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Falke, Jakob von: Die deutsche Trachten- und Modenwelt. Ein Beitrag zur deutschen Culturgeschichte. Bd. 1. Leipzig, 1858.

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II. Das Mittelalter.
einen außerordentlich breiten Pelzbesatz. Die Vicomtesse de Fur-
nes weiß etwas Aehnliches schon vom Jahr 1456 zu erzählen,
daß nämlich die Herzogin selbst bei der Taufe der Maria ein ganz
kurzes Kleid getragen und die andern Damen ihre Schleppen
selbst in die Hand genommen hätten. In der That zeigen die
Bilder seitdem die Damen häufig ohne Schleppen und mit dem
breiten Hermelin- oder Mardersaum des Kleides. Die Schleppe
jedoch verschwand nicht; in der Länge freilich, in welcher sie getra-
gen werden mußte, blieb sie mehr feierlichen Gelegenheiten, wie
Krönungen und Vermählungen, vorbehalten; als nachschleppen-
des Kleid aber spielt sie noch grade in den letzten Jahrzehnten des
funfzehnten Jahrhunderts in der Damenwelt der Niederlande
eine große Rolle.

Der burgundischen Damenwelt war auch jenes Hermelin-
leibchen nicht unbekannt, welches wir oben als noble Tracht der
Französinnen und Engländerinnen beschrieben haben. Es scheint
bei bestimmten Gelegenheiten von der Etiquette geboten worden
zu sein und findet sich namentlich bei dem nachschleppenden Man-
tel statt des langen Oberkleides. Auch bei der Trauerkleidung
wurde es, jedoch von anderm Stoff, getragen.

Das Eigenthümlichste und Barockste zugleich an der Damen-
tracht waren die hohen Hauben, und sie vorzugsweise mögen
einen Gradmesser des Geschmackes und der Sinnesrichtung ihrer
Trägerinnen abgeben. Ganz im Gegensatz gegen das frühere
Mittelalter, welches auf das Haar einen außerordentlichen Werth
legte und es in freier Lockenfülle über Schultern und Nacken
herabfallen ließ, strichen es die burgundischen Damen aufwärts
und suchten es unter hohen Gebäuden zu verbergen. Nicht ein-
mal die deutsche Mode, welche es in goldene Netzhauben an bei-
den Ohren eingeschlossen trug, fand Gnade. Nichts sollte sichtbar
werden und was sich vordrängte, wurde abgeschnitten, ausgeris-
sen oder abgebrannt. Es ist, als ob Damen und Herren ihre
Rolle vertauscht hätten und den letzteren Locken und Pomaden
und Haarschmuck zugefallen seien. Die Mode war keine neue:
der burgundische Hof hatte sie von Frankreich erhalten. Hier war

II. Das Mittelalter.
einen außerordentlich breiten Pelzbeſatz. Die Vicomteſſe de Fur-
nes weiß etwas Aehnliches ſchon vom Jahr 1456 zu erzählen,
daß nämlich die Herzogin ſelbſt bei der Taufe der Maria ein ganz
kurzes Kleid getragen und die andern Damen ihre Schleppen
ſelbſt in die Hand genommen hätten. In der That zeigen die
Bilder ſeitdem die Damen häufig ohne Schleppen und mit dem
breiten Hermelin- oder Marderſaum des Kleides. Die Schleppe
jedoch verſchwand nicht; in der Länge freilich, in welcher ſie getra-
gen werden mußte, blieb ſie mehr feierlichen Gelegenheiten, wie
Krönungen und Vermählungen, vorbehalten; als nachſchleppen-
des Kleid aber ſpielt ſie noch grade in den letzten Jahrzehnten des
funfzehnten Jahrhunderts in der Damenwelt der Niederlande
eine große Rolle.

Der burgundiſchen Damenwelt war auch jenes Hermelin-
leibchen nicht unbekannt, welches wir oben als noble Tracht der
Franzöſinnen und Engländerinnen beſchrieben haben. Es ſcheint
bei beſtimmten Gelegenheiten von der Etiquette geboten worden
zu ſein und findet ſich namentlich bei dem nachſchleppenden Man-
tel ſtatt des langen Oberkleides. Auch bei der Trauerkleidung
wurde es, jedoch von anderm Stoff, getragen.

