen Jahrzehnten aus der eigentlich
modiſchen Damenwelt wieder völlig verſchwunden, und an der
einzigen Stelle, wo ſie von größerer Bedeutung geweſen war, an
den Aermeln, durch Wülſte erſetzt. Dieſe treten ſchon gleich nach
dem Jahre 1550 an den Schultern in ſolcher Höhe auf, daß ſie
der weiblichen Figur ein widernatürliches Anſehen geben. Der
Kopf, ohnehin dicht in Kragen und Krauſe ſteckend, erſcheint tief
zwiſchen die Schultern verſenkt, ſodaß der etwaige Eindruck
eines ſchönen Wuchſes völlig vernichtet wird. Nichts Unvor-
theilhafteres läßt ſich denken, denn die ſchöne Linie der Ab-
ſenkung vom Hals zur Schulter iſt in’s grade Gegentheil ver-
kehrt. Uebrigens konnten ſich dieſe Schulterpuffen in ihrer
außerordentlichen Höhe nicht lange vor der wachſenden Breite
der Krauſe behaupten, und ſo verſchwinden ſie ſchon in den
ſiebziger Jahr entweder ganz oder nehmen die tiefer liegende
und beſcheidnere Geſtalt an, wie wir ihr häufig in Weigel’s
Trachtenbuch begegnen.
Zwei Kleider, ein oberes und ein unteres, gehören nun
auch wieder in Deutſchland zur vollſtändigen Toilette einer wohl-
gekleideten Dame von Stand. Die Magdeburger Ordnung von
1583 unterſcheidet ausdrücklich die Oberröcke und die Unterröcke,
unter welchen letzteren wir uns immer volle Kleider zu denken
haben. Obwohl beide einer engen und langen Taille nebſt Ein-
preſſung des Körpers zuſtreben, findet ſich doch das Oberkleid
eine Zeitlang im vornehmen und vornehmſten Stande und dann
auch im bürgerlichen in auffallender Weite getragen; es vertritt
gewiſſermaßen die Stelle des altmodiſchen Mantels. Darnach
hat es ſeine größte und anſchließende Enge unmittelbar unter
den Achſeln und, völlig ohne Taille, läuft es von hier ohne
Brechung, ohne irgend eine Falte, ſich erweiternd wie eine Glocke
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