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Falke, Jakob von: Die deutsche Trachten- und Modenwelt. Ein Beitrag zur deutschen Culturgeschichte. Bd. 1. Leipzig, 1858.

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II. Das Mittelalter.
Cleve) trug die ihrige selbst; aber als die Herzogin den Dauphin
gewahr wurde, ließ diejenige, welche ihre Schleppe trug, solche
fahren und ebenso derjenige, welcher die Schleppe der Frau von
Charolais trug, und als der Dauphin und die Herzogin mit ein-
ander gingen, nahm diese ihren Rock selbst mit ihrer Hand, und
ihr Ehrenritter oder irgend ein anderer half ihr denselben tragen;
doch hielt sie immer die Hand daran, und Frau von Charolais
trug den ihrigen." Aehnlich geschah es ein ander Mal, als die
Herzogin von Burgund der Königin von Frankreich ihre Aufwar-
tung machte. Die erste Hofdame nahm die Schleppe der Herzo-
gin, der Herzog von Bourbon führte sie, und alle übrigen Ritter
und Edelleute traten voraus. So ging der Zug bis vor das
Zimmer der Königin. Nach geschehener Anmeldung ging die
Herzogin bis an die Thürschwelle. Alle ihre Ritter und Edelleute
traten vor ihr hinein, und als sie selbst an die Schwelle des Zim-
mers gekommen war, nahm sie die Schleppe ihres Kleides aus
der Hand, die sie getragen hatte, in die ihrige. Als sie über die
Schwelle schritt, ließ sie die Schleppe fallen, und neigte sich fast
bis auf die Erde. Die Höflichkeit, welche hier die Herzogin der
Königin erweiset, besteht darin, daß sie selbst ihr gegenüber einer
ihr zukommenden Ehre entsagt. Die lange, getragene Schleppe
verwuchs so völlig mit dem Hofwesen und der Etiquette, daß sie
damals des Künstlers Phantasie nicht zu trennen vermochte. Ein
Beispiel dieser innigen Verbindung giebt ein großer französisch-
burgundischer Teppich, welcher Scenen aus dem trojanischen
Kriege darstellt. Die Königin der Amazonen, Penthesilea, kniet
hier in feierlicher Audienz vor Priamus. Obwohl sie an Haupt
und Brust ritterlich gerüstet ist, trägt sie doch ein langes Ober-
kleid von großgemustertem Brokat mit einer langen Schleppe,
welche von einer ähnlich gerüsteten Amazone hinter ihr getragen
wird. --

Bei den höchsten Hoffeierlichkeiten wurde auch der Mantel
angelegt und dann ebenfalls mit einer außerordentlichen Schleppe.
Der Mantel war damals nicht ganz aus dem Gebrauche ver-
drängt, aber er hatte sich in mancherlei Formen mehr in den

II. Das Mittelalter.
Cleve) trug die ihrige ſelbſt; aber als die Herzogin den Dauphin
gewahr wurde, ließ diejenige, welche ihre Schleppe trug, ſolche
fahren und ebenſo derjenige, welcher die Schleppe der Frau von
Charolais trug, und als der Dauphin und die Herzogin mit ein-
ander gingen, nahm dieſe ihren Rock ſelbſt mit ihrer Hand, und
ihr Ehrenritter oder irgend ein anderer half ihr denſelben tragen;
doch hielt ſie immer die Hand daran, und Frau von Charolais
trug den ihrigen.“ Aehnlich geſchah es ein ander Mal, als die
Herzogin von Burgund der Königin von Frankreich ihre Aufwar-
tung machte. Die erſte Hofdame nahm die Schleppe der Herzo-
gin, der Herzog von Bourbon führte ſie, und alle übrigen Ritter
und Edelleute traten voraus. So ging der Zug bis vor das
Zimmer der Königin. Nach geſchehener Anmeldung ging die
Herzogin bis an die Thürſchwelle. Alle ihre Ritter und Edelleute
traten vor ihr hinein, und als ſie ſelbſt an die Schwelle des Zim-
mers gekommen war, nahm ſie die Schleppe ihres Kleides aus
der Hand, die ſie getragen hatte, in die ihrige. Als ſie über die
Schwelle ſchritt, ließ ſie die Schleppe fallen, und neigte ſich faſt
bis auf die Erde. Die Höflichkeit, welche hier die Herzogin der
Königin erweiſet, beſteht darin, daß ſie ſelbſt ihr gegenüber einer
ihr zukommenden Ehre entſagt. Die lange, getragene Schleppe
verwuchs ſo völlig mit dem Hofweſen und der Etiquette, daß ſie
damals des Künſtlers Phantaſie nicht zu trennen vermochte. Ein
Beiſpiel dieſer innigen Verbindung giebt ein großer franzöſiſch-
burgundiſcher Teppich, welcher Scenen aus dem trojaniſchen
Kriege darſtellt. Die Königin der Amazonen, Pentheſilea, kniet
hier in feierlicher Audienz vor Priamus. Obwohl ſie an Haupt
und Bruſt ritterlich gerüſtet iſt, trägt ſie doch ein langes Ober-
kleid von großgemuſtertem Brokat mit einer langen Schleppe,
welche von einer ähnlich gerüſteten Amazone hinter ihr getragen
wird. —

