Weniger tief als Schellen und Schuhschnäbel drang in das Volk noch eine andere Eigenthümlichkeit ein, welche aber geeignet ist, uns die seltsame Phantasie dieser Zeiten von einer neuen Seite zu zeigen. Wir meinen die Bedeutung, welche man mit den Farben der Kleider verknüpfte, indem man sie in bestimmte Beziehungen zu der Liebe setzte. Man könnte fragen, ob denn eine solche allegorische Anwendung wirklich im Leben stattgefun- den habe und nicht bloß eine Erfindung der Dichter sei, die unsre Quelle bilden. Es versteht sich von selbst, daß hier nicht von der Masse des Volks die Rede sein kann, sondern nur von den Krei- sen, die, auf der Höhe des Lebens und der Bildung stehend, die geistige Fähigkeit hatten, ihr geselliges Thun und Treiben in das Gewand der Poesie zu kleiden. Davon war nun, trotz großer Versunkenheit des Adels, trotz Rauf- und Raublust, immer noch ein gut Theil aus der alten Zeit übrig geblieben, wenn wir auch diese Art von Poesie nicht auf eine besonders hohe Stufe stellen wollen. Sie erhielt sich fort und fort, namentlich auch am bur- gundischen Hof, bis auf Kaiser Maximilian, der in dieser Be- ziehung vor allen "der letzte Ritter" ist. So gut wie in der Dicht- kunst selbst die Allegorie die Form war, in welche alles gegossen wurde, wie nicht die Liebenden selbst die Helden waren und der Liebe Leid und Lust der Gegenstand, sondern Frau Minne, Frau Maße, Frau Treue, Frau Stete, Frau Ehre und die lehrreichen Gespräche mit ihnen, eben so war sie auch in die Lust des wirk- lichen Lebens eingedrungen und umkleidete Spiele und Festlich- keiten mit geistreich poetischem Gewand. Unter fremder Maske, unter den Namen von Heroen und Heroinnen oder irrender Ritter und ihrer berühmten Damen, unter dem Vorsitz der Königin Minne selbst als Festeskönigin wurden schon an den reicheren Höfen des vierzehnten und funfzehnten Jahrhunderts Turniere und leichtere Spiele abgehalten. Wenn die Dame des Turniers nicht unter ihrem Namen den Dank ertheilte und der siegreiche Ritter ihn etwa als Pyrrhus, des Achilles Sohn, empfing, so konnte dieses Spiel oder diese Spielerei auch noch weiter ausge- dehnt werden, und Herren und Damen in besonderer Kleidung
2. Die Zeit des Luxus und der Entartung.
Weniger tief als Schellen und Schuhſchnäbel drang in das Volk noch eine andere Eigenthümlichkeit ein, welche aber geeignet iſt, uns die ſeltſame Phantaſie dieſer Zeiten von einer neuen Seite zu zeigen. Wir meinen die Bedeutung, welche man mit den Farben der Kleider verknüpfte, indem man ſie in beſtimmte Beziehungen zu der Liebe ſetzte. Man könnte fragen, ob denn eine ſolche allegoriſche Anwendung wirklich im Leben ſtattgefun- den habe und nicht bloß eine Erfindung der Dichter ſei, die unſre Quelle bilden. Es verſteht ſich von ſelbſt, daß hier nicht von der Maſſe des Volks die Rede ſein kann, ſondern nur von den Krei- ſen, die, auf der Höhe des Lebens und der Bildung ſtehend, die geiſtige Fähigkeit hatten, ihr geſelliges Thun und Treiben in das Gewand der Poeſie zu kleiden. Davon war nun, trotz großer Verſunkenheit des Adels, trotz Rauf- und Raubluſt, immer noch ein gut Theil aus der alten Zeit übrig geblieben, wenn wir auch dieſe Art von Poeſie nicht auf eine beſonders hohe Stufe ſtellen wollen. Sie erhielt ſich fort und fort, namentlich auch am bur- gundiſchen Hof, bis auf Kaiſer Maximilian, der in dieſer Be- ziehung vor allen „der letzte Ritter“ iſt. So gut wie in der Dicht- kunſt ſelbſt die Allegorie die Form war, in welche alles gegoſſen wurde, wie nicht die Liebenden ſelbſt die Helden waren und der Liebe Leid und Luſt der Gegenſtand, ſondern Frau Minne, Frau Maße, Frau Treue, Frau Stete, Frau Ehre und die lehrreichen Geſpräche mit ihnen, eben ſo war ſie auch in die Luſt des wirk- lichen Lebens eingedrungen und umkleidete Spiele und Feſtlich- keiten mit geiſtreich poetiſchem Gewand. Unter fremder Maske, unter den Namen von Heroen und Heroinnen oder irrender Ritter und ihrer berühmten Damen, unter dem Vorſitz der Königin Minne ſelbſt als Feſteskönigin wurden ſchon an den reicheren Höfen des vierzehnten und funfzehnten Jahrhunderts Turniere und leichtere Spiele abgehalten. Wenn die Dame des Turniers nicht unter ihrem Namen den Dank ertheilte und der ſiegreiche Ritter ihn etwa als Pyrrhus, des Achilles Sohn, empfing, ſo konnte dieſes Spiel oder dieſe Spielerei auch noch weiter ausge- dehnt werden, und Herren und Damen in beſonderer Kleidung
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2. Die Zeit des Luxus und der Entartung.
