Falke, Jakob von: Die deutsche Trachten- und Modenwelt. Ein Beitrag zur deutschen Culturgeschichte. Bd. 1. Leipzig, 1858.2. Die Zeit des Luxus und der Entartung. das arbeitsscheue, nichtsthuerische, tagediebende Volk der Lumpenund Bettler, dankbare Gestalten für den alten Künstler, an de- nen es damals in den deutschen Städten bei leichterem Leben und den guten Suppen an der Klosterpforte noch weniger fehlte als heut zu Tage. Die alten Meister des Kupferstichs geben uns prächtige Exemplare davon. Man werfe nur einen Blick auf die große Kreuztragung Schongauers. Dies sanscülottische Gesin- del, welches den Herrn zum Tode schleppt, häßlich-gemein in jeder Bewegung, im Ausdruck, in den rohen Zügen und den knotigen Gelenken, ist sicherlich dem unmittelbarsten Leben nachgeschaffen. Sie umhüllen ihren Körper mit dem, was der Zufall, das Glück oder die Mildthätigkeit ihnen in die Hände spielt, doch nicht ohne Koketterie, wie der Lazzaron, der stolz die Lumpen um den brau- nen Körper schlägt, aber ohne dessen frei bewegte Schönheit. Der trägt einen elegant gewesenen Oberrock -- vielleicht war er beim ersten Besitzer von rothem Sammet -- eng anliegend dem Körper und nicht lang, mit kurzen, handbreiten Aermeln an den Schul- tern und Franzenbesatz herum, aber die Arme und die Beine sind nackt. Ein anderer hat wieder ein enges Beinkleid, aber keine Schuhe an den Füßen, eine kurze Jacke mit tiefem Ausschnitt an Brust und Rücken, woraus ein gefaltetes Hemd zu Tage tritt; nackte Schultern und auf dem Kopf eine Zipfelmütze, unter wel- cher ein langer geflochtener Haarzopf im Nacken heraushängt. Der hat ein Tuch turbanartig um das Haupt gebunden, der an- dere einen formlosen Filz, der vielleicht einmal ein Hut war, auf den kurz geschorenen Kopf gesetzt, ein dritter läßt barhäuptig das lange, struppig wüste Haar im Winde flattern. Da ist aber auch ein Stutzer, der trägt zwar keine Hose, aber Pantoffeln, mit Rie- men an die Füße gebunden, und einen engen Rock ohne Aermel, der an allen Säumen mit Franzen oder Bandschleifen besetzt ist; auch ein Hemd trägt er darunter und die Hemdsärmel bis oben aufgekrämpt. Da ist ein Alter, der auch nicht zurückbleiben will, dem schlottert eine alte Karthäuserkutte um den nackten Leib. Einer geizt nach ritterlicher Ehre und trägt zu Bundschuhen und nackten Beinen einen Schafpelz um seine Schultern geschlagen, 2. Die Zeit des Luxus und der Entartung. das arbeitsſcheue, nichtsthueriſche, tagediebende Volk der Lumpenund Bettler, dankbare Geſtalten für den alten Künſtler, an de- nen es damals in den deutſchen Städten bei leichterem Leben und den guten Suppen an der Kloſterpforte noch weniger fehlte als heut zu Tage. Die alten Meiſter des Kupferſtichs geben uns prächtige Exemplare davon. Man werfe nur einen Blick auf die große Kreuztragung Schongauers. Dies ſanscülottiſche Geſin- del, welches den Herrn zum Tode ſchleppt, häßlich-gemein in jeder Bewegung, im Ausdruck, in den rohen Zügen und den knotigen Gelenken, iſt ſicherlich dem unmittelbarſten Leben nachgeſchaffen. Sie umhüllen ihren Körper mit dem, was der Zufall, das Glück oder die Mildthätigkeit ihnen in die Hände ſpielt, doch nicht ohne Koketterie, wie der Lazzaron, der ſtolz die Lumpen um den brau- nen Körper ſchlägt, aber ohne deſſen frei bewegte Schönheit. Der trägt einen elegant geweſenen Oberrock — vielleicht war er beim erſten Beſitzer von rothem Sammet — eng anliegend dem Körper und nicht lang, mit kurzen, handbreiten Aermeln an den Schul- tern und Franzenbeſatz herum, aber die Arme und die Beine ſind nackt. Ein anderer hat wieder ein enges Beinkleid, aber keine Schuhe an den Füßen, eine kurze Jacke mit tiefem Ausſchnitt an Bruſt und Rücken, woraus ein gefaltetes Hemd zu