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Falke, Jakob von: Die deutsche Trachten- und Modenwelt. Ein Beitrag zur deutschen Culturgeschichte. Bd. 1. Leipzig, 1858.

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I. Aelteste Zeit bis zu den Kreuzzügen.
gängig längeren Haarwuchses; denselben aber gänzlich an Haupt
und Bart ungeschoren zu lassen, dazu konnten sie nur besondere
Gründe bewegen. So geschah es einst jenen Sachsen, welche die
Langobarden nach Italien begleitet hatten, und als sie von die-
sem Zuge zurückkehrten, ihre alten Wohnsitze von Schwaben ein-
genommen fanden. In einer Schlacht von diesen geschlagen, ge-
loben sie nicht eher Haupthaar noch Bart zu scheeren, bis sie an
ihren Feinden Rache genommen. Sie kamen nicht dazu, denn in
der zweiten Schlacht erlagen sie gänzlich.

Solche Gelübde finden wir schon in den frühsten Zeiten mit
dem Haar verbunden. Von den Chatten erzählt Tacitus, daß,
sobald sie herangewachsen sind, sie Haar und Bart lang wachsen
lassen, und diese Tracht, die sie zum Gelübde gemacht und mit
welcher sie sich der Tapferkeit geweiht haben, nur dann ablegen,
wenn sie einen Feind getödtet haben. "Ueber der blutigen Beute
des erschlagenen Feindes enthüllen sie wieder ihre Stirn und
glauben, daß sie dann erst den Preis für ihre Geburt zurückge-
zahlt und sich des Vaterlandes und der Aeltern würdig gezeigt
haben." So legt auch Claudius Civilis, der kühne und kluge
Führer der Bataver, einem Gelübde zufolge, welches er beim Be-
ginn des Aufstandes gethan, sein langes röthliches Haar erst
dann ab, als die römischen Legionen vernichtet sind. Trauerfälle
konnten Aehnliches veranlassen. Beim Tode des Germanicus
legten einige Germanenfürsten zu Ehren des Verstorbenen den
Bart ab und schoren ihren Frauen den Kopf zum Zeichen der
tiefsten Trauer.

Ueber den Schmuck unserer heidnischen Vorfahren schwei-
gen die Mitlebenden; sie wissen nur zu erzählen, daß die Deut-
schen ihn nicht verschmäht, ja daß solche Geschenke mehr als alles
andre auf sie Eindruck gemacht hätten. Die Thatsachen aber, die
uns aus der Eröffnung ihrer alten Grabstätten entgegen treten,
ersetzen uns reichlich, was die Römer versäumt haben. So müs-
sen nun nach fast zweitausend Jahren die Todten reden, der
stumme Mund der Gräber wird beredt und erzählt uns von man-
cherlei vergangener Herrlichkeit, deren Kunde uns sonst ewig ver-

I. Aelteſte Zeit bis zu den Kreuzzügen.
gängig längeren Haarwuchſes; denſelben aber gänzlich an Haupt
und Bart ungeſchoren zu laſſen, dazu konnten ſie nur beſondere
Gründe bewegen. So geſchah es einſt jenen Sachſen, welche die
Langobarden nach Italien begleitet hatten, und als ſie von die-
ſem Zuge zurückkehrten, ihre alten Wohnſitze von Schwaben ein-
genommen fanden. In einer Schlacht von dieſen geſchlagen, ge-
loben ſie nicht eher Haupthaar noch Bart zu ſcheeren, bis ſie an
ihren Feinden Rache genommen. Sie kamen nicht dazu, denn in
der zweiten Schlacht erlagen ſie gänzlich.

Solche Gelübde finden wir ſchon in den frühſten Zeiten mit
dem Haar verbunden. Von den Chatten erzählt Tacitus, daß,
ſobald ſie herangewachſen ſind, ſie Haar und Bart lang wachſen
laſſen, und dieſe Tracht, die ſie zum Gelübde gemacht und mit
welcher ſie ſich der Tapferkeit geweiht haben, nur dann ablegen,
wenn ſie einen Feind getödtet haben. „Ueber der blutigen Beute
des erſchlagenen Feindes enthüllen ſie wieder ihre Stirn und
glauben, daß ſie dann erſt den Preis für ihre Geburt zurückge-
zahlt und ſich des Vaterlandes und der Aeltern würdig gezeigt
haben.“ So legt auch Claudius Civilis, der kühne und kluge
Führer der Bataver, einem Gelübde zufolge, welches er beim Be-
ginn des Aufſtandes gethan, ſein langes röthliches Haar erſt
dann ab, als die römiſchen Legionen vernichtet ſind. Trauerfälle
konnten Aehnliches veranlaſſen. Beim Tode des Germanicus
legten einige Germanenfürſten zu Ehren des Verſtorbenen den
Bart ab und ſchoren ihren Frauen den Kopf zum Zeichen der
tiefſten Trauer.

