Im Kampf mit dem Ausland hatte die passive Natur des Weibes der neuen Mode weniger Widerstand entgegen zu setzen und erlag ihnen in der That früher und vollständiger. Wenn dennoch die Frauentracht in der Höhezeit oder am Ausgang dieser Periode, nämlich in den letzten Jahrzehnten des sechszehn- ten Jahrhunderts, bei großer Ehrbarkeit im Einzelnen einen bunteren Anblick zu gewähren scheint, als man bei der geschilder- ten Gleichmäßigkeit der herrschenden Tracht in der ganzen gebil- deten abendländischen Welt erwarten sollte, so rührt das daher, daß eben in dieser Periode die Bildung sogenannter Volkstrach- ten ihren Anfang nimmt, indem sich einerseits die Stände auch äußerlich von einander scheiden, andrerseits bei beginnender und wachsender Diminutivcentralisation in Stadt und Land die locale Sonderung eintritt. Die Elemente zu dieser Trachtenscheidung, die bald den Anschein einer babylonischen Trachtenverwirrung gewinnt, geben größtentheils die laufenden Moden her, wie sie hier und dort, im Verlauf der Zeiten früher oder später, zur Er- starrung gelangen, theils aber auch das nun in die Flucht ge- schlagene und versprengte Costüm der Reformationsperiode, und endlich tauchen einzelne ältere Trachtenstücke aus den Tiefen der Gesellschaft wieder empor, ohne gleich dem Filzhut aufs Neue in den Strom der Mode gelangen zu können. Es gilt zwar die- ser gänzlich neue Proceß für die Männer wie für die Frauen, doch wird er bei jenen um ihrer größeren Einfachheit willen und wegen der Natur der Geschlechter in diesen Dingen für die gegen- wärtige Periode weit weniger sichtbar. Damit hängt zusammen, wenn die bekannten Trachtenbücher, wie das nach Hans Weigel benannte und von Jost Amman gezeichnete oder das von Vecel- lio, Werke, die erst durch solche ständische und locale Scheidung eigentlich ermöglicht werden, wenn sie die Frauen in ungleich höherem Grade berücksichtigen. Fast von jeder bedeutenden Stadt ihres Heimathlandes führen sie uns eines oder mehrere Frauenbilder vor mit scheinbar großen Verschiedenheiten, aus denen dennoch ein der herrschenden Mode kundiges Auge sofort die Ueberzeugung gewinnen wird, daß das Allgemeine und Ge-
2. Die Reaction und die ſpaniſche Tracht.
Im Kampf mit dem Ausland hatte die paſſive Natur des Weibes der neuen Mode weniger Widerſtand entgegen zu ſetzen und erlag ihnen in der That früher und vollſtändiger. Wenn dennoch die Frauentracht in der Höhezeit oder am Ausgang dieſer Periode, nämlich in den letzten Jahrzehnten des ſechszehn- ten Jahrhunderts, bei großer Ehrbarkeit im Einzelnen einen bunteren Anblick zu gewähren ſcheint, als man bei der geſchilder- ten Gleichmäßigkeit der herrſchenden Tracht in der ganzen gebil- deten abendländiſchen Welt erwarten ſollte, ſo rührt das daher, daß eben in dieſer Periode die Bildung ſogenannter Volkstrach- ten ihren Anfang nimmt, indem ſich einerſeits die Stände auch äußerlich von einander ſcheiden, andrerſeits bei beginnender und wachſender Diminutivcentraliſation in Stadt und Land die locale Sonderung eintritt. Die Elemente zu dieſer Trachtenſcheidung, die bald den Anſchein einer babyloniſchen Trachtenverwirrung gewinnt, geben größtentheils die laufenden Moden her, wie ſie hier und dort, im Verlauf der Zeiten früher oder ſpäter, zur Er- ſtarrung gelangen, theils aber auch das nun in die Flucht ge- ſchlagene und verſprengte Coſtüm der Reformationsperiode, und endlich tauchen einzelne ältere Trachtenſtücke aus den Tiefen der Geſellſchaft wieder empor, ohne gleich dem Filzhut aufs Neue in den Strom der Mode gelangen zu können. Es gilt zwar die- ſer gänzlich neue Proceß für die Männer wie für die Frauen, doch wird er bei jenen um ihrer größeren Einfachheit willen und wegen der Natur der Geſchlechter in dieſen Dingen für die gegen- wärtige Periode weit weniger ſichtbar. Damit hängt zuſammen, wenn die bekannten Trachtenbücher, wie das nach Hans Weigel benannte und von Joſt Amman gezeichnete oder das von Vecel- lio, Werke, die erſt durch ſolche ſtändiſche und locale Scheidung eigentlich ermöglicht werden, wenn ſie die Frauen in ungleich höherem Grade berückſichtigen. Faſt von jeder bedeutenden Stadt ihres Heimathlandes führen ſie uns eines oder mehrere Frauenbilder vor mit ſcheinbar großen Verſchiedenheiten, aus denen dennoch ein der herrſchenden Mode kundiges Auge ſofort die Ueberzeugung gewinnen wird, daß das Allgemeine und Ge-
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><pbfacs="#f0139"n="127"/><fwplace="top"type="header">2. Die Reaction und die ſpaniſche Tracht.</fw><lb/><p>Im Kampf mit dem Ausland hatte die paſſive Natur des<lb/>
Weibes der neuen Mode weniger Widerſtand entgegen zu ſetzen<lb/>
und erlag ihnen in der That früher und vollſtändiger. Wenn<lb/>
