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Falke, Jakob von: Die deutsche Trachten- und Modenwelt. Ein Beitrag zur deutschen Culturgeschichte. Bd. 1. Leipzig, 1858.

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I. Aelteste Zeit bis zu den Kreuzzügen.
im elften Jahrhundert ein festes Costüm, welches die Grundlage
für die reiche Entfaltung der mittelalterlichen Trachten bildet. --

Die Hauptkleidungsstücke bleiben wie bisher der Rock (oder
das Kleid) und der Mantel, oder mit lateinischer Bezeichnung die
Tunica und das Pallium, denn sowie die germanischen Formen
sich diesen nähern, gehen auch die Namen mehr und mehr auf sie
über. Wenn schon Karl der Große und seine Hofleute sich nicht
mit einer Tunica begnügten, sondern wenigstens ein leinenes
Hemd, also eine zweite unter der obern trugen, so thut das den
Hauptunterschieden keinen Eintrag. Diese bestehen noch immer in
der größeren Weite und Länge der römischen Tracht. In den
nächsten Jahrhunderten aber giebt die deutsche ihre Enge und
Kürze auf, und damit ist in den Kreisen, die der Noth des Lebens
entrückt sind, die Verschmelzung vollendet.

Schon Karl der Kahle (gestorben 877), der jüngste Sohn
Ludwigs des Frommen, verließ die Sitte seines Großvaters und
seines Vaters, welche auch in der Tracht die Nationalität aufrecht zu
erhalten bemüht gewesen waren. Von seinem Kaiserzug nach Ita-
lien, so erzählen die Jahrbücher aus dem Kloster Fulda, ein Jahr
vor seinem Tode, hatte er neue und ungewöhnliche Tracht mitge-
bracht, "denn mit einem dalmatischen Talar bekleidet, der bis zu
den Füßen herabging, und mit einem Gürtel darüber, auch den
Kopf in eine seidene Hülle gehüllt und darüber das Diadem ge-
setzt, pflegte er an Sonn- und Festtagen zur Kirche zu schreiten."
Das war die Kleidung, wie sie die Griechen in Byzanz trugen, welche
von der Tracht der römischen Kaiserzeit völlig in der Richtung des
orientalischen Geschmacks abgewichen waren. Auf einem Minia-
turbild einer in Rom befindlichen Bibelhandschrift sitzt er auf dem
Thron in königlichem Ornat, auf dem Haupt die goldene, mit
Edelsteinen besetzte Krone, in der Hand den Reichsapfel; zu den
Seiten stehen seine Gemahlin und die Waffenträger. Nach frän-
kischer Weise trägt er kurzes Haar und einen Schnurrbart, Kinn
und Wangen aber glatt geschoren. Eine blaue, in vierblattartigen
Mustern höchst einfach goldgestickte, an den Armen enganliegende
Tunica, deren breite, goldene Säume unten und am Handgelenk

I. Aelteſte Zeit bis zu den Kreuzzügen.
im elften Jahrhundert ein feſtes Coſtüm, welches die Grundlage
für die reiche Entfaltung der mittelalterlichen Trachten bildet. —

Die Hauptkleidungsſtücke bleiben wie bisher der Rock (oder
das Kleid) und der Mantel, oder mit lateiniſcher Bezeichnung die
Tunica und das Pallium, denn ſowie die germaniſchen Formen
ſich dieſen nähern, gehen auch die Namen mehr und mehr auf ſie
über. Wenn ſchon Karl der Große und ſeine Hofleute ſich nicht
mit einer Tunica begnügten, ſondern wenigſtens ein leinenes
Hemd, alſo eine zweite unter der obern trugen, ſo thut das den
Hauptunterſchieden keinen Eintrag. Dieſe beſtehen noch immer in
der größeren Weite und Länge der römiſchen Tracht. In den
nächſten Jahrhunderten aber giebt die deutſche ihre Enge und
Kürze auf, und damit iſt in den Kreiſen, die der Noth des Lebens
entrückt ſind, die Verſchmelzung vollendet.