Bei den höchſten Hoffeierlichkeiten wurde auch der Mantel
angelegt und dann ebenfalls mit einer außerordentlichen Schleppe.
Der Mantel war damals nicht ganz aus dem Gebrauche ver-
drängt, aber er hatte ſich in mancherlei Formen mehr in den

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[272/0290] II. Das Mittelalter. Cleve) trug die ihrige ſelbſt; aber als die Herzogin den Dauphin gewahr wurde, ließ diejenige, welche ihre Schleppe trug, ſolche fahren und ebenſo derjenige, welcher die Schleppe der Frau von Charolais trug, und als der Dauphin und die Herzogin mit ein- ander gingen, nahm dieſe ihren Rock ſelbſt mit ihrer Hand, und ihr Ehrenritter oder irgend ein anderer half ihr denſelben tragen; doch hielt ſie immer die Hand daran, und Frau von Charolais trug den ihrigen.“ Aehnlich geſchah es ein ander Mal, als die Herzogin von Burgund der Königin von Frankreich ihre Aufwar- tung machte. Die erſte Hofdame nahm die Schleppe der Herzo- gin, der Herzog von Bourbon führte ſie, und alle übrigen Ritter und Edelleute traten voraus. So ging der Zug bis vor das Zimmer der Königin. Nach geſchehener Anmeldung ging die Herzogin bis an die Thürſchwelle. Alle ihre Ritter und Edelleute traten vor ihr hinein, und als ſie ſelbſt an die Schwelle des Zim- mers gekommen war, nahm ſie die Schleppe ihres Kleides aus der Hand, die ſie getragen hatte, in die ihrige. Als ſie über die Schwelle ſchritt, ließ ſie die Schleppe fallen, und neigte ſich faſt bis auf die Erde. Die Höflichkeit, welche hier die Herzogin der Königin erweiſet, beſteht darin, daß ſie ſelbſt ihr gegenüber einer ihr zukommenden Ehre entſagt. Die lange, getragene Schleppe verwuchs ſo völlig mit dem Hofweſen und der Etiquette, daß ſie damals des Künſtlers Phantaſie nicht zu trennen vermochte. Ein Beiſpiel dieſer innigen Verbindung giebt ein großer franzöſiſch- burgundiſcher Teppich, welcher Scenen aus dem trojaniſchen Kriege darſtellt. Die Königin der Amazonen, Pentheſilea, kniet hier in feierlicher Audienz vor Priamus. Obwohl ſie an Haupt und Bruſt ritterlich gerüſtet iſt, trägt ſie doch ein langes Ober- kleid von großgemuſtertem Brokat mit einer langen Schleppe, welche von einer ähnlich gerüſteten Amazone hinter ihr getragen wird. — Bei den höchſten Hoffeierlichkeiten wurde auch der Mantel angelegt und dann ebenfalls mit einer außerordentlichen Schleppe. Der Mantel war damals nicht ganz aus dem Gebrauche ver- drängt, aber er hatte ſich in mancherlei Formen mehr in den

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Zitationshilfe: Falke, Jakob von: Die deutsche Trachten- und Modenwelt. Ein Beitrag zur deutschen Culturgeschichte. Bd. 1. Leipzig, 1858, S. 272. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/falke_trachten01_1858/290>, abgerufen am 23.11.2024.