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Falke, Jakob von: Die deutsche Trachten- und Modenwelt. Ein Beitrag zur deutschen Culturgeschichte. Bd. 1. Leipzig, 1858.

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2. Schwankungen zwischen den nationalen und antiken Elementen.

Da er nun die Kräfte brauchen lernte, Bast band und Bür-
den schnürte und Reiser schleppte, da kam zu ihm die Dirne, die
Gängelbeinige, mit Schwären am Hohlfuß, die Arme sonnver-
brannt, mit gedrückter, eingebogener Nase. Von diesen beiden ent-
sprang das Geschlecht der Knechte, das die Namen ihrer Kinder,
wie z. B. Klump, Klotz, Dickwanst, Schlappfuß, Krummbuckel,
Langbein oder Klötzin, Klumpwade, Schiefbein, Herdnase u. s. w.
hinlänglich charakterisiren.

Rigr ging weiter und fand ein anderes Ehepaar im eigenen
Haus, geschäftig am Werk, Afi und Amma. Der Mann, mit
enganliegendem Rock, mit freier Stirne und gesträltem Bart,
schälte die Weberstange.

"Das Weib daneben bewand den Rocken,
Und führte den Faden zu feinem Gespinnst,
Auf dem Haupte die Haube, am Hals ein Schmuck,
Ein Tuch um den Nacken, Nesteln an der Achsel."

Rigr blieb drei Nächte bei ihnen, und nach neun Monaten
genas Amma eines Knaben, rothbackig und rothhaarig, mit
hellen, funkelnden Augen. Der wuchs und gedieh, zähmte Stiere,
zimmerte Pflüge, schlug Häuser und Scheunen auf, fertigte Wagen
und bestellte das Feld. Da kam zu ihm in den Hof die Verlobte,
gekleidet in Ziegenwolle und Linnen, behängt mit Schlüsseln.
Von diesen entsprang das Geschlecht der Bauern.

Rigr ging weiter. Da traf er in einem hohen Saal ein an-
deres Ehepaar, Vater und Mutter. Der Hausherr war beschäftigt
Bogen und Pfeile herzurichten, die Hausfrau aber saß müßig da,
besah die feinen, arbeitsscheuen Hände, ebnete die Falten ihres
Kleides und zupfte den Aermel zurecht.

"Im Schleier saß sie, ein Geschmeid an der Brust,
Die Schleppe wallend am blauen Gewand,
Die Braue glänzender, weißer die Brust,
Lichter der Nacken als leuchtender Schnee."

Als nun die Mutter nach neun Monaten eines Knaben ge-
nas, barg sie ihn in Seide; seine Locken waren licht, die Wangen
leuchteten und die Augen waren so scharf, wie die lauernder

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2. Schwankungen zwiſchen den nationalen und antiken Elementen.

Da er nun die Kräfte brauchen lernte, Baſt band und Bür-
den ſchnürte und Reiſer ſchleppte, da kam zu ihm die Dirne, die
Gängelbeinige, mit Schwären am Hohlfuß, die Arme ſonnver-
brannt, mit gedrückter, eingebogener Naſe. Von dieſen beiden ent-
ſprang das Geſchlecht der Knechte, das die Namen ihrer Kinder,
wie z. B. Klump, Klotz, Dickwanſt, Schlappfuß, Krummbuckel,
Langbein oder Klötzin, Klumpwade, Schiefbein, Herdnaſe u. ſ. w.
hinlänglich charakteriſiren.

Rigr ging weiter und fand ein anderes Ehepaar im eigenen
Haus, geſchäftig am Werk, Afi und Amma. Der Mann, mit
enganliegendem Rock, mit freier Stirne und geſträltem Bart,
ſchälte die Weberſtange.

„Das Weib daneben bewand den Rocken,
Und führte den Faden zu feinem Geſpinnſt,
Auf dem Haupte die Haube, am Hals ein Schmuck,
Ein Tuch um den Nacken, Neſteln an der Achſel.“

Rigr blieb drei Nächte bei ihnen, und nach neun Monaten
genas Amma eines Knaben, rothbackig und rothhaarig, mit
hellen, funkelnden Augen. Der wuchs und gedieh, zähmte Stiere,
zimmerte Pflüge, ſchlug Häuſer und Scheunen auf, fertigte Wagen
und beſtellte das Feld. Da kam zu ihm in den Hof die Verlobte,
gekleidet in Ziegenwolle und Linnen, behängt mit Schlüſſeln.
Von dieſen entſprang das Geſchlecht der Bauern.

