Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Falke, Jakob von: Die deutsche Trachten- und Modenwelt. Ein Beitrag zur deutschen Culturgeschichte. Bd. 1. Leipzig, 1858.

Bild:
<< vorherige Seite

I. Aelteste Zeit bis zu den Kreuzzügen.
Aermel mit breiten Goldstreifen besetzt, und diesen folgen nach
der Schnur die Edelsteine einer hinter dem andern in wohlgesetzter
Reihe, höchstens stehen sie im Viereck oder in sonst einer einfachen,
regelmäßigen Figur. Von gefälliger Musterung, vom Wechsel
der Linien ist keine Rede; es offenbart sich die ärmlichste Phan-
tasie, ein roher Geschmack, der im bloßen Glanz und in der Kost-
barkeit des Stoffes seine Befriedigung findet.

Darüber hinaus ist auch in dieser Periode der Schmuck
nach der Form und der Weise der Verzierung nicht gekommen.
In beiden Fällen zeigt sich nur der gute Wille zu gestalten und
zugleich die Unfähigkeit aus den vorhandenen Elementen etwas
Ganzes zu machen. Es ist die Zeit, wo römisch-griechische Ein-
flüsse innerhalb der einfachen, nationalen Formen des Urzustan-
des sich geltend machen, aber nur unverstanden aufgenommen
und unorganisch verbunden werden. Diese Weise der Verbindung
begann schon in den Zeiten des Heidenthums, im dritten und
vierten Jahrhundert, ging dann in die christliche Zeit über und
hielt sich, bis sich in der romanischen Kunst ein wirklicher, künst-
lerische Anforderungen befriedigender Stil ausbildete. Ueberla-
dung, Willkür, Mangel an Ordnung und Phantasie, und Ro-
heit der Formen sind die Eigenschaften der Schmuckverzierung in
der merovingisch-karolingischen Zeit. Die einfache, aber doch zier-
liche Spirale, welche freilich immer wiederkehrte, tritt zurück. Die
eingeritzte Linie wird vertieft, doch nur soweit, daß das Ornament
immer noch als flach erscheint, während das antike im Relief von
allen Seiten Profile bot. Die durch römischen Einfluß vervoll-
kommnete Technik im Guß des Erzes erlaubte diesen Fortschritt;
das Ornament wurde nicht mehr eingeritzt oder geschnitten, son-
dern es entstand sogleich durch den Guß über das geschnittene
Holzmodell. Ein weiterer Fortschritt lag darin, daß der Schmuck,
der im Ganzen breitere Formen, also größeren Flächenraum bot,
nicht mehr einfach von der Linie in ihren verschiedenen Richtun-
gen und Windungen bedeckt oder umzogen, sondern nach seiner
Fläche erst in Felder zerlegt wurde, welche ein Zierrath von regel-
mäßigen oder unregelmäßigen, geometrischen Figuren in meist

I. Aelteſte Zeit bis zu den Kreuzzügen.
Aermel mit breiten Goldſtreifen beſetzt, und dieſen folgen nach
der Schnur die Edelſteine einer hinter dem andern in wohlgeſetzter
Reihe, höchſtens ſtehen ſie im Viereck oder in ſonſt einer einfachen,
regelmäßigen Figur. Von gefälliger Muſterung, vom Wechſel
der Linien iſt keine Rede; es offenbart ſich die ärmlichſte Phan-
taſie, ein roher Geſchmack, der im bloßen Glanz und in der Koſt-
barkeit des Stoffes ſeine Befriedigung findet.