Weniger tief als Schellen und Schuhſchnäbel drang in das
Volk noch eine andere Eigenthümlichkeit ein, welche aber geeignet
iſt, uns die ſeltſame Phantaſie dieſer Zeiten von einer neuen
Seite zu zeigen. Wir meinen die Bedeutung, welche man mit
den Farben der Kleider verknüpfte, indem man ſie in beſtimmte
Beziehungen zu der Liebe ſetzte. Man könnte fragen, ob denn
eine ſolche allegoriſche Anwendung wirklich im Leben ſtattgefun-
den habe und nicht bloß eine Erfindung der Dichter ſei, die unſre
Quelle bilden. Es verſteht ſich von ſelbſt, daß hier nicht von der
Maſſe des Volks die Rede ſein kann, ſondern nur von den Krei-
ſen, die, auf der Höhe des Lebens und der Bildung ſtehend, die
geiſtige Fähigkeit hatten, ihr geſelliges Thun und Treiben in das
Gewand der Poeſie zu kleiden. Davon war nun, trotz großer
Verſunkenheit des Adels, trotz Rauf- und Raubluſt, immer noch
ein gut Theil aus der alten Zeit übrig geblieben, wenn wir auch
dieſe Art von Poeſie nicht auf eine beſonders hohe Stufe ſtellen
wollen. Sie erhielt ſich fort und fort, namentlich auch am bur-
gundiſchen Hof, bis auf Kaiſer Maximilian, der in dieſer Be-
ziehung vor allen „der letzte Ritter“ iſt. So gut wie in der Dicht-
kunſt ſelbſt die Allegorie die Form war, in welche alles gegoſſen
wurde, wie nicht die Liebenden ſelbſt die Helden waren und der
Liebe Leid und Luſt der Gegenſtand, ſondern Frau Minne, Frau
Maße, Frau Treue, Frau Stete, Frau Ehre und die lehrreichen
Geſpräche mit ihnen, eben ſo war ſie auch in die Luſt des wirk-
lichen Lebens eingedrungen und umkleidete Spiele und Feſtlich-
keiten mit geiſtreich poetiſchem Gewand. Unter fremder Maske,
unter den Namen von Heroen und Heroinnen oder irrender Ritter
und ihrer berühmten Damen, unter dem Vorſitz der Königin
Minne ſelbſt als Feſteskönigin wurden ſchon an den reicheren
Höfen des vierzehnten und funfzehnten Jahrhunderts Turniere
und leichtere Spiele abgehalten. Wenn die Dame des Turniers
nicht unter ihrem Namen den Dank ertheilte und der ſiegreiche
Ritter ihn etwa als Pyrrhus, des Achilles Sohn, empfing, ſo
konnte dieſes Spiel oder dieſe Spielerei auch noch weiter ausge-
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Falke, Jakob von: Die deutsche Trachten- und Modenwelt. Ein Beitrag zur deutschen Culturgeschichte. Bd. 1. Leipzig, 1858, S. 253. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/falke_trachten01_1858/271>, abgerufen am 22.11.2024.
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