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Falke, Jakob von: Die deutsche Trachten- und Modenwelt. Ein Beitrag zur deutschen Culturgeschichte. Bd. 1. Leipzig, 1858.

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3. Die Verschmelzung der verschiedenartigen Elemente.
letztere war im neunten Jahrhundert so ziemlich durch das ganze
Deutschland eingeführt, Kirchen erhoben sich überall, Mönche
drangen in die Wildnisse vor, ein festes, christliches Culturleben
zu gründen durch bleibende Ansiedlungen; fleißig und mit Eifer
lagen die Deutschen den Andachtsübungen ob. Wenn aber der
Neumond gekommen war, oder sonst Tage, die durch der Väter
uralten, heidnischen Brauch geheiligt waren, da stiegen sie, die
vielleicht noch am Morgen den Gekreuzigten knieend und mit auf-
richtiger Andacht verehrt hatten, beim Dunkel der Nacht auf die
Berge, oder gingen ein in das Schweigen des Waldes, zündeten
ein Feuer an unter der heiligen Eiche, schlachteten ein Roß, gos-
sen das Blut auf den Boden und tranken und schmauseten unter
sonderbaren Gebräuchen, wie es ihre Vorfahren schon vor Jahr-
hunderten gethan hatten, lange bevor der erste Missionar die Axt
an einen heiligen Baum gelegt hatte.

So sehen wir, wie im neunten Jahrhundert in allen Dingen
das Leben des deutschen Volkes, sein ganzer Culturzustand, einen
bunt zusammengesetzten, widerspruchsvollen Anblick gewährt. Es
ist nicht anders mit der Kleidung. Bis dahin hatten die im Kampf
begriffenen germanischen und römischen Trachten sich nicht zu einem
Ganzen vereinigen können, sondern sich meist getrennt gehalten,
wie sie denn auch von den Schriftstellern mit Bewußtsein geschie-
den werden, und nur in Nebendingen hatte die eine die andere
modificiren können. Während im Volk, Einzelheiten ausgenom-
men, die althergebrachten Formen durchweg vorherrschten, hatten
die römischen, wenn auch nur stückweise, in den höhern Schich-
ten mannigfach Boden gefaßt und waren insbesondere als cere-
monielle Tracht die vorzugsweise gebräuchliche. Wie nun aber auch
in andern Zweigen der Cultur im Verlauf dieser Periode das
Verschiedenartige mit einander verschmolz, und daraus sich im
elften Jahrhundert ein selbstständiges und eigenthümliches Leben
herausbildete, so erging es auch dem gesammten Trachtenwesen.
Allmählig gehen die charakteristischen Eigenschaften beider Ele-
mente, unter dem Vorwiegen des römischen, zu einem neuen
Ganzen zusammen, und nach allen Schwankungen gewahren wir

3. Die Verſchmelzung der verſchiedenartigen Elemente.
letztere war im neunten Jahrhundert ſo ziemlich durch das ganze
Deutſchland eingeführt, Kirchen erhoben ſich überall, Mönche
drangen in die Wildniſſe vor, ein feſtes, chriſtliches Culturleben
zu gründen durch bleibende Anſiedlungen; fleißig und mit Eifer
lagen die Deutſchen den Andachtsübungen ob. Wenn aber der
Neumond gekommen war, oder ſonſt Tage, die durch der Väter
uralten, heidniſchen Brauch geheiligt waren, da ſtiegen ſie, die
vielleicht noch am Morgen den Gekreuzigten knieend und mit auf-
richtiger Andacht verehrt hatten, beim Dunkel der Nacht auf die
Berge, oder gingen ein in das Schweigen des Waldes, zündeten
ein Feuer an unter der heiligen Eiche, ſchlachteten ein Roß, goſ-
ſen das Blut auf den Boden und tranken und ſchmauſeten unter
ſonderbaren Gebräuchen, wie es ihre Vorfahren ſchon vor Jahr-
hunderten gethan hatten, lange bevor der erſte Miſſionar die Axt
an einen heiligen Baum gelegt hatte.

