Falke, Jakob von: Die deutsche Trachten- und Modenwelt. Ein Beitrag zur deutschen Culturgeschichte. Bd. 1. Leipzig, 1858.2. Die Zeit des Luxus und der Entartung. Concil zu Angers 1365 wieder den Geistlichen verbot. Mannannte sie damals sotulares de polena oder französisch poulaines, d. i. Schiffsschnäbel. Wenig annehmbar erscheint die Ableitung von einem neuen Erfinder, Namens Poulain. Französische Bil- der des vierzehnten Jahrhunderts zeigen sie häufig bei Herren und Damen, aber nie in der übertriebenen Länge, welche die deutsche Mode charakterisirt. Deutschland scheint auch hier den Vorrang zu behaupten, mit dem höchstens die Engländer wett- eifern mögen. Der Widerstand war überall umsonst. Vergebens verbot Karl VI. (1422) den Schuhmachern von Paris sie zu ma- chen und den Krämern sie zu verkaufen, vergebens suchte Edu- ard IV. (1464) sie auf das gesetzliche Maß von zwei Zoll Länge zu beschränken; grade unter seiner Regierung blühten sie noch 1482 in außerordentlicher Weise. In Deutschland sucht sie eine Stadt nach der andern mehr 2. Die Zeit des Luxus und der Entartung. Concil zu Angers 1365 wieder den Geiſtlichen verbot. Mannannte ſie damals sotulares de polena oder franzöſiſch poulaines, d. i. Schiffsſchnäbel. Wenig annehmbar erſcheint die Ableitung von einem neuen Erfinder, Namens Poulain. Franzöſiſche Bil- der des vierzehnten Jahrhunderts zeigen ſie häufig bei Herren und Damen, aber nie in der übertriebenen Länge, welche die deutſche Mode charakteriſirt. Deutſchland ſcheint auch hier den Vorrang zu behaupten, mit dem höchſtens die Engländer wett- eifern mögen. Der Widerſtand war überall umſonſt. Vergebens verbot Karl VI. (1422) den Schuhmachern von Paris ſie zu ma- chen und den Krämern ſie zu verkaufen, vergebens ſuchte Edu- ard IV. (1464) ſie auf das geſetzliche Maß von zwei Zoll Länge zu beſchränken; grade unter ſeiner Regierung blühten ſie noch 1482 in außerordentlicher Weiſe. In Deutſchland ſucht ſie eine Stadt nach der andern mehr <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <div n="4"> <p><pb facs="#f0265" n="247"/><fw place="top" type="header">2. Die Zeit des Luxus und der Entartung.</fw><lb/> Concil zu Angers 1365 wieder den Geiſtlichen verbot. Man<lb/> nannte ſie damals <hi rendition="#aq">sotulares de polena</hi> oder franzöſiſch <hi rendition="#aq">poulaines,</hi><lb/> d. i. Schiffsſchnäbel. Wenig annehmbar erſcheint die Ableitung<lb/> von einem neuen Erfinder, Namens Poulain. Franzöſiſche Bil-<lb/> der des vierzehnten Jahrhunderts zeigen ſie häufig bei Herren<lb/> und Damen, aber nie in der übertriebenen Länge, welche die<lb/> deutſche Mode charakteriſirt. Deutſchland ſcheint auch hier den<lb/> Vorrang zu behaupten, mit dem höchſtens die Engländer wett-<lb/> eifern mögen. Der Widerſtand war überall umſonſt. Vergebens<lb/> verbot Karl <hi rendition="#aq">VI.</hi> (1422) den Schuhmachern von Paris ſie zu ma-<lb/> chen und den Krämern ſie zu verkaufen, vergebens ſuchte Edu-<lb/> ard <hi rendition="#aq">IV.</hi> (1464) ſie auf das geſetzliche Maß von zwei Zoll Länge<lb/> zu beſchränken; grade unter ſeiner Regierung blühten ſie noch<lb/> 1482 in außerordentlicher Weiſe.