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Falke, Jakob von: Die deutsche Trachten- und Modenwelt. Ein Beitrag zur deutschen Culturgeschichte. Bd. 1. Leipzig, 1858.

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II. Das Mittelalter.
sie die alten niederländischen Maler ihren heiligen Frauen, wenn
sie dieselben im höchsten Putz darstellen. So läßt der s. g. Mei-
ster des Bartholomäus seine schöne St. Agnes, deren spitze Schuhe
wir schon oben erwähnten, feine grüne Handschuhe tragen; hell-
blaue trägt die heil. Margaretha auf einer burgundischen Minia-
turmalerei, und die heil. Helena des Hubert van Eyck hat sie mit
Edelsteinen geschmückt. Sonst kommen sie selten auf Bildern des
funfzehnten Jahrhunderts vor, häufiger aber schon im Anfang
des sechszehnten, wo es, mehr als heute, feine Sitte gewesen zu
sein scheint, sie lose in der Hand zu halten. So auf einem Por-
trait der Kaiserin Maria Blanca, Maximilians zweiter Gemahlin.
Junge italienische Herren trugen sie in der ersten Hälfte des funf-
zehnten Jahrhunderts sehr weit um das Handgelenk und mit
einem Quästchen versehen. Damals mußte der Rath von Ber-
gamo schon den Luxus mit Handschuhen einschränken. Weiße
Handschuhe waren, wie früher schon, bei den Richtern gebräuch-
lich; so saßen sie zu Soest zu Gericht. Zwei weiße Handschuhe
mußten die nürnbergischen Kaufleute in Heilsbronn, wenn sie
zur Messe kamen, dem städtischen Zöllner feierlichst auf dem Rath-
haus überreichen, und noch zu Goethe's Zeiten erhielt sie alljähr-
lich -- ein Rest des Mittelalters -- der Bürgermeister von Frank-
furt. -- Dem Stoffe nach waren die Handschuhe aus Seide und
feinem Leder; im Winter trug man auch Pelzhandschuhe. -- --

Obwohl die niedern Stände, die arbeitende und die-
nende Classe in den Städten und das Landvolk, von dem all-
gemeinen Luxus und der Putzsucht sich nicht völlig rein erhalten
konnten, kümmerten sie sich doch der großen Masse nach wenig
um die wandelbaren Formen der launischen Mode. Sie kleideten
sich, wie sie es von ihren Vätern überkommen hatten, und wie
die Bequemlichkeit zur Arbeit es ihnen gebot. Jedoch, was wir
heutiges Tages Volkstrachten zu nennen gewohnt sind, diese Ver-
steinerungen der Mode, existirten damals noch nicht. Volkstrachten
können erst entstehen, wenn die Formen der Mode, von Stufe
zu Stufe die Leiter der menschlichen Gesellschaft herabsteigend und
auf der untersten angekommen, hier stehen bleiben und erstarren.

II. Das Mittelalter.
ſie die alten niederländiſchen Maler ihren heiligen Frauen, wenn
ſie dieſelben im höchſten Putz darſtellen. So läßt der ſ. g. Mei-
ſter des Bartholomäus ſeine ſchöne St. Agnes, deren ſpitze Schuhe
wir ſchon oben erwähnten, feine grüne Handſchuhe tragen; hell-
blaue trägt die heil. Margaretha auf einer burgundiſchen Minia-
turmalerei, und die heil. Helena des Hubert van Eyck hat ſie mit
Edelſteinen geſchmückt. Sonſt kommen ſie ſelten auf Bildern des
funfzehnten Jahrhunderts vor, häufiger aber ſchon im Anfang
des ſechszehnten, wo es, mehr als heute, feine Sitte geweſen zu
ſein ſcheint, ſie loſe in der Hand zu halten. So auf einem Por-
trait der Kaiſerin Maria Blanca, Maximilians zweiter Gemahlin.
Junge italieniſche Herren trugen ſie in der erſten Hälfte des funf-
zehnten Jahrhunderts ſehr weit um das Handgelenk und mit
einem Quäſtchen verſehen. Damals mußte der Rath von Ber-
gamo ſchon den Luxus mit Handſchuhen einſchränken. Weiße
Handſchuhe waren, wie früher ſchon, bei den Richtern gebräuch-
lich; ſo ſaßen ſie zu Soeſt zu Gericht. Zwei weiße Handſchuhe
mußten die nürnbergiſchen Kaufleute in Heilsbronn, wenn ſie
zur Meſſe kamen, dem ſtädtiſchen Zöllner feierlichſt auf dem Rath-
haus überreichen, und noch zu Goethe’s Zeiten erhielt ſie alljähr-
lich — ein Reſt des Mittelalters — der Bürgermeiſter von Frank-
furt. — Dem Stoffe nach waren die Handſchuhe aus Seide und
feinem Leder; im Winter trug man auch Pelzhandſchuhe. — —