Das Eigenthümlichſte und Barockſte zugleich an der Damen-
tracht waren die hohen Hauben, und ſie vorzugsweiſe mögen
einen Gradmeſſer des Geſchmackes und der Sinnesrichtung ihrer
Trägerinnen abgeben. Ganz im Gegenſatz gegen das frühere
Mittelalter, welches auf das Haar einen außerordentlichen Werth
legte und es in freier Lockenfülle über Schultern und Nacken
herabfallen ließ, ſtrichen es die burgundiſchen Damen aufwärts
und ſuchten es unter hohen Gebäuden zu verbergen. Nicht ein-
mal die deutſche Mode, welche es in goldene Netzhauben an bei-
den Ohren eingeſchloſſen trug, fand Gnade. Nichts ſollte ſichtbar
werden und was ſich vordrängte, wurde abgeſchnitten, ausgeriſ-
ſen oder abgebrannt. Es iſt, als ob Damen und Herren ihre
Rolle vertauſcht hätten und den letzteren Locken und Pomaden
und Haarſchmuck zugefallen ſeien. Die Mode war keine neue:
der burgundiſche Hof hatte ſie von Frankreich erhalten. Hier war

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[274/0292] II. Das Mittelalter. einen außerordentlich breiten Pelzbeſatz. Die Vicomteſſe de Fur- nes weiß etwas Aehnliches ſchon vom Jahr 1456 zu erzählen, daß nämlich die Herzogin ſelbſt bei der Taufe der Maria ein ganz kurzes Kleid getragen und die andern Damen ihre Schleppen ſelbſt in die Hand genommen hätten. In der That zeigen die Bilder ſeitdem die Damen häufig ohne Schleppen und mit dem breiten Hermelin- oder Marderſaum des Kleides. Die Schleppe jedoch verſchwand nicht; in der Länge freilich, in welcher ſie getra- gen werden mußte, blieb ſie mehr feierlichen Gelegenheiten, wie Krönungen und Vermählungen, vorbehalten; als nachſchleppen- des Kleid aber ſpielt ſie noch grade in den letzten Jahrzehnten des funfzehnten Jahrhunderts in der Damenwelt der Niederlande eine große Rolle. Der burgundiſchen Damenwelt war auch jenes Hermelin- leibchen nicht unbekannt, welches wir oben als noble Tracht der Franzöſinnen und Engländerinnen beſchrieben haben. Es ſcheint bei beſtimmten Gelegenheiten von der Etiquette geboten worden zu ſein und findet ſich namentlich bei dem nachſchleppenden Man- tel ſtatt des langen Oberkleides. Auch bei der Trauerkleidung wurde es, jedoch von anderm Stoff, getragen. Das Eigenthümlichſte und Barockſte zugleich an der Damen- tracht waren die hohen Hauben, und ſie vorzugsweiſe mögen einen Gradmeſſer des Geſchmackes und der Sinnesrichtung ihrer Trägerinnen abgeben. Ganz im Gegenſatz gegen das frühere Mittelalter, welches auf das Haar einen außerordentlichen Werth legte und es in freier Lockenfülle über Schultern und Nacken herabfallen ließ, ſtrichen es die burgundiſchen Damen aufwärts und ſuchten es unter hohen Gebäuden zu verbergen. Nicht ein- mal die deutſche Mode, welche es in goldene Netzhauben an bei- den Ohren eingeſchloſſen trug, fand Gnade. Nichts ſollte ſichtbar werden und was ſich vordrängte, wurde abgeſchnitten, ausgeriſ- ſen oder abgebrannt. Es iſt, als ob Damen und Herren ihre Rolle vertauſcht hätten und den letzteren Locken und Pomaden und Haarſchmuck zugefallen ſeien. Die Mode war keine neue: der burgundiſche Hof hatte ſie von Frankreich erhalten. Hier war

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Zitationshilfe: Falke, Jakob von: Die deutsche Trachten- und Modenwelt. Ein Beitrag zur deutschen Culturgeschichte. Bd. 1. Leipzig, 1858, S. 274. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/falke_trachten01_1858/292>, abgerufen am 23.11.2024.