So ſehen wir, wie im neunten Jahrhundert in allen Dingen
das Leben des deutſchen Volkes, ſein ganzer Culturzuſtand, einen
bunt zuſammengeſetzten, widerſpruchsvollen Anblick gewährt. Es
iſt nicht anders mit der Kleidung. Bis dahin hatten die im Kampf
begriffenen germaniſchen und römiſchen Trachten ſich nicht zu einem
Ganzen vereinigen können, ſondern ſich meiſt getrennt gehalten,
wie ſie denn auch von den Schriftſtellern mit Bewußtſein geſchie-
den werden, und nur in Nebendingen hatte die eine die andere
modificiren können. Während im Volk, Einzelheiten ausgenom-
men, die althergebrachten Formen durchweg vorherrſchten, hatten
die römiſchen, wenn auch nur ſtückweiſe, in den höhern Schich-
ten mannigfach Boden gefaßt und waren insbeſondere als cere-
monielle Tracht die vorzugsweiſe gebräuchliche. Wie nun aber auch
in andern Zweigen der Cultur im Verlauf dieſer Periode das
Verſchiedenartige mit einander verſchmolz, und daraus ſich im
elften Jahrhundert ein ſelbſtſtändiges und eigenthümliches Leben
herausbildete, ſo erging es auch dem geſammten Trachtenweſen.
Allmählig gehen die charakteriſtiſchen Eigenſchaften beider Ele-
mente, unter dem Vorwiegen des römiſchen, zu einem neuen
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[55/0073] 3. Die Verſchmelzung der verſchiedenartigen Elemente. letztere war im neunten Jahrhundert ſo ziemlich durch das ganze Deutſchland eingeführt, Kirchen erhoben ſich überall, Mönche drangen in die Wildniſſe vor, ein feſtes, chriſtliches Culturleben zu gründen durch bleibende Anſiedlungen; fleißig und mit Eifer lagen die Deutſchen den Andachtsübungen ob. Wenn aber der Neumond gekommen war, oder ſonſt Tage, die durch der Väter uralten, heidniſchen Brauch geheiligt waren, da ſtiegen ſie, die vielleicht noch am Morgen den Gekreuzigten knieend und mit auf- richtiger Andacht verehrt hatten, beim Dunkel der Nacht auf die Berge, oder gingen ein in das Schweigen des Waldes, zündeten ein Feuer an unter der heiligen Eiche, ſchlachteten ein Roß, goſ- ſen das Blut auf den Boden und tranken und ſchmauſeten unter ſonderbaren Gebräuchen, wie es ihre Vorfahren ſchon vor Jahr- hunderten gethan hatten, lange bevor der erſte Miſſionar die Axt an einen heiligen Baum gelegt hatte. So ſehen wir, wie im neunten Jahrhundert in allen Dingen das Leben des deutſchen Volkes, ſein ganzer Culturzuſtand, einen bunt zuſammengeſetzten, widerſpruchsvollen Anblick gewährt. Es iſt nicht anders mit der Kleidung. Bis dahin hatten die im Kampf begriffenen germaniſchen und römiſchen Trachten ſich nicht zu einem Ganzen vereinigen können, ſondern ſich meiſt getrennt gehalten, wie ſie denn auch von den Schriftſtellern mit Bewußtſein geſchie- den werden, und nur in Nebendingen hatte die eine die andere modificiren können. Während im Volk, Einzelheiten ausgenom- men, die althergebrachten Formen durchweg vorherrſchten, hatten die römiſchen, wenn auch nur ſtückweiſe, in den höhern Schich- ten mannigfach Boden gefaßt und waren insbeſondere als cere- monielle Tracht die vorzugsweiſe gebräuchliche. Wie nun aber auch in andern Zweigen der Cultur im Verlauf dieſer Periode das Verſchiedenartige mit einander verſchmolz, und daraus ſich im elften Jahrhundert ein ſelbſtſtändiges und eigenthümliches Leben herausbildete, ſo erging es auch dem geſammten Trachtenweſen. Allmählig gehen die charakteriſtiſchen Eigenſchaften beider Ele- mente, unter dem Vorwiegen des römiſchen, zu einem neuen Ganzen zuſammen, und nach allen Schwankungen gewahren wir

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Zitationshilfe: Falke, Jakob von: Die deutsche Trachten- und Modenwelt. Ein Beitrag zur deutschen Culturgeschichte. Bd. 1. Leipzig, 1858, S. 55. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/falke_trachten01_1858/73>, abgerufen am 18.04.2024.