schlossen wäre. Freilich ist diese Herrlichkeit bei allem Reichthum wieder eine sehr bescheidene, denn einmal war Gold und Silber als Erzeugniß des heimischen Bodens damals eine unbekannte Sache, und das Erz, das ärmliche, mußte den Stoff bilden zu den Waffen wie zum Schmuck. Es war noch die Zeit, wo selbst die Götter, wie es im Voluspalied der Edda heißt,
"die Asen Erbauten Essen und schmiedeten Erz, Schufen Zangen und schön Gezäh. Sie warfen im Hofe heiter mit Würfeln Und kannten die Gier des Goldes noch nicht." (Simrock.)
Aber es glänzte damals in seiner Neuheit das Erz wie Gold, und war nicht wie heut zu Tage nach der langen Ruhe in den Grä- bern von dem "edlen Rost" der Alterthümler grünlich und glanz- los angelaufen. Andrerseits stand die Kunst der Ornamentik zu jener Zeit auf einer sehr niedrigen Stufe, ja fast auf der unter- sten, welche nur der jedem Volke angeborne Verschönerungstrieb einnehmen kann. Die einfachsten Elemente, mit denen die Kunst beginnt, die grade und die krumme Linie, da angebracht, wo sie zur Zweckmäßigkeit nicht in Betracht kommen, finden sich hier vor. Denn nichts kann dem sich in seiner Ursprünglichkeit zum ersten Mal regenden Triebe zur Verzierung näher liegen, als die Gränzlinien, welche irgend einem Gegenstand durch seine Zweck- mäßigkeit gesetzt sind, durch einen Strich zu begleiten. So fängt in der That die deutsche Kunst in der heidnischen Zeit an, wie uns der Inhalt der Gräber lehrt, und ebenso auch die Kunst jedes andern auf einer niedern Stufe der Civilisation stehenden Volkes. Die grade Linie also, welche eine natürliche Gränze begleitet, ist das erste Ornament; sie verdoppelt sich zu parallelen Streifen, zu Bändern; sie bricht sich in regelmäßigen Abständen und es ent- steht das Zickzack; in gleicher Weise brechen sich die parallelen Streifen, verbinden sich wieder zu Reihen und laufen im Zickzack neben einander her. Aus der Durchschneidung der Linien und der Bänder entsteht netzförmiges Ornament; verbindet sich mit einem Band die Zickzacklinie, so entstehen Zacken.
1. Urzeit und Urzuſtände.
ſchloſſen wäre. Freilich iſt dieſe Herrlichkeit bei allem Reichthum wieder eine ſehr beſcheidene, denn einmal war Gold und Silber als Erzeugniß des heimiſchen Bodens damals eine unbekannte Sache, und das Erz, das ärmliche, mußte den Stoff bilden zu den Waffen wie zum Schmuck. Es war noch die Zeit, wo ſelbſt die Götter, wie es im Voluspalied der Edda heißt,
„die Aſen Erbauten Eſſen und ſchmiedeten Erz, Schufen Zangen und ſchön Gezäh. Sie warfen im Hofe heiter mit Würfeln Und kannten die Gier des Goldes noch nicht.“ (Simrock.)