Darüber hinaus iſt auch in dieſer Periode der Schmuck
nach der Form und der Weiſe der Verzierung nicht gekommen.
In beiden Fällen zeigt ſich nur der gute Wille zu geſtalten und
zugleich die Unfähigkeit aus den vorhandenen Elementen etwas
Ganzes zu machen. Es iſt die Zeit, wo römiſch-griechiſche Ein-
flüſſe innerhalb der einfachen, nationalen Formen des Urzuſtan-
des ſich geltend machen, aber nur unverſtanden aufgenommen
und unorganiſch verbunden werden. Dieſe Weiſe der Verbindung
begann ſchon in den Zeiten des Heidenthums, im dritten und
vierten Jahrhundert, ging dann in die chriſtliche Zeit über und
hielt ſich, bis ſich in der romaniſchen Kunſt ein wirklicher, künſt-
leriſche Anforderungen befriedigender Stil ausbildete. Ueberla-
dung, Willkür, Mangel an Ordnung und Phantaſie, und Ro-
heit der Formen ſind die Eigenſchaften der Schmuckverzierung in
der merovingiſch-karolingiſchen Zeit. Die einfache, aber doch zier-
liche Spirale, welche freilich immer wiederkehrte, tritt zurück. Die
eingeritzte Linie wird vertieft, doch nur ſoweit, daß das Ornament
immer noch als flach erſcheint, während das antike im Relief von
allen Seiten Profile bot. Die durch römiſchen Einfluß vervoll-
kommnete Technik im Guß des Erzes erlaubte dieſen Fortſchritt;
das Ornament wurde nicht mehr eingeritzt oder geſchnitten, ſon-
dern es entſtand ſogleich durch den Guß über das geſchnittene
Holzmodell. Ein weiterer Fortſchritt lag darin, daß der Schmuck,
der im Ganzen breitere Formen, alſo größeren Flächenraum bot,
nicht mehr einfach von der Linie in ihren verſchiedenen Richtun-
gen und Windungen bedeckt oder umzogen, ſondern nach ſeiner
Fläche erſt in Felder zerlegt wurde, welche ein Zierrath von regel-
mäßigen oder unregelmäßigen, geometriſchen Figuren in meiſt

