Tages an andern Orten mehr geschehen, nichtsdestoweniger ward aber die verdrießliche Hoffart nicht abgelegt, sondern ein jeglicher trug sein Haupt empor und thät in seinem kurzen Röcklein und langspitzigen Schuhen als wie ein Storch einhertreten."
Mehr noch als unter den Städtern, die in ihrer Modesucht mit den Gesetzen zu kämpfen hatten, wurde diese Tracht unter den Fürsten und dem Adel allgemein, in dem Grade, daß sie selbst auf die Rüstung überging, als die Lendner und die Bein- und Fußbedeckung sich mit Platten belegten. Die völlige Unbequem- lichkeit, von der schon die böhmische Chronik zum Jahr 1367 spricht, "daß man nicht geraum darinnen gehen können," war kein Hinderniß. Im Nothfall wußten sich die Ritter der Schnä- bel zu entledigen. So machten es die österreichischen Herren in der Schlacht bei Sempach (1386), da sie mit dem Bauernvolk zu Fuß fechten wollten: sie hieben die Schnäbel von den Schuhen, "man hätte gefüllt einen Wagen," heißt es im Lied des Halb Suters von dieser Schlacht. In demselben Jahr 1386 ereignete es sich vor Kassel, daß die Hessen, als die Belagerer abgezogen waren, "etliche Wagen voll der spitzigen Schnäbel, so die Kriegs- leute des Sturmes halber abgeschnitten hatten," in die Stadt fuhren.
Die Unbequemlichkeit wußte man noch in außerordentlicher Weise durch Unterschuhe zu erhöhen. Nach der anfänglichen Mode hatte man die Schuhe selbst oder an ihrer Stelle die Füßlinge der Hose mit den langen, ausgestopften Spitzen versehen. Sie konn- ten unter Umständen die dreimalige Länge des Fußes erreichen. Sie waren entweder so schlaff, daß sie beim Gehen willkürlich umherflogen und der Träger sich aufs höchste vor dem Darauf- treten und Niederfallen in Acht nehmen mußte, oder sie hatten durch den hineingestopften Werg oder darunter gelegte Sohlen insoweit eine gewisse Steife erhalten, daß sie bei der Biegung des Fußes sich ebenfalls einbogen; oder sie standen, noch mehr gesteift, vorn aufwärts gekrümmt. In der übermäßigen Länge war es fast unmöglich mit ihnen zu gehen, und so wird erzählt, seien sich mit kleinen Kettchen, die am Knie, auch wohl am Gür-
II. Das Mittelalter.
Tages an andern Orten mehr geſchehen, nichtsdeſtoweniger ward aber die verdrießliche Hoffart nicht abgelegt, ſondern ein jeglicher trug ſein Haupt empor und thät in ſeinem kurzen Röcklein und langſpitzigen Schuhen als wie ein Storch einhertreten.“
Mehr noch als unter den Städtern, die in ihrer Modeſucht mit den Geſetzen zu kämpfen hatten, wurde dieſe Tracht unter den Fürſten und dem Adel allgemein, in dem Grade, daß ſie ſelbſt auf die Rüſtung überging, als die Lendner und die Bein- und Fußbedeckung ſich mit Platten belegten. Die völlige Unbequem- lichkeit, von der ſchon die böhmiſche Chronik zum Jahr 1367 ſpricht, „daß man nicht geraum darinnen gehen können,“ war kein Hinderniß. Im Nothfall wußten ſich die Ritter der Schnä- bel zu entledigen. So machten es die öſterreichiſchen Herren in der Schlacht bei Sempach (1386), da ſie mit dem Bauernvolk zu Fuß fechten wollten: ſie hieben die Schnäbel von den Schuhen, „man hätte gefüllt einen Wagen,“ heißt es im Lied des Halb Suters von dieſer Schlacht. In demſelben Jahr 1386 ereignete es ſich vor Kaſſel, daß die Heſſen, als die Belagerer abgezogen waren, „etliche Wagen voll der ſpitzigen Schnäbel, ſo die Kriegs- leute des Sturmes halber abgeſchnitten hatten,“ in die Stadt fuhren.
