von jenem englisch-französischen Hermelinleibchen, welches auf die Hüften herabreichte, und mit welchem sie keine Aehnlichkeit haben.
Die weite Decolletirung rief bei den Frauen noch ein neues Stück der Kleidung hervor, den Koller oder Goller, ein Wort, welches wir schon in ähnlicher Bedeutung aus den Zeiten der Gugel kennen. Es war ein Kragen, welcher, um den Hals gelegt, Schultern, Rücken und Brust vor dem Einfluß der Kälte schützen sollte. Auch Damen der höheren Stände trugen ihn zu Hause zum Schutze des Teints, oder wo er sonst zu diesem Zwecke nöthig war. Sein Stoff war meist Wolle oder Sammet, und der Luxus versah auch ihn mit geziertem Saum. Als später Hemd und Leibchen zum Halse hinaufrückten, wurde er überflüssig, und von da an trugen ihn nur Frauen der niedersten Stände, bei de- nen er als zur Volkstracht gehörig stehen geblieben war.
Der Mantel ist bei den deutschen Bürgerfrauen keine Sel- tenheit, aber sie legten keinen Werth darauf, da er die eigentliche Toilette ganz verhüllte; man trug ihn auch nur im Winter oder bei schlechtem Wetter. Ihn zu drappiren, daß er der Schönheit und namentlich einer nobeln Eleganz dienen konnte, verstanden die deutschen Frauen nicht mehr. Der Geschmack war ein anderer geworden, und mit ihm hatte der Mantel statt des freien Flusses im Faltenwurf eine steife Form angenommen. Ein großes Stück Tuch, oben in regelmäßige Falten zusammengefaßt, die vom Halse in graden Linien eine neben der andern bis zum Boden herablie- fen, so glich er einem cannelirten Kegel. Stand noch ein steifer Kragen aufrecht im Nacken, so erinnerte nichts mehr an die menschliche Figur. Es war ein wandelnder voller Sack. Nur Frauen trugen den Mantel, Jungfrauen nicht, "bis daß sie Bräute wurden," wie die Erfurter Chronik sagt. Als Ehrenkleid spielte er an deutschen Höfen seine Rolle wie in Burgund und Frankreich. --
Da wir bereits mehrfach des Hemdes gedacht, welches, von Leinwand oder in niedern Ständen zuweilen auch von Wolle, allgemeine Tracht geworden war, und die Schuhe und ihre Um- wandlung auf der Gränzscheide des funfzehnten und sechszehnten
II. Das Mittelalter.
von jenem engliſch-franzöſiſchen Hermelinleibchen, welches auf die Hüften herabreichte, und mit welchem ſie keine Aehnlichkeit haben.
Die weite Decolletirung rief bei den Frauen noch ein neues Stück der Kleidung hervor, den Koller oder Goller, ein Wort, welches wir ſchon in ähnlicher Bedeutung aus den Zeiten der Gugel kennen. Es war ein Kragen, welcher, um den Hals gelegt, Schultern, Rücken und Bruſt vor dem Einfluß der Kälte ſchützen ſollte. Auch Damen der höheren Stände trugen ihn zu Hauſe zum Schutze des Teints, oder wo er ſonſt zu dieſem Zwecke nöthig war. Sein Stoff war meiſt Wolle oder Sammet, und der Luxus verſah auch ihn mit geziertem Saum. Als ſpäter Hemd und Leibchen zum Halſe hinaufrückten, wurde er überflüſſig, und von da an trugen ihn nur Frauen der niederſten Stände, bei de- nen er als zur Volkstracht gehörig ſtehen geblieben war.
