"Ein sauber schlecht und ehrbar Tracht, Ohn allen Ueberfluß und Pracht."
In der That sind die Frauengestalten überall so verhüllt, daß nur das Gesicht frei bleibt, da die große Krause oder selbst der Kragen des Leibchens sich dicht unter das Kinn und die Ohren drängt. Oft wird dort, wo die alte Haube mit der breiten Kinn- binde im Bürgerstande wieder aufgelebt ist, auch vom Gesicht noch der größte Theil verdeckt. Es ist äußerst selten, wenn dem Kleid noch ein geringerer Ausschnitt bleibt, und das feingefaltete Hemd nebst der großen Krause die alleinige Bedeckung abgiebt, und zwar scheint das besonders festliche Tracht, nach heutiger Redeweise, Balltoilette zu sein. Die einzige Ausnahme macht in einigen Städten die Brautkleidung, welche gern alterthüm- liche Sitte festhält, so in Danzig, Nürnberg, Köln, wo die Braut und auch wohl die Brautjungfern halbe Decolletirung mit eckigem Ausschnitt tragen. Die übertriebene Entblößung, wie sie noch um's Jahr 1500 statt fand, ist so sehr in's Gegentheil umgeschlagen, daß sich nunmehr die Verhüllung Tadel zuzieht. Die Ursache kann freilich zweifelhaft bleiben, wenn es im Hof- fartsteufel heißt: "Daher auch vielleicht des Adels hoffärtig und geprächtig Vermümmeln genommen ist, aber von vielen miß- brauchet wird, denn sich wol etwa viel nicht aus Scham ver- mümmeln, sondern daß sie klar und weiß bleiben oder wollen mit den schönen Schleiern prangen." Dieser Grund lag aber z. B. nicht im Lande Hadeln vor, wo es am Ende des sechszehnten Jahrhunderts Sitte geworden war, daß sich die Frauen in der Kirche das Haupt mit dem Mantel verhüllten. Das erregte selbst Anstoß bei der Obrigkeit und veranlaßte den Herzog Franz zu der Bestimmung (1597), daß Jungfrauen und Frauen, alt und jung, ohne Unterschied vor und nach der Predigt, in dem Beicht- stuhl, bei der Communion, bei Taufen und Copulationen mit unverhülltem Haupt zugegen sein sollten; nur Wittwen, solange sie den Wittwenstuhl nicht verrücken, und Kinder, deren Aeltern gestorben sind, haben das Recht, drei Monate lang die Todten
Falke, Trachten- und Modenwelt. II. 9
2. Die Reaction und die ſpaniſche Tracht.
und von der Schwäbin von Hall:
„Ein ſauber ſchlecht und ehrbar Tracht, Ohn allen Ueberfluß und Pracht.“
In der That ſind die Frauengeſtalten überall ſo verhüllt, daß nur das Geſicht frei bleibt, da die große Krauſe oder ſelbſt der Kragen des Leibchens ſich dicht unter das Kinn und die Ohren drängt. Oft wird dort, wo die alte Haube mit der breiten Kinn- binde im Bürgerſtande wieder aufgelebt iſt, auch vom Geſicht noch der größte Theil verdeckt. Es iſt äußerſt ſelten, wenn dem Kleid noch ein geringerer Ausſchnitt bleibt, und das feingefaltete Hemd nebſt der großen Krauſe die alleinige Bedeckung abgiebt, und zwar ſcheint das beſonders feſtliche Tracht, nach heutiger Redeweiſe, Balltoilette zu ſein. Die einzige Ausnahme macht in einigen Städten die Brautkleidung, welche gern alterthüm- liche Sitte feſthält, ſo in Danzig, Nürnberg, Köln, wo die Braut und auch wohl die Brautjungfern halbe Decolletirung mit eckigem Ausſchnitt tragen. Die übertriebene Entblößung, wie ſie noch um’s Jahr 1500 ſtatt fand, iſt ſo ſehr in’s Gegentheil umgeſchlagen, daß ſich nunmehr die Verhüllung Tadel zuzieht. Die Urſache kann freilich zweifelhaft bleiben, wenn es im Hof- fartsteufel heißt: „Daher auch vielleicht des Adels hoffärtig und geprächtig Vermümmeln genommen iſt, aber von vielen miß- brauchet wird, denn ſich wol etwa viel nicht aus Scham ver- mümmeln, ſondern daß ſie klar und weiß bleiben oder wollen mit den ſchönen Schleiern prangen.“ Dieſer Grund lag aber z. B. nicht im Lande Hadeln vor, wo es am Ende des ſechszehnten Jahrhunderts Sitte geworden war, daß ſich die Frauen in der Kirche das Haupt mit dem Mantel verhüllten. Das erregte ſelbſt Anſtoß bei der Obrigkeit und veranlaßte den Herzog Franz zu der Beſtimmung (1597), daß Jungfrauen und Frauen, alt und jung, ohne Unterſchied vor und nach der Predigt, in dem Beicht- ſtuhl, bei der Communion, bei Taufen und Copulationen mit unverhülltem Haupt zugegen ſein ſollten; nur Wittwen, ſolange ſie den Wittwenſtuhl nicht verrücken, und Kinder, deren Aeltern geſtorben ſind, haben das Recht, drei Monate lang die Todten
Falke, Trachten- und Modenwelt. II. 9
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2. Die Reaction und die ſpaniſche Tracht.