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <p><pb facs="#f0066" n="48"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#aq">I.</hi> Aelte&#x017F;te Zeit bis zu den Kreuzzügen.</fw><lb/>
Aermel mit breiten Gold&#x017F;treifen be&#x017F;etzt, und die&#x017F;en folgen nach<lb/>
der Schnur die Edel&#x017F;teine einer hinter dem andern in wohlge&#x017F;etzter<lb/>
Reihe, höch&#x017F;tens &#x017F;tehen &#x017F;ie im Viereck oder in &#x017F;on&#x017F;t einer einfachen,<lb/>
regelmäßigen Figur. Von gefälliger Mu&#x017F;terung, vom Wech&#x017F;el<lb/>
der Linien i&#x017F;t keine Rede; es offenbart &#x017F;ich die ärmlich&#x017F;te Phan-<lb/>
ta&#x017F;ie, ein roher Ge&#x017F;chmack, der im bloßen Glanz und in der Ko&#x017F;t-<lb/>
barkeit des Stoffes &#x017F;eine Befriedigung findet.</p><lb/>
            <p>Darüber hinaus i&#x017F;t auch in die&#x017F;er Periode der <hi rendition="#g">Schmuck</hi><lb/>
nach der Form und der Wei&#x017F;e der Verzierung nicht gekommen.<lb/>
In beiden Fällen zeigt &#x017F;ich nur der gute Wille zu ge&#x017F;talten und<lb/>
zugleich die Unfähigkeit aus den vorhandenen Elementen etwas<lb/>
Ganzes zu machen. Es i&#x017F;t die Zeit, wo römi&#x017F;ch-griechi&#x017F;che Ein-<lb/>
flü&#x017F;&#x017F;e innerhalb der einfachen, nationalen Formen des Urzu&#x017F;tan-<lb/>
des &#x017F;ich geltend machen, aber nur unver&#x017F;tanden aufgenommen<lb/>
und unorgani&#x017F;ch verbunden werden. Die&#x017F;e Wei&#x017F;e der Verbindung<lb/>
begann &#x017F;chon in den Zeiten des Heidenthums, im dritten und<lb/>
vierten Jahrhundert, ging dann in die chri&#x017F;tliche Zeit über und<lb/>
hielt &#x017F;ich, bis &#x017F;ich in der romani&#x017F;chen Kun&#x017F;t ein wirklicher, kün&#x017F;t-<lb/>
leri&#x017F;che Anforderungen befriedigender Stil ausbildete. Ueberla-<lb/>
dung, Willkür, Mangel an Ordnung und Phanta&#x017F;ie, und Ro-<lb/>
heit der Formen &#x017F;ind die Eigen&#x017F;chaften der Schmuckverzierung in<lb/>
der merovingi&#x017F;ch-karolingi&#x017F;chen Zeit. Die einfache, aber doch zier-<lb/>
liche Spirale, welche freilich immer wiederkehrte, tritt zurück. Die<lb/>
eingeritzte Linie wird vertieft, doch nur &#x017F;oweit, daß das Ornament<lb/>
immer noch als flach er&#x017F;cheint, während das antike im Relief von<lb/>
allen Seiten Profile bot. Die durch römi&#x017F;chen Einfluß vervoll-<lb/>
kommnete Technik im Guß des Erzes erlaubte die&#x017F;en Fort&#x017F;chritt;<lb/>
das Ornament wurde nicht mehr eingeritzt oder ge&#x017F;chnitten, &#x017F;on-<lb/>
dern es ent&#x017F;tand &#x017F;ogleich durch den Guß über das ge&#x017F;chnittene<lb/>
Holzmodell. Ein weiterer Fort&#x017F;chritt lag darin, daß der Schmuck,<lb/>
der im Ganzen breitere Formen, al&#x017F;o größeren Flächenraum bot,<lb/>
nicht mehr einfach von der Linie in ihren ver&#x017F;chiedenen Richtun-<lb/>
gen und Windungen bedeckt oder umzogen, &#x017F;ondern nach &#x017F;einer<lb/>
Fläche er&#x017F;t in Felder zerlegt wurde, welche ein Zierrath von regel-<lb/>
mäßigen oder unregelmäßigen, geometri&#x017F;chen Figuren in mei&#x017F;t<lb/></p>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[48/0066] I. Aelteſte Zeit bis zu den Kreuzzügen. Aermel mit breiten Goldſtreifen beſetzt, und dieſen folgen nach der Schnur die Edelſteine einer hinter dem andern in wohlgeſetzter Reihe, höchſtens ſtehen ſie im Viereck oder in ſonſt einer einfachen, regelmäßigen Figur. Von gefälliger Muſterung, vom Wechſel der Linien iſt keine Rede; es offenbart ſich die ärmlichſte Phan- taſie, ein roher Geſchmack, der im bloßen Glanz und in der Koſt- barkeit des Stoffes ſeine Befriedigung findet. Darüber hinaus iſt auch in dieſer Periode der Schmuck nach der Form und der Weiſe der Verzierung nicht gekommen. In beiden Fällen zeigt ſich nur der gute Wille zu geſtalten und zugleich die Unfähigkeit aus den vorhandenen Elementen etwas Ganzes zu machen. Es iſt die Zeit, wo römiſch-griechiſche Ein- flüſſe innerhalb der einfachen, nationalen Formen des Urzuſtan- des ſich geltend machen, aber nur unverſtanden aufgenommen und unorganiſch verbunden werden. Dieſe Weiſe der Verbindung begann ſchon in den Zeiten des Heidenthums, im dritten und vierten Jahrhundert, ging dann in die chriſtliche Zeit über und hielt ſich, bis ſich in der romaniſchen Kunſt ein wirklicher, künſt- leriſche Anforderungen befriedigender Stil ausbildete. Ueberla- dung, Willkür, Mangel an Ordnung und Phantaſie, und Ro- heit der Formen ſind die Eigenſchaften der Schmuckverzierung in der merovingiſch-karolingiſchen Zeit. Die einfache, aber doch zier- liche Spirale, welche freilich immer wiederkehrte, tritt zurück. Die eingeritzte Linie wird vertieft, doch nur ſoweit, daß das Ornament immer noch als flach erſcheint, während das antike im Relief von allen Seiten Profile bot. Die durch römiſchen Einfluß vervoll- kommnete Technik im Guß des Erzes erlaubte dieſen Fortſchritt; das Ornament wurde nicht mehr eingeritzt oder geſchnitten, ſon- dern es entſtand ſogleich durch den Guß über das geſchnittene Holzmodell. Ein weiterer Fortſchritt lag darin, daß der Schmuck, der im Ganzen breitere Formen, alſo größeren Flächenraum bot, nicht mehr einfach von der Linie in ihren verſchiedenen Richtun- gen und Windungen bedeckt oder umzogen, ſondern nach ſeiner Fläche erſt in Felder zerlegt wurde, welche ein Zierrath von regel- mäßigen oder unregelmäßigen, geometriſchen Figuren in meiſt

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/falke_trachten01_1858
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/falke_trachten01_1858/66
Zitationshilfe: Falke, Jakob von: Die deutsche Trachten- und Modenwelt. Ein Beitrag zur deutschen Culturgeschichte. Bd. 1. Leipzig, 1858, S. 48. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/falke_trachten01_1858/66>, abgerufen am 27.11.2024.