Der Mantel iſt bei den deutſchen Bürgerfrauen keine Sel- tenheit, aber ſie legten keinen Werth darauf, da er die eigentliche Toilette ganz verhüllte; man trug ihn auch nur im Winter oder bei ſchlechtem Wetter. Ihn zu drappiren, daß er der Schönheit und namentlich einer nobeln Eleganz dienen konnte, verſtanden die deutſchen Frauen nicht mehr. Der Geſchmack war ein anderer geworden, und mit ihm hatte der Mantel ſtatt des freien Fluſſes im Faltenwurf eine ſteife Form angenommen. Ein großes Stück Tuch, oben in regelmäßige Falten zuſammengefaßt, die vom Halſe in graden Linien eine neben der andern bis zum Boden herablie- fen, ſo glich er einem cannelirten Kegel. Stand noch ein ſteifer Kragen aufrecht im Nacken, ſo erinnerte nichts mehr an die menſchliche Figur. Es war ein wandelnder voller Sack. Nur Frauen trugen den Mantel, Jungfrauen nicht, „bis daß ſie Bräute wurden,“ wie die Erfurter Chronik ſagt. Als Ehrenkleid ſpielte er an deutſchen Höfen ſeine Rolle wie in Burgund und Frankreich. —
Da wir bereits mehrfach des Hemdes gedacht, welches, von Leinwand oder in niedern Ständen zuweilen auch von Wolle, allgemeine Tracht geworden war, und die Schuhe und ihre Um- wandlung auf der Gränzſcheide des funfzehnten und ſechszehnten
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><divn="3"><divn="4"><p><pbfacs="#f0326"n="308"/><fwplace="top"type="header"><hirendition="#aq">II.</hi> Das Mittelalter.</fw><lb/>
von jenem engliſch-franzöſiſchen Hermelinleibchen, welches auf die<lb/>
Hüften herabreichte, und mit welchem ſie keine Aehnlichkeit haben.</p><lb/><p>Die weite Decolletirung rief bei den Frauen noch ein neues<lb/>
Stück der Kleidung hervor, den <hirendition="#g">Koller</hi> oder <hirendition="#g">Goller</hi>, ein<lb/>
Wort, welches wir ſchon in ähnlicher Bedeutung aus den Zeiten<lb/>
der Gugel kennen. Es war ein Kragen, welcher, um den Hals<lb/>
gelegt, Schultern, Rücken und Bruſt vor dem Einfluß der Kälte<lb/>ſchützen ſollte. Auch Damen der höheren Stände trugen ihn zu<lb/>
Hauſe zum Schutze des Teints, oder wo er ſonſt zu dieſem Zwecke<lb/>
nöthig war. Sein Stoff war meiſt Wolle oder Sammet, und der<lb/>
Luxus verſah auch ihn mit geziertem Saum. Als ſpäter Hemd<lb/>
und Leibchen zum Halſe hinaufrückten, wurde er überflüſſig, und<lb/>
von da an trugen ihn nur Frauen der niederſten Stände, bei de-<lb/>
nen er als zur Volkstracht gehörig ſtehen geblieben war.</p><lb/><p>Der <hirendition="#g">Mantel</hi> iſt bei den deutſchen Bürgerfrauen keine Sel-<lb/>
tenheit, aber ſie legten keinen Werth darauf, da er die eigentliche<lb/>
Toilette ganz verhüllte; man trug ihn auch nur im Winter oder<lb/>
bei ſchlechtem Wetter. Ihn zu drappiren, daß er der Schönheit<lb/>
und namentlich einer nobeln Eleganz dienen konnte, verſtanden<lb/>
die deutſchen Frauen nicht mehr. Der Geſchmack war ein anderer<lb/>
geworden, und mit ihm hatte der Mantel ſtatt des freien Fluſſes<lb/>
im Faltenwurf eine ſteife Form angenommen. Ein großes Stück<lb/>
Tuch, oben in regelmäßige Falten zuſammengefaßt, die vom Halſe<lb/>
in graden Linien eine neben der andern bis zum Boden herablie-<lb/>
fen, ſo glich er einem cannelirten Kegel. Stand noch ein ſteifer<lb/>
Kragen aufrecht im Nacken, ſo erinnerte nichts mehr an die<lb/>
menſchliche Figur. Es war ein wandelnder voller Sack. Nur<lb/>
Frauen trugen den Mantel, Jungfrauen nicht, „bis daß ſie<lb/>
Bräute wurden,“ wie die Erfurter Chronik ſagt. Als Ehrenkleid<lb/>ſpielte er an deutſchen Höfen ſeine Rolle wie in Burgund und<lb/>
Frankreich. —</p><lb/><p>Da wir bereits mehrfach des <hirendition="#g">Hemdes</hi> gedacht, welches,<lb/>
von Leinwand oder in niedern Ständen zuweilen auch von Wolle,<lb/>
allgemeine Tracht geworden war, und die <hirendition="#g">Schuhe</hi> und ihre Um-<lb/>
wandlung auf der Gränzſcheide des funfzehnten und ſechszehnten<lb/></p></div></div></div></div></body></text></TEI>
[308/0326]