Tage tritt; nackte Schultern und auf dem Kopf eine Zipfelmütze, unter wel- cher ein langer geflochtener Haarzopf im Nacken heraushängt. Der hat ein Tuch turbanartig um das Haupt gebunden, der an- dere einen formloſen Filz, der vielleicht einmal ein Hut war, auf den kurz geſchorenen Kopf geſetzt, ein dritter läßt barhäuptig das lange, ſtruppig wüſte Haar im Winde flattern. Da iſt aber auch ein Stutzer, der trägt zwar keine Hoſe, aber Pantoffeln, mit Rie- men an die Füße gebunden, und einen engen Rock ohne Aermel, der an allen Säumen mit Franzen oder Bandſchleifen beſetzt iſt; auch ein Hemd trägt er darunter und die Hemdsärmel bis oben aufgekrämpt. Da iſt ein Alter, der auch nicht zurückbleiben will, dem ſchlottert eine alte Karthäuſerkutte um den nackten Leib. Einer geizt nach ritterlicher Ehre und trägt zu Bundſchuhen und nackten Beinen einen Schafpelz um ſeine Schultern geſchlagen, <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <div n="4"> <p><pb facs="#f0333" n="315"/><fw place="top" type="header">2. Die Zeit des Luxus und der Entartung.</fw><lb/> das arbeitsſcheue, nichtsthueriſche, tagediebende Volk der Lumpen<lb/> und Bettler, dankbare Geſtalten für den alten Künſtler, an de-<lb/> nen es damals in den deutſchen Städten bei leichterem Leben und<lb/> den guten Suppen an der Kloſterpforte noch weniger fehlte als<lb/> heut zu Tage. 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2. Die Zeit des Luxus und der Entartung.
das arbeitsſcheue, nichtsthueriſche, tagediebende Volk der Lumpen
und Bettler, dankbare Geſtalten für den alten Künſtler, an de-
nen es damals in den deutſchen Städten bei leichterem Leben und
den guten Suppen an der Kloſterpforte noch weniger fehlte als
heut zu Tage. Die alten Meiſter des Kupferſtichs geben uns
prächtige Exemplare davon. Man werfe nur einen Blick auf die
große Kreuztragung Schongauers. Dies ſanscülottiſche Geſin-
del, welches den Herrn zum Tode ſchleppt, häßlich-gemein in jeder
Bewegung, im Ausdruck, in den rohen Zügen und den knotigen
Gelenken, iſt ſicherlich dem unmittelbarſten Leben nachgeſchaffen.
Sie umhüllen ihren Körper mit dem, was der Zufall, das Glück
oder die Mildthätigkeit ihnen in die Hände ſpielt, doch nicht ohne
Koketterie, wie der Lazzaron, der ſtolz die Lumpen um den brau-
nen Körper ſchlägt, aber ohne deſſen frei bewegte Schönheit. Der
trägt einen elegant geweſenen Oberrock — vielleicht war er beim
erſten Beſitzer von rothem Sammet — eng anliegend dem Körper
und nicht lang, mit kurzen, handbreiten Aermeln an den Schul-
tern und Franzenbeſatz herum, aber die Arme und die Beine ſind
nackt. Ein anderer hat wieder ein enges Beinkleid, aber keine
Schuhe an den Füßen, eine kurze Jacke mit tiefem Ausſchnitt an
Bruſt und Rücken, woraus ein gefaltetes Hemd zu Tage tritt;
nackte Schultern und auf dem Kopf eine Zipfelmütze, unter wel-
cher ein langer geflochtener Haarzopf im Nacken heraushängt.
Der hat ein Tuch turbanartig um das Haupt gebunden, der an-
dere einen formloſen Filz, der vielleicht einmal ein Hut war, auf
den kurz geſchorenen Kopf geſetzt, ein dritter läßt barhäuptig das
lange, ſtruppig wüſte Haar im Winde flattern. Da iſt aber auch
ein Stutzer, der trägt zwar keine Hoſe, aber Pantoffeln, mit Rie-
men an die Füße gebunden, und einen engen Rock ohne Aermel,
der an allen Säumen mit Franzen oder Bandſchleifen beſetzt iſt;
auch ein Hemd trägt er darunter und die Hemdsärmel bis oben
aufgekrämpt. Da iſt ein Alter, der auch nicht zurückbleiben will,
dem ſchlottert eine alte Karthäuſerkutte um den nackten Leib.
Einer geizt nach ritterlicher Ehre und trägt zu Bundſchuhen und
nackten Beinen einen Schafpelz um ſeine Schultern geſchlagen,
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