Schon Karl der Kahle (geſtorben 877), der jüngſte Sohn
Ludwigs des Frommen, verließ die Sitte ſeines Großvaters und
ſeines Vaters, welche auch in der Tracht die Nationalität aufrecht zu
erhalten bemüht geweſen waren. Von ſeinem Kaiſerzug nach Ita-
lien, ſo erzählen die Jahrbücher aus dem Kloſter Fulda, ein Jahr
vor ſeinem Tode, hatte er neue und ungewöhnliche Tracht mitge-
bracht, „denn mit einem dalmatiſchen Talar bekleidet, der bis zu
den Füßen herabging, und mit einem Gürtel darüber, auch den
Kopf in eine ſeidene Hülle gehüllt und darüber das Diadem ge-
ſetzt, pflegte er an Sonn- und Feſttagen zur Kirche zu ſchreiten.“
Das war die Kleidung, wie ſie die Griechen in Byzanz trugen, welche
von der Tracht der römiſchen Kaiſerzeit völlig in der Richtung des
orientaliſchen Geſchmacks abgewichen waren. Auf einem Minia-
turbild einer in Rom befindlichen Bibelhandſchrift ſitzt er auf dem
Thron in königlichem Ornat, auf dem Haupt die goldene, mit
Edelſteinen beſetzte Krone, in der Hand den Reichsapfel; zu den
Seiten ſtehen ſeine Gemahlin und die Waffenträger. Nach frän-
kiſcher Weiſe trägt er kurzes Haar und einen Schnurrbart, Kinn
und Wangen aber glatt geſchoren. Eine blaue, in vierblattartigen
Muſtern höchſt einfach goldgeſtickte, an den Armen enganliegende
Tunica, deren breite, goldene Säume unten und am Handgelenk

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[56/0074] I. Aelteſte Zeit bis zu den Kreuzzügen. im elften Jahrhundert ein feſtes Coſtüm, welches die Grundlage für die reiche Entfaltung der mittelalterlichen Trachten bildet. — Die Hauptkleidungsſtücke bleiben wie bisher der Rock (oder das Kleid) und der Mantel, oder mit lateiniſcher Bezeichnung die Tunica und das Pallium, denn ſowie die germaniſchen Formen ſich dieſen nähern, gehen auch die Namen mehr und mehr auf ſie über. Wenn ſchon Karl der Große und ſeine Hofleute ſich nicht mit einer Tunica begnügten, ſondern wenigſtens ein leinenes Hemd, alſo eine zweite unter der obern trugen, ſo thut das den Hauptunterſchieden keinen Eintrag. Dieſe beſtehen noch immer in der größeren Weite und Länge der römiſchen Tracht. In den nächſten Jahrhunderten aber giebt die deutſche ihre Enge und Kürze auf, und damit iſt in den Kreiſen, die der Noth des Lebens entrückt ſind, die Verſchmelzung vollendet. Schon Karl der Kahle (geſtorben 877), der jüngſte Sohn Ludwigs des Frommen, verließ die Sitte ſeines Großvaters und ſeines Vaters, welche auch in der Tracht die Nationalität aufrecht zu erhalten bemüht geweſen waren. Von ſeinem Kaiſerzug nach Ita- lien, ſo erzählen die Jahrbücher aus dem Kloſter Fulda, ein Jahr vor ſeinem Tode, hatte er neue und ungewöhnliche Tracht mitge- bracht, „denn mit einem dalmatiſchen Talar bekleidet, der bis zu den Füßen herabging, und mit einem Gürtel darüber, auch den Kopf in eine ſeidene Hülle gehüllt und darüber das Diadem ge- ſetzt, pflegte er an Sonn- und Feſttagen zur Kirche zu ſchreiten.“ Das war die Kleidung, wie ſie die Griechen in Byzanz trugen, welche von der Tracht der römiſchen Kaiſerzeit völlig in der Richtung des orientaliſchen Geſchmacks abgewichen waren. Auf einem Minia- turbild einer in Rom befindlichen Bibelhandſchrift ſitzt er auf dem Thron in königlichem Ornat, auf dem Haupt die goldene, mit Edelſteinen beſetzte Krone, in der Hand den Reichsapfel; zu den Seiten ſtehen ſeine Gemahlin und die Waffenträger. Nach frän- kiſcher Weiſe trägt er kurzes Haar und einen Schnurrbart, Kinn und Wangen aber glatt geſchoren. Eine blaue, in vierblattartigen Muſtern höchſt einfach goldgeſtickte, an den Armen enganliegende Tunica, deren breite, goldene Säume unten und am Handgelenk

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Zitationshilfe: Falke, Jakob von: Die deutsche Trachten- und Modenwelt. Ein Beitrag zur deutschen Culturgeschichte. Bd. 1. Leipzig, 1858, S. 56. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/falke_trachten01_1858/74>, abgerufen am 26.11.2024.