Falke, Jakob von: Die deutsche Trachten- und Modenwelt. Ein Beitrag zur deutschen Culturgeschichte. Bd. 1. Leipzig, 1858.2. Die Zeit des Luxus und der Entartung. es vorzugsweise die Königin Isabella, Gemahlin Karls VI.,welche zur Vergrößerung der Hauben das meiste beigetragen hatte. Ihr Ruf in dieser Beziehung ist so groß, daß die übertreibende Tradition ihr nachsagt, es hätten die Thore des Palastes zu Vin- cennes für sie und ihre Damen um der gewaltigen Coiffüren willen geändert werden müssen. Es giebt eine wohl gleichzeitige Miniature, welche diese Königin mit einigen Damen in ihrem Gemache, also keineswegs in höchster Toilette, darstellt. Wir haben dieselbe bereits oben erwähnt. Die Königin trägt das Haar aus dem Gesicht und dem Nacken herausgestrichen und un- ter einer großen Haube verborgen. Diese baut sich von den Schläfen aus schräg in die Höhe um mehr als die Länge des Kopfes; quer darüber liegt ein mächtiger, dicker Wulst, etwa in der Breite von drei Gesichtslängen mit einer Einsenkung über dem Scheitel und rundum mit Schmuck und goldenen Nadeln besteckt. Um dieselbe Zeit, welcher die genannte Miniature angehö- 18*
2. Die Zeit des Luxus und der Entartung. es vorzugsweiſe die Königin Iſabella, Gemahlin Karls VI.,welche zur Vergrößerung der Hauben das meiſte beigetragen hatte. Ihr Ruf in dieſer Beziehung iſt ſo groß, daß die übertreibende Tradition ihr nachſagt, es hätten die Thore des Palaſtes zu Vin- cennes für ſie und ihre Damen um der gewaltigen Coiffüren willen geändert werden müſſen. Es giebt eine wohl gleichzeitige Miniature, welche dieſe Königin mit einigen Damen in ihrem Gemache, alſo keineswegs in höchſter Toilette, darſtellt. Wir haben dieſelbe bereits oben erwähnt. Die Königin trägt das Haar aus dem Geſicht und dem Nacken herausgeſtrichen und un- ter einer großen Haube verborgen. Dieſe baut ſich von den Schläfen aus ſchräg in die Höhe um mehr als die Länge des Kopfes; quer darüber liegt ein mächtiger, dicker Wulſt, etwa in der Breite von drei Geſichtslängen mit einer Einſenkung über dem Scheitel und rundum mit Schmuck und goldenen Nadeln beſteckt. Um dieſelbe Zeit, welcher die genannte Miniature angehö- 18*
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2. Die Zeit des Luxus und der Entartung.
es vorzugsweiſe die Königin Iſabella, Gemahlin Karls VI.,
welche zur Vergrößerung der Hauben das meiſte beigetragen hatte.
Ihr Ruf in dieſer Beziehung iſt ſo groß, daß die übertreibende
Tradition ihr nachſagt, es hätten die Thore des Palaſtes zu Vin-
cennes für ſie und ihre Damen um der gewaltigen Coiffüren
willen geändert werden müſſen. Es giebt eine wohl gleichzeitige
Miniature, welche dieſe Königin mit einigen Damen in ihrem
Gemache, alſo keineswegs in höchſter Toilette, darſtellt. Wir
haben dieſelbe bereits oben erwähnt. Die Königin trägt das
Haar aus dem Geſicht und dem Nacken herausgeſtrichen und un-
ter einer großen Haube verborgen. Dieſe baut ſich von den
Schläfen aus ſchräg in die Höhe um mehr als die Länge des
Kopfes; quer darüber liegt ein mächtiger, dicker Wulſt, etwa in
der Breite von drei Geſichtslängen mit einer Einſenkung über dem
Scheitel und rundum mit Schmuck und goldenen Nadeln beſteckt.
Um dieſelbe Zeit, welcher die genannte Miniature angehö-
ren mag, warnt der Ritter de la Tour ſeine Töchter vor ſolchem
Uebermaß. „Die Frauen,“ ſagt er, „gleichen den gehörnten Hir-
ſchen, welche den Kopf ſenken, wenn ſie in den Wald hinein-
gehen. Wenn ſie an der Thüre der Kirche ankommen, betrachtet
ſie euch: man bietet ihnen geweihtes Waſſer — ſie nehmen keine
Rückſicht darauf, wohl aber auf ihre Hörner, die ſie abzubrechen
fürchten, und welche ſie zwingen ſich zu bücken.“ Faſt auffallen-
der noch coiffirten ſich damals die engliſchen Damen: auf dicken
Wülſten ruhte ein Drahtgeſtell, welches einen Schleier oder ein
leichtes farbiges Tuch nach beiden Seiten weit ausgeſpannt hielt.
Es mochte oft Schwierigkeit haben, mit denſelben in gradem
Schritt durch enge Thüren zu gehen, und es bedurfte nicht ſelten
zur glücklichen Paſſage einer Seitenbewegung. Engliſche ſitten-
richternde Prediger hatten damals unter der Regirung der Hein-
riche dieſe hohen Hauben gar oft zum Thema und verglichen die
Damen mit den horntragenden Thieren, mit Hirſchen, Einhör-
nern und den Schnecken. In dieſe Kategorie gehört auch die
Galgenhaube in der oben mitgetheilten Erzählung des Ritters de
la Tour.
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