dennoch die <hirendition="#g">Frauentracht</hi> in der Höhezeit oder am Ausgang<lb/>
dieſer Periode, nämlich in den letzten Jahrzehnten des ſechszehn-<lb/>
ten Jahrhunderts, bei großer Ehrbarkeit im Einzelnen einen<lb/>
bunteren Anblick zu gewähren ſcheint, als man bei der geſchilder-<lb/>
ten Gleichmäßigkeit der herrſchenden Tracht in der ganzen gebil-<lb/>
deten abendländiſchen Welt erwarten ſollte, ſo rührt das daher,<lb/>
daß eben in dieſer Periode die Bildung ſogenannter Volkstrach-<lb/>
ten ihren Anfang nimmt, indem ſich einerſeits die Stände auch<lb/>
äußerlich von einander ſcheiden, andrerſeits bei beginnender und<lb/>
wachſender Diminutivcentraliſation in Stadt und Land die locale<lb/>
Sonderung eintritt. Die Elemente zu dieſer Trachtenſcheidung,<lb/>
die bald den Anſchein einer babyloniſchen Trachtenverwirrung<lb/>
gewinnt, geben größtentheils die laufenden Moden her, wie ſie<lb/>
hier und dort, im Verlauf der Zeiten früher oder ſpäter, zur Er-<lb/>ſtarrung gelangen, theils aber auch das nun in die Flucht ge-<lb/>ſchlagene und verſprengte Coſtüm der Reformationsperiode, und<lb/>
endlich tauchen einzelne ältere Trachtenſtücke aus den Tiefen der<lb/>
Geſellſchaft wieder empor, ohne gleich dem Filzhut aufs Neue<lb/>
in den Strom der Mode gelangen zu können. Es gilt zwar die-<lb/>ſer gänzlich neue Proceß für die Männer wie für die Frauen,<lb/>
doch wird er bei jenen um ihrer größeren Einfachheit willen und<lb/>
wegen der Natur der Geſchlechter in dieſen Dingen für die gegen-<lb/>
wärtige Periode weit weniger ſichtbar. Damit hängt zuſammen,<lb/>
wenn die bekannten Trachtenbücher, wie das nach Hans Weigel<lb/>
benannte und von Joſt Amman gezeichnete oder das von Vecel-<lb/>
lio, Werke, die erſt durch ſolche ſtändiſche und locale Scheidung<lb/>
eigentlich ermöglicht werden, wenn ſie die Frauen in ungleich<lb/>
höherem Grade berückſichtigen. Faſt von jeder bedeutenden<lb/>
Stadt ihres Heimathlandes führen ſie uns eines oder mehrere<lb/>
Frauenbilder vor mit ſcheinbar großen Verſchiedenheiten, aus<lb/>
denen dennoch ein der herrſchenden Mode kundiges Auge ſofort<lb/>
die Ueberzeugung gewinnen wird, daß das Allgemeine und Ge-<lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[127/0139]
2. Die Reaction und die ſpaniſche Tracht.
Im Kampf mit dem Ausland hatte die paſſive Natur des
Weibes der neuen Mode weniger Widerſtand entgegen zu ſetzen
und erlag ihnen in der That früher und vollſtändiger. Wenn
dennoch die Frauentracht in der Höhezeit oder am Ausgang
dieſer Periode, nämlich in den letzten Jahrzehnten des ſechszehn-
ten Jahrhunderts, bei großer Ehrbarkeit im Einzelnen einen
bunteren Anblick zu gewähren ſcheint, als man bei der geſchilder-
ten Gleichmäßigkeit der herrſchenden Tracht in der ganzen gebil-
deten abendländiſchen Welt erwarten ſollte, ſo rührt das daher,
daß eben in dieſer Periode die Bildung ſogenannter Volkstrach-
ten ihren Anfang nimmt, indem ſich einerſeits die Stände auch
äußerlich von einander ſcheiden, andrerſeits bei beginnender und
wachſender Diminutivcentraliſation in Stadt und Land die locale
Sonderung eintritt. Die Elemente zu dieſer Trachtenſcheidung,
die bald den Anſchein einer babyloniſchen Trachtenverwirrung
gewinnt, geben größtentheils die laufenden Moden her, wie ſie
hier und dort, im Verlauf der Zeiten früher oder ſpäter, zur Er-
ſtarrung gelangen, theils aber auch das nun in die Flucht ge-
ſchlagene und verſprengte Coſtüm der Reformationsperiode, und
endlich tauchen einzelne ältere Trachtenſtücke aus den Tiefen der
Geſellſchaft wieder empor, ohne gleich dem Filzhut aufs Neue
in den Strom der Mode gelangen zu können. Es gilt zwar die-
ſer gänzlich neue Proceß für die Männer wie für die Frauen,
doch wird er bei jenen um ihrer größeren Einfachheit willen und
wegen der Natur der Geſchlechter in dieſen Dingen für die gegen-
wärtige Periode weit weniger ſichtbar. Damit hängt zuſammen,
wenn die bekannten Trachtenbücher, wie das nach Hans Weigel
benannte und von Joſt Amman gezeichnete oder das von Vecel-
lio, Werke, die erſt durch ſolche ſtändiſche und locale Scheidung
eigentlich ermöglicht werden, wenn ſie die Frauen in ungleich
höherem Grade berückſichtigen. Faſt von jeder bedeutenden
Stadt ihres Heimathlandes führen ſie uns eines oder mehrere
Frauenbilder vor mit ſcheinbar großen Verſchiedenheiten, aus
denen dennoch ein der herrſchenden Mode kundiges Auge ſofort
die Ueberzeugung gewinnen wird, daß das Allgemeine und Ge-
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Falke, Jakob von: Die deutsche Trachten- und Modenwelt. Ein Beitrag zur deutschen Culturgeschichte. Bd. 2. Leipzig, 1858, S. 127. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/falke_trachten02_1858/139>, abgerufen am 25.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.