Rigr ging weiter. Da traf er in einem hohen Saal ein an-
deres Ehepaar, Vater und Mutter. Der Hausherr war beſchäftigt
Bogen und Pfeile herzurichten, die Hausfrau aber ſaß müßig da,
beſah die feinen, arbeitsſcheuen Hände, ebnete die Falten ihres
Kleides und zupfte den Aermel zurecht.

„Im Schleier ſaß ſie, ein Geſchmeid an der Bruſt,
Die Schleppe wallend am blauen Gewand,
Die Braue glänzender, weißer die Bruſt,
Lichter der Nacken als leuchtender Schnee.“

Als nun die Mutter nach neun Monaten eines Knaben ge-
nas, barg ſie ihn in Seide; ſeine Locken waren licht, die Wangen
leuchteten und die Augen waren ſo ſcharf, wie die lauernder

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[51/0069] 2. Schwankungen zwiſchen den nationalen und antiken Elementen. Da er nun die Kräfte brauchen lernte, Baſt band und Bür- den ſchnürte und Reiſer ſchleppte, da kam zu ihm die Dirne, die Gängelbeinige, mit Schwären am Hohlfuß, die Arme ſonnver- brannt, mit gedrückter, eingebogener Naſe. Von dieſen beiden ent- ſprang das Geſchlecht der Knechte, das die Namen ihrer Kinder, wie z. B. Klump, Klotz, Dickwanſt, Schlappfuß, Krummbuckel, Langbein oder Klötzin, Klumpwade, Schiefbein, Herdnaſe u. ſ. w. hinlänglich charakteriſiren. Rigr ging weiter und fand ein anderes Ehepaar im eigenen Haus, geſchäftig am Werk, Afi und Amma. Der Mann, mit enganliegendem Rock, mit freier Stirne und geſträltem Bart, ſchälte die Weberſtange. „Das Weib daneben bewand den Rocken, Und führte den Faden zu feinem Geſpinnſt, Auf dem Haupte die Haube, am Hals ein Schmuck, Ein Tuch um den Nacken, Neſteln an der Achſel.“ Rigr blieb drei Nächte bei ihnen, und nach neun Monaten genas Amma eines Knaben, rothbackig und rothhaarig, mit hellen, funkelnden Augen. Der wuchs und gedieh, zähmte Stiere, zimmerte Pflüge, ſchlug Häuſer und Scheunen auf, fertigte Wagen und beſtellte das Feld. Da kam zu ihm in den Hof die Verlobte, gekleidet in Ziegenwolle und Linnen, behängt mit Schlüſſeln. Von dieſen entſprang das Geſchlecht der Bauern. Rigr ging weiter. Da traf er in einem hohen Saal ein an- deres Ehepaar, Vater und Mutter. Der Hausherr war beſchäftigt Bogen und Pfeile herzurichten, die Hausfrau aber ſaß müßig da, beſah die feinen, arbeitsſcheuen Hände, ebnete die Falten ihres Kleides und zupfte den Aermel zurecht. „Im Schleier ſaß ſie, ein Geſchmeid an der Bruſt, Die Schleppe wallend am blauen Gewand, Die Braue glänzender, weißer die Bruſt, Lichter der Nacken als leuchtender Schnee.“ Als nun die Mutter nach neun Monaten eines Knaben ge- nas, barg ſie ihn in Seide; ſeine Locken waren licht, die Wangen leuchteten und die Augen waren ſo ſcharf, wie die lauernder 4*

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Zitationshilfe: Falke, Jakob von: Die deutsche Trachten- und Modenwelt. Ein Beitrag zur deutschen Culturgeschichte. Bd. 1. Leipzig, 1858, S. 51. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/falke_trachten01_1858/69>, abgerufen am 28.03.2024.