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Falke, Jakob von: Die deutsche Trachten- und Modenwelt. Ein Beitrag zur deutschen Culturgeschichte. Bd. 1. Leipzig, 1858.

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2. Die Zeit des Luxus und der Entartung.
wurde sie zu der Zeit von Patriziern getragen. Immer aber blie-
ben sie in der ersten Hälfte des funfzehnten Jahrhunderts noch
bei den Vornehmeren, sei es an Fürstenhöfen, auf Edelsitzen oder
in den Städten. Die ganze Zeit hindurch haben wir an Bild-
werken Beispiele genug, auf ritterlichen Grabsteinen, auf alten
Zeichnungen, Siegeln, Teppichen und Wandmalereien. Noch
auf dem berühmten Lübecker Todtentanz, der bald nach der Mitte
des Jahrhunderts gemacht worden, tragen der Herzog und der
Edelmann diesen Schmuck, aber weder der Bürgermeister noch
der Amtmann oder der Kaufmann. Von da aber geht der Be-
griff der Auszeichnung davon; die Mode wird eine alte, sinkt
herab, ohne eigentlich die niedern Stände hereinzuziehen, und
bleibt am Schlusse stehen bei den Narren und Schlittenpferden.
Kürzere oder längere Zeit blieb sie auch ein nothwendiges Erfor-
derniß zu bestimmten Trachten und Festen, verschwand dann aber
mit den Festen selbst. So tragen sie die berühmten Nürnberger
Schönbartläufer vom ersten Jahr 1449 an, soweit die Abbildun-
gen zurückgehen, bis zum letzten 1539 am Hals, am Gürtel oder
am Knie. Auch beim Fackeltanz wurden sie noch im sechszehnten
Jahrhundert angelegt, beim Reiftanz und besonders beim Schwert-
tanz der Vornehmen wie der Zünfte. In Hessen war noch lange
die Sitte, daß die Schwerttänzer Schellen an die Kniee banden,
und dann sangen sie:

"Also sollen meine Gesellen
Ihre Schellen
Lassen klingen,
Wie die Engel im Himmel singen."

Länger noch spielen sie ihre Rolle im Kinderleben als Schmuck
und Zeichen festlich-fröhlicher Lust. Zwar wird sich schwer sagen
lassen, wie alt das Liedchen ist:

"Die Mutter gab mir Glöckchen
Und hing sie an mein Röckchen."

Vielleicht reicht es noch ins funfzehnte Jahrhundert hinauf. Aber
noch heute gebrauchen sie die Kinder im Westphälischen zu ihrer
Feier des Palmsonntags. Dann machen sie sich einen Busch aus

Falke, Trachten- und Modenwelt. I. 16

2. Die Zeit des Luxus und der Entartung.
wurde ſie zu der Zeit von Patriziern getragen. Immer aber blie-
ben ſie in der erſten Hälfte des funfzehnten Jahrhunderts noch
bei den Vornehmeren, ſei es an Fürſtenhöfen, auf Edelſitzen oder
in den Städten. Die ganze Zeit hindurch haben wir an Bild-
werken Beiſpiele genug, auf ritterlichen Grabſteinen, auf alten
Zeichnungen, Siegeln, Teppichen und Wandmalereien. Noch
auf dem berühmten Lübecker Todtentanz, der bald nach der Mitte
des Jahrhunderts gemacht worden, tragen der Herzog und der
Edelmann dieſen Schmuck, aber weder der Bürgermeiſter noch
der Amtmann oder der Kaufmann. Von da aber geht der Be-
griff der Auszeichnung davon; die Mode wird eine alte, ſinkt
herab, ohne eigentlich die niedern Stände hereinzuziehen, und
bleibt am Schluſſe ſtehen bei den Narren und Schlittenpferden.
Kürzere oder längere Zeit blieb ſie auch ein nothwendiges Erfor-
derniß zu beſtimmten Trachten und Feſten, verſchwand dann aber
mit den Feſten ſelbſt. So tragen ſie die berühmten Nürnberger
Schönbartläufer vom erſten Jahr 1449 an, ſoweit die Abbildun-
gen zurückgehen, bis zum letzten 1539 am Hals, am Gürtel oder
am Knie. Auch beim Fackeltanz wurden ſie noch im ſechszehnten
Jahrhundert angelegt, beim Reiftanz und beſonders beim Schwert-
tanz der Vornehmen wie der Zünfte. In Heſſen war noch lange
die Sitte, daß die Schwerttänzer Schellen an die Kniee banden,
und dann ſangen ſie:

„Alſo ſollen meine Geſellen
Ihre Schellen
Laſſen klingen,
Wie die Engel im Himmel ſingen.“

Länger noch ſpielen ſie ihre Rolle im Kinderleben als Schmuck
und Zeichen feſtlich-fröhlicher Luſt. Zwar wird ſich ſchwer ſagen
laſſen, wie alt das Liedchen iſt:

„Die Mutter gab mir Glöckchen
Und hing ſie an mein Röckchen.“

Vielleicht reicht es noch ins funfzehnte Jahrhundert hinauf. Aber
noch heute gebrauchen ſie die Kinder im Weſtphäliſchen zu ihrer
Feier des Palmſonntags. Dann machen ſie ſich einen Buſch aus

Falke, Trachten- und Modenwelt. I. 16
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[241/0259] 2. Die Zeit des Luxus und der Entartung. wurde ſie zu der Zeit von Patriziern getragen. Immer aber blie- ben ſie in der erſten Hälfte des funfzehnten Jahrhunderts noch bei den Vornehmeren, ſei es an Fürſtenhöfen, auf Edelſitzen oder in den Städten. Die ganze Zeit hindurch haben wir an Bild- werken Beiſpiele genug, auf ritterlichen Grabſteinen, auf alten Zeichnungen, Siegeln, Teppichen und Wandmalereien. Noch auf dem berühmten Lübecker Todtentanz, der bald nach der Mitte des Jahrhunderts gemacht worden, tragen der Herzog und der Edelmann dieſen Schmuck, aber weder der Bürgermeiſter noch der Amtmann oder der Kaufmann. Von da aber geht der Be- griff der Auszeichnung davon; die Mode wird eine alte, ſinkt herab, ohne eigentlich die niedern Stände hereinzuziehen, und bleibt am Schluſſe ſtehen bei den Narren und Schlittenpferden. Kürzere oder längere Zeit blieb ſie auch ein nothwendiges Erfor- derniß zu beſtimmten Trachten und Feſten, verſchwand dann aber mit den Feſten ſelbſt. So tragen ſie die berühmten Nürnberger Schönbartläufer vom erſten Jahr 1449 an, ſoweit die Abbildun- gen zurückgehen, bis zum letzten 1539 am Hals, am Gürtel oder am Knie. Auch beim Fackeltanz wurden ſie noch im ſechszehnten Jahrhundert angelegt, beim Reiftanz und beſonders beim Schwert- tanz der Vornehmen wie der Zünfte. In Heſſen war noch lange die Sitte, daß die Schwerttänzer Schellen an die Kniee banden, und dann ſangen ſie: „Alſo ſollen meine Geſellen Ihre Schellen Laſſen klingen, Wie die Engel im Himmel ſingen.“ Länger noch ſpielen ſie ihre Rolle im Kinderleben als Schmuck und Zeichen feſtlich-fröhlicher Luſt. Zwar wird ſich ſchwer ſagen laſſen, wie alt das Liedchen iſt: „Die Mutter gab mir Glöckchen Und hing ſie an mein Röckchen.“ Vielleicht reicht es noch ins funfzehnte Jahrhundert hinauf. Aber noch heute gebrauchen ſie die Kinder im Weſtphäliſchen zu ihrer Feier des Palmſonntags. Dann machen ſie ſich einen Buſch aus Falke, Trachten- und Modenwelt. I. 16

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Zitationshilfe: Falke, Jakob von: Die deutsche Trachten- und Modenwelt. Ein Beitrag zur deutschen Culturgeschichte. Bd. 1. Leipzig, 1858, S. 241. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/falke_trachten01_1858/259>, abgerufen am 06.05.2024.