und von der Schwäbin von Hall:
„Ein ſauber ſchlecht und ehrbar Tracht,
Ohn allen Ueberfluß und Pracht.“
In der That ſind die Frauengeſtalten überall ſo verhüllt,
daß nur das Geſicht frei bleibt, da die große Krauſe oder ſelbſt
der Kragen des Leibchens ſich dicht unter das Kinn und die Ohren
drängt. Oft wird dort, wo die alte Haube mit der breiten Kinn-
binde im Bürgerſtande wieder aufgelebt iſt, auch vom Geſicht
noch der größte Theil verdeckt. Es iſt äußerſt ſelten, wenn dem
Kleid noch ein geringerer Ausſchnitt bleibt, und das feingefaltete
Hemd nebſt der großen Krauſe die alleinige Bedeckung abgiebt,
und zwar ſcheint das beſonders feſtliche Tracht, nach heutiger
Redeweiſe, Balltoilette zu ſein. Die einzige Ausnahme macht
in einigen Städten die Brautkleidung, welche gern alterthüm-
liche Sitte feſthält, ſo in Danzig, Nürnberg, Köln, wo die
Braut und auch wohl die Brautjungfern halbe Decolletirung mit
eckigem Ausſchnitt tragen. Die übertriebene Entblößung, wie
ſie noch um’s Jahr 1500 ſtatt fand, iſt ſo ſehr in’s Gegentheil
umgeſchlagen, daß ſich nunmehr die Verhüllung Tadel zuzieht.
Die Urſache kann freilich zweifelhaft bleiben, wenn es im Hof-
fartsteufel heißt: „Daher auch vielleicht des Adels hoffärtig und
geprächtig Vermümmeln genommen iſt, aber von vielen miß-
brauchet wird, denn ſich wol etwa viel nicht aus Scham ver-
mümmeln, ſondern daß ſie klar und weiß bleiben oder wollen mit
den ſchönen Schleiern prangen.“ Dieſer Grund lag aber z. B.
nicht im Lande Hadeln vor, wo es am Ende des ſechszehnten
Jahrhunderts Sitte geworden war, daß ſich die Frauen in der
Kirche das Haupt mit dem Mantel verhüllten. Das erregte ſelbſt
Anſtoß bei der Obrigkeit und veranlaßte den Herzog Franz zu
der Beſtimmung (1597), daß Jungfrauen und Frauen, alt und
jung, ohne Unterſchied vor und nach der Predigt, in dem Beicht-
ſtuhl, bei der Communion, bei Taufen und Copulationen mit
unverhülltem Haupt zugegen ſein ſollten; nur Wittwen, ſolange
ſie den Wittwenſtuhl nicht verrücken, und Kinder, deren Aeltern
geſtorben ſind, haben das Recht, drei Monate lang die Todten
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Falke, Jakob von: Die deutsche Trachten- und Modenwelt. Ein Beitrag zur deutschen Culturgeschichte. Bd. 2. Leipzig, 1858, S. 129. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/falke_trachten02_1858/141>, abgerufen am 16.02.2025.
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