II. Das Mittelalter.
von jenem engliſch-franzöſiſchen Hermelinleibchen, welches auf die
Hüften herabreichte, und mit welchem ſie keine Aehnlichkeit haben.
Die weite Decolletirung rief bei den Frauen noch ein neues
Stück der Kleidung hervor, den Koller oder Goller, ein
Wort, welches wir ſchon in ähnlicher Bedeutung aus den Zeiten
der Gugel kennen. Es war ein Kragen, welcher, um den Hals
gelegt, Schultern, Rücken und Bruſt vor dem Einfluß der Kälte
ſchützen ſollte. Auch Damen der höheren Stände trugen ihn zu
Hauſe zum Schutze des Teints, oder wo er ſonſt zu dieſem Zwecke
nöthig war. Sein Stoff war meiſt Wolle oder Sammet, und der
Luxus verſah auch ihn mit geziertem Saum. Als ſpäter Hemd
und Leibchen zum Halſe hinaufrückten, wurde er überflüſſig, und
von da an trugen ihn nur Frauen der niederſten Stände, bei de-
nen er als zur Volkstracht gehörig ſtehen geblieben war.
Der Mantel iſt bei den deutſchen Bürgerfrauen keine Sel-
tenheit, aber ſie legten keinen Werth darauf, da er die eigentliche
Toilette ganz verhüllte; man trug ihn auch nur im Winter oder
bei ſchlechtem Wetter. Ihn zu drappiren, daß er der Schönheit
und namentlich einer nobeln Eleganz dienen konnte, verſtanden
die deutſchen Frauen nicht mehr. Der Geſchmack war ein anderer
geworden, und mit ihm hatte der Mantel ſtatt des freien Fluſſes
im Faltenwurf eine ſteife Form angenommen. Ein großes Stück
Tuch, oben in regelmäßige Falten zuſammengefaßt, die vom Halſe
in graden Linien eine neben der andern bis zum Boden herablie-
fen, ſo glich er einem cannelirten Kegel. Stand noch ein ſteifer
Kragen aufrecht im Nacken, ſo erinnerte nichts mehr an die
menſchliche Figur. Es war ein wandelnder voller Sack. Nur
Frauen trugen den Mantel, Jungfrauen nicht, „bis daß ſie
Bräute wurden,“ wie die Erfurter Chronik ſagt. Als Ehrenkleid
ſpielte er an deutſchen Höfen ſeine Rolle wie in Burgund und
Frankreich. —
Da wir bereits mehrfach des Hemdes gedacht, welches,
von Leinwand oder in niedern Ständen zuweilen auch von Wolle,
allgemeine Tracht geworden war, und die Schuhe und ihre Um-
wandlung auf der Gränzſcheide des funfzehnten und ſechszehnten
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Falke, Jakob von: Die deutsche Trachten- und Modenwelt. Ein Beitrag zur deutschen Culturgeschichte. Bd. 1. Leipzig, 1858, S. 308. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/falke_trachten01_1858/326>, abgerufen am 08.07.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.