Die Unbequemlichkeit wußte man noch in außerordentlicher Weiſe durch Unterſchuhe zu erhöhen. Nach der anfänglichen Mode hatte man die Schuhe ſelbſt oder an ihrer Stelle die Füßlinge der Hoſe mit den langen, ausgeſtopften Spitzen verſehen. Sie konn- ten unter Umſtänden die dreimalige Länge des Fußes erreichen. Sie waren entweder ſo ſchlaff, daß ſie beim Gehen willkürlich umherflogen und der Träger ſich aufs höchſte vor dem Darauf- treten und Niederfallen in Acht nehmen mußte, oder ſie hatten durch den hineingeſtopften Werg oder darunter gelegte Sohlen inſoweit eine gewiſſe Steife erhalten, daß ſie bei der Biegung des Fußes ſich ebenfalls einbogen; oder ſie ſtanden, noch mehr geſteift, vorn aufwärts gekrümmt. In der übermäßigen Länge war es faſt unmöglich mit ihnen zu gehen, und ſo wird erzählt, ſeien ſich mit kleinen Kettchen, die am Knie, auch wohl am Gür-
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II. Das Mittelalter.
Tages an andern Orten mehr geſchehen, nichtsdeſtoweniger ward
aber die verdrießliche Hoffart nicht abgelegt, ſondern ein jeglicher
trug ſein Haupt empor und thät in ſeinem kurzen Röcklein und
langſpitzigen Schuhen als wie ein Storch einhertreten.“
Mehr noch als unter den Städtern, die in ihrer Modeſucht
mit den Geſetzen zu kämpfen hatten, wurde dieſe Tracht unter den
Fürſten und dem Adel allgemein, in dem Grade, daß ſie ſelbſt
auf die Rüſtung überging, als die Lendner und die Bein- und
Fußbedeckung ſich mit Platten belegten. Die völlige Unbequem-
lichkeit, von der ſchon die böhmiſche Chronik zum Jahr 1367
ſpricht, „daß man nicht geraum darinnen gehen können,“ war
kein Hinderniß. Im Nothfall wußten ſich die Ritter der Schnä-
bel zu entledigen. So machten es die öſterreichiſchen Herren in
der Schlacht bei Sempach (1386), da ſie mit dem Bauernvolk
zu Fuß fechten wollten: ſie hieben die Schnäbel von den Schuhen,
„man hätte gefüllt einen Wagen,“ heißt es im Lied des Halb
Suters von dieſer Schlacht. In demſelben Jahr 1386 ereignete
es ſich vor Kaſſel, daß die Heſſen, als die Belagerer abgezogen
waren, „etliche Wagen voll der ſpitzigen Schnäbel, ſo die Kriegs-
leute des Sturmes halber abgeſchnitten hatten,“ in die Stadt
fuhren.
Die Unbequemlichkeit wußte man noch in außerordentlicher
Weiſe durch Unterſchuhe zu erhöhen. Nach der anfänglichen Mode
hatte man die Schuhe ſelbſt oder an ihrer Stelle die Füßlinge der
Hoſe mit den langen, ausgeſtopften Spitzen verſehen. Sie konn-
ten unter Umſtänden die dreimalige Länge des Fußes erreichen.
Sie waren entweder ſo ſchlaff, daß ſie beim Gehen willkürlich
umherflogen und der Träger ſich aufs höchſte vor dem Darauf-
treten und Niederfallen in Acht nehmen mußte, oder ſie hatten
durch den hineingeſtopften Werg oder darunter gelegte Sohlen
inſoweit eine gewiſſe Steife erhalten, daß ſie bei der Biegung
des Fußes ſich ebenfalls einbogen; oder ſie ſtanden, noch mehr
geſteift, vorn aufwärts gekrümmt. In der übermäßigen Länge
war es faſt unmöglich mit ihnen zu gehen, und ſo wird erzählt,
ſeien ſich mit kleinen Kettchen, die am Knie, auch wohl am Gür-
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Falke, Jakob von: Die deutsche Trachten- und Modenwelt. Ein Beitrag zur deutschen Culturgeschichte. Bd. 1. Leipzig, 1858, S. 248. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/falke_trachten01_1858/266>, abgerufen am 16.02.2025.
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