</p><lb/> <p>In Deutſchland ſucht ſie eine Stadt nach der andern mehr<lb/> als ein Jahrhundert hindurch geſetzlich zu unterdrücken. Schon<lb/> die Frankfurter Ordnung von 1350 und die Speierer von 1356<lb/> verbieten ſie ganz, und andere erlauben nur die Breite eines oder<lb/> zweier Querfinger. Später in der zweiten Hälfte des funfzehnten<lb/> Jahrhunderts werden ſie bloß den niedern Claſſen, dem arbeiten-<lb/> den und dienenden Stand, gänzlich unterſagt, und nur die Re-<lb/> gensburger Obrigkeit (1485) hat die Freundlichkeit, mit den<lb/> fremden Handwerksburſchen inſofern eine Ausnahme zu machen,<lb/> als ſie ein Paar mitgebrachte Schnabelſchuhe erſt auftragen dür-<lb/> fen — doch ſollen ſie bis dahin ſich keine neuen machen laſſen.<lb/> Anderthalb Jahrhunderte dauern dieſe Verordnungen; ob die<lb/> Strafen gegen die Eigenthümer oder die Schuſter gerichtet wa-<lb/> ren, blieb gleich umſonſt, bis eine andere Zeit kam und die Mode<lb/> umſchlug. Die Böhmiſche Chronik klagt, daß nicht einmal die<lb/> Strafe des Himmels Eindruck gemacht habe. Es war im Jahr<lb/> 1372, ſo erzählt ſie, da lag ein Gewitter über dem Städtlein<lb/> Trebnitz und dem Schloß Koſchtialow, und der Donner ſchlug in<lb/> das Schloß und ſchlug dem Burggrafen Albrecht von Slawietin<lb/> und ſeinem Weibe beiden die Spitzen von den Schuhen hinweg,<lb/> ohne daß den Füßen ein Schade geſchah. „Solches war deſſelben<lb/></p> </div> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [247/0265]
2. Die Zeit des Luxus und der Entartung.
Concil zu Angers 1365 wieder den Geiſtlichen verbot. Man
nannte ſie damals sotulares de polena oder franzöſiſch poulaines,
d. i. Schiffsſchnäbel. Wenig annehmbar erſcheint die Ableitung
von einem neuen Erfinder, Namens Poulain. Franzöſiſche Bil-
der des vierzehnten Jahrhunderts zeigen ſie häufig bei Herren
und Damen, aber nie in der übertriebenen Länge, welche die
deutſche Mode charakteriſirt. Deutſchland ſcheint auch hier den
Vorrang zu behaupten, mit dem höchſtens die Engländer wett-
eifern mögen. Der Widerſtand war überall umſonſt. Vergebens
verbot Karl VI. (1422) den Schuhmachern von Paris ſie zu ma-
chen und den Krämern ſie zu verkaufen, vergebens ſuchte Edu-
ard IV. (1464) ſie auf das geſetzliche Maß von zwei Zoll Länge
zu beſchränken; grade unter ſeiner Regierung blühten ſie noch
1482 in außerordentlicher Weiſe.
In Deutſchland ſucht ſie eine Stadt nach der andern mehr
als ein Jahrhundert hindurch geſetzlich zu unterdrücken. Schon
die Frankfurter Ordnung von 1350 und die Speierer von 1356
verbieten ſie ganz, und andere erlauben nur die Breite eines oder
zweier Querfinger. Später in der zweiten Hälfte des funfzehnten
Jahrhunderts werden ſie bloß den niedern Claſſen, dem arbeiten-
den und dienenden Stand, gänzlich unterſagt, und nur die Re-
gensburger Obrigkeit (1485) hat die Freundlichkeit, mit den
fremden Handwerksburſchen inſofern eine Ausnahme zu machen,
als ſie ein Paar mitgebrachte Schnabelſchuhe erſt auftragen dür-
fen — doch ſollen ſie bis dahin ſich keine neuen machen laſſen.
Anderthalb Jahrhunderte dauern dieſe Verordnungen; ob die
Strafen gegen die Eigenthümer oder die Schuſter gerichtet wa-
ren, blieb gleich umſonſt, bis eine andere Zeit kam und die Mode
umſchlug. Die Böhmiſche Chronik klagt, daß nicht einmal die
Strafe des Himmels Eindruck gemacht habe. Es war im Jahr
1372, ſo erzählt ſie, da lag ein Gewitter über dem Städtlein
Trebnitz und dem Schloß Koſchtialow, und der Donner ſchlug in
das Schloß und ſchlug dem Burggrafen Albrecht von Slawietin
und ſeinem Weibe beiden die Spitzen von den Schuhen hinweg,
ohne daß den Füßen ein Schade geſchah. „Solches war deſſelben
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