Ueber den Schmuck unſerer heidniſchen Vorfahren ſchwei-
gen die Mitlebenden; ſie wiſſen nur zu erzählen, daß die Deut-
ſchen ihn nicht verſchmäht, ja daß ſolche Geſchenke mehr als alles
andre auf ſie Eindruck gemacht hätten. Die Thatſachen aber, die
uns aus der Eröffnung ihrer alten Grabſtätten entgegen treten,
erſetzen uns reichlich, was die Römer verſäumt haben. So müſ-
ſen nun nach faſt zweitauſend Jahren die Todten reden, der
ſtumme Mund der Gräber wird beredt und erzählt uns von man-
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[12/0030] I. Aelteſte Zeit bis zu den Kreuzzügen. gängig längeren Haarwuchſes; denſelben aber gänzlich an Haupt und Bart ungeſchoren zu laſſen, dazu konnten ſie nur beſondere Gründe bewegen. So geſchah es einſt jenen Sachſen, welche die Langobarden nach Italien begleitet hatten, und als ſie von die- ſem Zuge zurückkehrten, ihre alten Wohnſitze von Schwaben ein- genommen fanden. In einer Schlacht von dieſen geſchlagen, ge- loben ſie nicht eher Haupthaar noch Bart zu ſcheeren, bis ſie an ihren Feinden Rache genommen. Sie kamen nicht dazu, denn in der zweiten Schlacht erlagen ſie gänzlich. Solche Gelübde finden wir ſchon in den frühſten Zeiten mit dem Haar verbunden. Von den Chatten erzählt Tacitus, daß, ſobald ſie herangewachſen ſind, ſie Haar und Bart lang wachſen laſſen, und dieſe Tracht, die ſie zum Gelübde gemacht und mit welcher ſie ſich der Tapferkeit geweiht haben, nur dann ablegen, wenn ſie einen Feind getödtet haben. „Ueber der blutigen Beute des erſchlagenen Feindes enthüllen ſie wieder ihre Stirn und glauben, daß ſie dann erſt den Preis für ihre Geburt zurückge- zahlt und ſich des Vaterlandes und der Aeltern würdig gezeigt haben.“ So legt auch Claudius Civilis, der kühne und kluge Führer der Bataver, einem Gelübde zufolge, welches er beim Be- ginn des Aufſtandes gethan, ſein langes röthliches Haar erſt dann ab, als die römiſchen Legionen vernichtet ſind. Trauerfälle konnten Aehnliches veranlaſſen. Beim Tode des Germanicus legten einige Germanenfürſten zu Ehren des Verſtorbenen den Bart ab und ſchoren ihren Frauen den Kopf zum Zeichen der tiefſten Trauer. Ueber den Schmuck unſerer heidniſchen Vorfahren ſchwei- gen die Mitlebenden; ſie wiſſen nur zu erzählen, daß die Deut- ſchen ihn nicht verſchmäht, ja daß ſolche Geſchenke mehr als alles andre auf ſie Eindruck gemacht hätten. Die Thatſachen aber, die uns aus der Eröffnung ihrer alten Grabſtätten entgegen treten, erſetzen uns reichlich, was die Römer verſäumt haben. So müſ- ſen nun nach faſt zweitauſend Jahren die Todten reden, der ſtumme Mund der Gräber wird beredt und erzählt uns von man- cherlei vergangener Herrlichkeit, deren Kunde uns ſonſt ewig ver-

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Zitationshilfe: Falke, Jakob von: Die deutsche Trachten- und Modenwelt. Ein Beitrag zur deutschen Culturgeschichte. Bd. 1. Leipzig, 1858, S. 12. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/falke_trachten01_1858/30>, abgerufen am 29.03.2024.