Aber es glänzte damals in ſeiner Neuheit das Erz wie Gold, und war nicht wie heut zu Tage nach der langen Ruhe in den Grä- bern von dem „edlen Roſt“ der Alterthümler grünlich und glanz- los angelaufen. Andrerſeits ſtand die Kunſt der Ornamentik zu jener Zeit auf einer ſehr niedrigen Stufe, ja faſt auf der unter- ſten, welche nur der jedem Volke angeborne Verſchönerungstrieb einnehmen kann. Die einfachſten Elemente, mit denen die Kunſt beginnt, die grade und die krumme Linie, da angebracht, wo ſie zur Zweckmäßigkeit nicht in Betracht kommen, finden ſich hier vor. Denn nichts kann dem ſich in ſeiner Urſprünglichkeit zum erſten Mal regenden Triebe zur Verzierung näher liegen, als die Gränzlinien, welche irgend einem Gegenſtand durch ſeine Zweck- mäßigkeit geſetzt ſind, durch einen Strich zu begleiten. So fängt in der That die deutſche Kunſt in der heidniſchen Zeit an, wie uns der Inhalt der Gräber lehrt, und ebenſo auch die Kunſt jedes andern auf einer niedern Stufe der Civiliſation ſtehenden Volkes. Die grade Linie alſo, welche eine natürliche Gränze begleitet, iſt das erſte Ornament; ſie verdoppelt ſich zu parallelen Streifen, zu Bändern; ſie bricht ſich in regelmäßigen Abſtänden und es ent- ſteht das Zickzack; in gleicher Weiſe brechen ſich die parallelen Streifen, verbinden ſich wieder zu Reihen und laufen im Zickzack neben einander her. Aus der Durchſchneidung der Linien und der Bänder entſteht netzförmiges Ornament; verbindet ſich mit einem Band die Zickzacklinie, ſo entſtehen Zacken.
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1. Urzeit und Urzuſtände.
ſchloſſen wäre. Freilich iſt dieſe Herrlichkeit bei allem Reichthum
wieder eine ſehr beſcheidene, denn einmal war Gold und Silber
als Erzeugniß des heimiſchen Bodens damals eine unbekannte
Sache, und das Erz, das ärmliche, mußte den Stoff bilden zu
den Waffen wie zum Schmuck. Es war noch die Zeit, wo ſelbſt
die Götter, wie es im Voluspalied der Edda heißt,
„die Aſen
Erbauten Eſſen und ſchmiedeten Erz,
Schufen Zangen und ſchön Gezäh.
Sie warfen im Hofe heiter mit Würfeln
Und kannten die Gier des Goldes noch nicht.“
(Simrock.)
Aber es glänzte damals in ſeiner Neuheit das Erz wie Gold, und
war nicht wie heut zu Tage nach der langen Ruhe in den Grä-
bern von dem „edlen Roſt“ der Alterthümler grünlich und glanz-
los angelaufen. Andrerſeits ſtand die Kunſt der Ornamentik zu
jener Zeit auf einer ſehr niedrigen Stufe, ja faſt auf der unter-
ſten, welche nur der jedem Volke angeborne Verſchönerungstrieb
einnehmen kann. Die einfachſten Elemente, mit denen die Kunſt
beginnt, die grade und die krumme Linie, da angebracht, wo ſie
zur Zweckmäßigkeit nicht in Betracht kommen, finden ſich hier
vor. Denn nichts kann dem ſich in ſeiner Urſprünglichkeit zum
erſten Mal regenden Triebe zur Verzierung näher liegen, als die
Gränzlinien, welche irgend einem Gegenſtand durch ſeine Zweck-
mäßigkeit geſetzt ſind, durch einen Strich zu begleiten. So fängt
in der That die deutſche Kunſt in der heidniſchen Zeit an, wie
uns der Inhalt der Gräber lehrt, und ebenſo auch die Kunſt jedes
andern auf einer niedern Stufe der Civiliſation ſtehenden Volkes.
Die grade Linie alſo, welche eine natürliche Gränze begleitet, iſt
das erſte Ornament; ſie verdoppelt ſich zu parallelen Streifen, zu
Bändern; ſie bricht ſich in regelmäßigen Abſtänden und es ent-
ſteht das Zickzack; in gleicher Weiſe brechen ſich die parallelen
Streifen, verbinden ſich wieder zu Reihen und laufen im Zickzack
neben einander her. Aus der Durchſchneidung der Linien und
der Bänder entſteht netzförmiges Ornament; verbindet ſich mit
einem Band die Zickzacklinie, ſo entſtehen Zacken.
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Falke, Jakob von: Die deutsche Trachten- und Modenwelt. Ein Beitrag zur deutschen Culturgeschichte. Bd. 1. Leipzig, 1858, S. 13. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/falke_trachten01_1858/31>, abgerufen am 08.07.2024.
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