Männern und Frauen ganz gleich entwickelt hatten. Die offenen, weiten Aermel und die engen darunter mit dem Handvorstoß, die langen aufgeschnittenen Schleppärmel, die Sackärmel, sie wa- ren beiden gemeinsam, doch standen sie den Frauen naturgemä- ßer, weil langsame, abgemessene Bewegungen, wie sie dadurch geboten waren, von selbst und durch Sitte ihrem Geschlecht mehr zustehen als der rasch geschäftigen Männerwelt.
Aehnlich war es mit der Kopftracht. Auch die Frauen gaben die ihnen vor allen unkleidsame Gugel auf und trugen statt derselben die verhüllende Haube, den Kruseler oder die Hulle mit dem Schulterkragen, die schon oben beschrieben ist. Nur das Gesicht blieb frei. Aber diese höchst ehrbare, wenn auch unschöne Tracht war keineswegs die allgemeine auch nur aller verheirathe- ten Frauen. Die Jungfrauen waren von selber ausgenommen, und von fürstlichen Damen, die der Verhüllung widerstrebten, trugen sie nur ältere in vereinzelten Fällen. Auch den Ehefrauen gestattete die willkürliche und vielgestaltige Mode jener Zeit noch manche Formen, bei denen sie mit schönem Haar, mit weißem Hals und Schultern glänzen konnten. Den Schleier und die Krone darauf, das Haar in Flechten zur Seite aufgebunden und in ein goldenes Netzwerk gefaßt, oder in freien Locken herabgelas- sen, so finden wir die Kopftracht der Fürstinnen um das Jahr 1400. Bei jüngeren Damen fürstlichen Standes fällt das Haar noch öfter aufgelöset herab, umschlungen von einem Stirnband, sei es Seide, ein Goldreif oder eine Perlenschnur. Aber seit dem Beginn des funfzehnten Jahrhunderts verschwindet diese schöne Tracht auch aus dem kleinen Kreise, in welchem sie sich noch ge- halten hatte: die Locken weichen den aufgebundenen Flechten, so- daß auch der Nacken frei wird. Reicher Schmuck war damit ver- bunden, nach Maßgabe des Vermögens und Standes und soweit das Gesetz es erlaubte oder nicht zu hindern vermochte. Die Kränze, einfache und mit Rosetten und Steinen geschmückte Gold- reife, Perlschnüre, Bänder mit Federn und Blumen waren der Damen ursprüngliches Eigenthum, und nur eine weibische Putz- sucht hatte sie damals auch zur Tracht der Männer gemacht. Den
2. Die Zeit des Luxus und der Entartung.
Männern und Frauen ganz gleich entwickelt hatten. Die offenen, weiten Aermel und die engen darunter mit dem Handvorſtoß, die langen aufgeſchnittenen Schleppärmel, die Sackärmel, ſie wa- ren beiden gemeinſam, doch ſtanden ſie den Frauen naturgemä- ßer, weil langſame, abgemeſſene Bewegungen, wie ſie dadurch geboten waren, von ſelbſt und durch Sitte ihrem Geſchlecht mehr zuſtehen als der raſch geſchäftigen Männerwelt.