Obwohl die niedern Stände, die arbeitende und die-
nende Claſſe in den Städten und das Landvolk, von dem all-
gemeinen Luxus und der Putzſucht ſich nicht völlig rein erhalten
konnten, kümmerten ſie ſich doch der großen Maſſe nach wenig
um die wandelbaren Formen der launiſchen Mode. Sie kleideten
ſich, wie ſie es von ihren Vätern überkommen hatten, und wie
die Bequemlichkeit zur Arbeit es ihnen gebot. Jedoch, was wir
heutiges Tages Volkstrachten zu nennen gewohnt ſind, dieſe Ver-
ſteinerungen der Mode, exiſtirten damals noch nicht. Volkstrachten
können erſt entſtehen, wenn die Formen der Mode, von Stufe
zu Stufe die Leiter der menſchlichen Geſellſchaft herabſteigend und
auf der unterſten angekommen, hier ſtehen bleiben und erſtarren.

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[310/0328] II. Das Mittelalter. ſie die alten niederländiſchen Maler ihren heiligen Frauen, wenn ſie dieſelben im höchſten Putz darſtellen. So läßt der ſ. g. Mei- ſter des Bartholomäus ſeine ſchöne St. Agnes, deren ſpitze Schuhe wir ſchon oben erwähnten, feine grüne Handſchuhe tragen; hell- blaue trägt die heil. Margaretha auf einer burgundiſchen Minia- turmalerei, und die heil. Helena des Hubert van Eyck hat ſie mit Edelſteinen geſchmückt. Sonſt kommen ſie ſelten auf Bildern des funfzehnten Jahrhunderts vor, häufiger aber ſchon im Anfang des ſechszehnten, wo es, mehr als heute, feine Sitte geweſen zu ſein ſcheint, ſie loſe in der Hand zu halten. So auf einem Por- trait der Kaiſerin Maria Blanca, Maximilians zweiter Gemahlin. Junge italieniſche Herren trugen ſie in der erſten Hälfte des funf- zehnten Jahrhunderts ſehr weit um das Handgelenk und mit einem Quäſtchen verſehen. Damals mußte der Rath von Ber- gamo ſchon den Luxus mit Handſchuhen einſchränken. Weiße Handſchuhe waren, wie früher ſchon, bei den Richtern gebräuch- lich; ſo ſaßen ſie zu Soeſt zu Gericht. Zwei weiße Handſchuhe mußten die nürnbergiſchen Kaufleute in Heilsbronn, wenn ſie zur Meſſe kamen, dem ſtädtiſchen Zöllner feierlichſt auf dem Rath- haus überreichen, und noch zu Goethe’s Zeiten erhielt ſie alljähr- lich — ein Reſt des Mittelalters — der Bürgermeiſter von Frank- furt. — Dem Stoffe nach waren die Handſchuhe aus Seide und feinem Leder; im Winter trug man auch Pelzhandſchuhe. — — Obwohl die niedern Stände, die arbeitende und die- nende Claſſe in den Städten und das Landvolk, von dem all- gemeinen Luxus und der Putzſucht ſich nicht völlig rein erhalten konnten, kümmerten ſie ſich doch der großen Maſſe nach wenig um die wandelbaren Formen der launiſchen Mode. Sie kleideten ſich, wie ſie es von ihren Vätern überkommen hatten, und wie die Bequemlichkeit zur Arbeit es ihnen gebot. Jedoch, was wir heutiges Tages Volkstrachten zu nennen gewohnt ſind, dieſe Ver- ſteinerungen der Mode, exiſtirten damals noch nicht. Volkstrachten können erſt entſtehen, wenn die Formen der Mode, von Stufe zu Stufe die Leiter der menſchlichen Geſellſchaft herabſteigend und auf der unterſten angekommen, hier ſtehen bleiben und erſtarren.

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Zitationshilfe: Falke, Jakob von: Die deutsche Trachten- und Modenwelt. Ein Beitrag zur deutschen Culturgeschichte. Bd. 1. Leipzig, 1858, S. 310. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/falke_trachten01_1858/328>, abgerufen am 25.04.2024.