Aehnlich war es mit der Kopftracht. Auch die Frauen gaben die ihnen vor allen unkleidſame Gugel auf und trugen ſtatt derſelben die verhüllende Haube, den Kruſeler oder die Hulle mit dem Schulterkragen, die ſchon oben beſchrieben iſt. Nur das Geſicht blieb frei. Aber dieſe höchſt ehrbare, wenn auch unſchöne Tracht war keineswegs die allgemeine auch nur aller verheirathe- ten Frauen. Die Jungfrauen waren von ſelber ausgenommen, und von fürſtlichen Damen, die der Verhüllung widerſtrebten, trugen ſie nur ältere in vereinzelten Fällen. Auch den Ehefrauen geſtattete die willkürliche und vielgeſtaltige Mode jener Zeit noch manche Formen, bei denen ſie mit ſchönem Haar, mit weißem Hals und Schultern glänzen konnten. Den Schleier und die Krone darauf, das Haar in Flechten zur Seite aufgebunden und in ein goldenes Netzwerk gefaßt, oder in freien Locken herabgelaſ- ſen, ſo finden wir die Kopftracht der Fürſtinnen um das Jahr 1400. Bei jüngeren Damen fürſtlichen Standes fällt das Haar noch öfter aufgelöſet herab, umſchlungen von einem Stirnband, ſei es Seide, ein Goldreif oder eine Perlenſchnur. Aber ſeit dem Beginn des funfzehnten Jahrhunderts verſchwindet dieſe ſchöne Tracht auch aus dem kleinen Kreiſe, in welchem ſie ſich noch ge- halten hatte: die Locken weichen den aufgebundenen Flechten, ſo- daß auch der Nacken frei wird. Reicher Schmuck war damit ver- bunden, nach Maßgabe des Vermögens und Standes und ſoweit das Geſetz es erlaubte oder nicht zu hindern vermochte. Die Kränze, einfache und mit Roſetten und Steinen geſchmückte Gold- reife, Perlſchnüre, Bänder mit Federn und Blumen waren der Damen urſprüngliches Eigenthum, und nur eine weibiſche Putz- ſucht hatte ſie damals auch zur Tracht der Männer gemacht. Den
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2. Die Zeit des Luxus und der Entartung.
Männern und Frauen ganz gleich entwickelt hatten. Die offenen,
weiten Aermel und die engen darunter mit dem Handvorſtoß,
die langen aufgeſchnittenen Schleppärmel, die Sackärmel, ſie wa-
ren beiden gemeinſam, doch ſtanden ſie den Frauen naturgemä-
ßer, weil langſame, abgemeſſene Bewegungen, wie ſie dadurch
geboten waren, von ſelbſt und durch Sitte ihrem Geſchlecht mehr
zuſtehen als der raſch geſchäftigen Männerwelt.
Aehnlich war es mit der Kopftracht. Auch die Frauen
gaben die ihnen vor allen unkleidſame Gugel auf und trugen
ſtatt derſelben die verhüllende Haube, den Kruſeler oder die Hulle
mit dem Schulterkragen, die ſchon oben beſchrieben iſt. Nur das
Geſicht blieb frei. Aber dieſe höchſt ehrbare, wenn auch unſchöne
Tracht war keineswegs die allgemeine auch nur aller verheirathe-
ten Frauen. Die Jungfrauen waren von ſelber ausgenommen,
und von fürſtlichen Damen, die der Verhüllung widerſtrebten,
trugen ſie nur ältere in vereinzelten Fällen. Auch den Ehefrauen
geſtattete die willkürliche und vielgeſtaltige Mode jener Zeit noch
manche Formen, bei denen ſie mit ſchönem Haar, mit weißem
Hals und Schultern glänzen konnten. Den Schleier und die
Krone darauf, das Haar in Flechten zur Seite aufgebunden und
in ein goldenes Netzwerk gefaßt, oder in freien Locken herabgelaſ-
ſen, ſo finden wir die Kopftracht der Fürſtinnen um das Jahr
1400. Bei jüngeren Damen fürſtlichen Standes fällt das Haar
noch öfter aufgelöſet herab, umſchlungen von einem Stirnband,
ſei es Seide, ein Goldreif oder eine Perlenſchnur. Aber ſeit dem
Beginn des funfzehnten Jahrhunderts verſchwindet dieſe ſchöne
Tracht auch aus dem kleinen Kreiſe, in welchem ſie ſich noch ge-
halten hatte: die Locken weichen den aufgebundenen Flechten, ſo-
daß auch der Nacken frei wird. Reicher Schmuck war damit ver-
bunden, nach Maßgabe des Vermögens und Standes und ſoweit
das Geſetz es erlaubte oder nicht zu hindern vermochte. Die
Kränze, einfache und mit Roſetten und Steinen geſchmückte Gold-
reife, Perlſchnüre, Bänder mit Federn und Blumen waren der
Damen urſprüngliches Eigenthum, und nur eine weibiſche Putz-
ſucht hatte ſie damals auch zur Tracht der Männer gemacht. Den
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Falke, Jakob von: Die deutsche Trachten- und Modenwelt. Ein Beitrag zur deutschen Culturgeschichte. Bd. 1. Leipzig, 1858, S. 231. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/falke_trachten01_1858/249>, abgerufen am 01.08.2024.
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