Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Falke, Jakob von: Die deutsche Trachten- und Modenwelt. Ein Beitrag zur deutschen Culturgeschichte. Bd. 1. Leipzig, 1858.

Bild:
<< vorherige Seite

II. Das Mittelalter.
eine hohe Straußfeder oder ein Reiherbusch oder die Schwanzfeder
des Pfaus, das sogenannte Auge, steckte. Man nannte sie daher
Federkränze.

Das Gesicht glatt zu tragen blieb die vorherrschende Mode
des ganzen funfzehnten Jahrhunderts. Es gab selbst Fälle, wo
der Bart für eine Schande galt. So lautete ein Paragraph bei
Vollziehung des Ritterkampfgerichts in Schwäbisch-Hall: wer
verwundet werde und sich dem andern ergebe, der solle hinfort
geachtet sein erblos, auf keinem Pferd mehr sitzen, seinen Bart
nicht scheren
, weder Wehr noch Waffen tragen und zu allen
Ehren untauglich sein. In Frankreich herrschten ähnliche Be-
griffe. Da gelobte einst ein Ritter, der von dem mächtigen Gra-
fen von der Mark schwer beleidigt war, in der Meinung, daß er
nun ehrlos sei, bei allen Heiligen, daß er sich nicht "nach Ritter-
mode" wollte scheren lassen, bis er würde gerächt sein. Er hielt
sein Gelübde, bis daß er einst seinen Feind gedemüthigt mit
Gemahlin und Kindern vor dem Könige auf den Knieen liegen
und um Gnade flehen sah. Da ließ er sich sogleich den Bart ab-
nehmen, in Gegenwart des Königs, des Grafen von der Mark
und aller derer, welche grade zugegen waren. -- Ausnahmen je-
doch machten auch jetzt wie früher, seitdem der oben erwähnte
Schnurrbart wieder verschwand, die Würde und das Alter. In
diesen Regionen ist der Vollbart, kurz gehalten und fast immer
mit glattrasirter Oberlippe, keine Seltenheit. Nur Kaiser Sig-
mund trägt dazu noch einen mächtigen hängenden Schnurrbart,
nach Weise seiner slavischen Unterthanen. Die französischen und
englischen Könige bis auf Karl VIII. und Heinrich VII. zeigen
immer ein gänzlich glattes Gesicht. Auch die burgundischen Her-
zoge folgen dieser Mode und Kaiser Friedrich III. und Maximi-
lian. Miniaturen aber und andere Gemälde zeigen die Häupter
der Erde nicht selten mit Kinn- und Backenbart. --

Die Frauenkleidung ging in diesen Jahrzehnten, was
Pracht, Ueppigkeit und widersinnige, entstellende Formen betrifft,
sowie in vielen Einzelheiten, denselben Weg wie die der Männer.
Wir haben schon oben gesehen, wie sich die langen Aermel bei

II. Das Mittelalter.
eine hohe Straußfeder oder ein Reiherbuſch oder die Schwanzfeder
des Pfaus, das ſogenannte Auge, ſteckte. Man nannte ſie daher
Federkränze.

Das Geſicht glatt zu tragen blieb die vorherrſchende Mode
des ganzen funfzehnten Jahrhunderts. Es gab ſelbſt Fälle, wo
der Bart für eine Schande galt. So lautete ein Paragraph bei
Vollziehung des Ritterkampfgerichts in Schwäbiſch-Hall: wer
verwundet werde und ſich dem andern ergebe, der ſolle hinfort
geachtet ſein erblos, auf keinem Pferd mehr ſitzen, ſeinen Bart
nicht ſcheren
, weder Wehr noch Waffen tragen und zu allen
Ehren untauglich ſein. In Frankreich herrſchten ähnliche Be-
griffe. Da gelobte einſt ein Ritter, der von dem mächtigen Gra-
fen von der Mark ſchwer beleidigt war, in der Meinung, daß er
nun ehrlos ſei, bei allen Heiligen, daß er ſich nicht „nach Ritter-
mode“ wollte ſcheren laſſen, bis er würde gerächt ſein. Er hielt
ſein Gelübde, bis daß er einſt ſeinen Feind gedemüthigt mit
Gemahlin und Kindern vor dem Könige auf den Knieen liegen
und um Gnade flehen ſah. Da ließ er ſich ſogleich den Bart ab-
nehmen, in Gegenwart des Königs, des Grafen von der Mark
und aller derer, welche grade zugegen waren. — Ausnahmen je-
doch machten auch jetzt wie früher, ſeitdem der oben erwähnte
Schnurrbart wieder verſchwand, die Würde und das Alter. In
dieſen Regionen iſt der Vollbart, kurz gehalten und faſt immer
mit glattraſirter Oberlippe, keine Seltenheit. Nur Kaiſer Sig-
mund trägt dazu noch einen mächtigen hängenden Schnurrbart,
nach Weiſe ſeiner ſlaviſchen Unterthanen. Die franzöſiſchen und
engliſchen Könige bis auf Karl VIII. und Heinrich VII. zeigen
immer ein gänzlich glattes Geſicht. Auch die burgundiſchen Her-
zoge folgen dieſer Mode und Kaiſer Friedrich III. und Maximi-
lian. Miniaturen aber und andere Gemälde zeigen die Häupter
der Erde nicht ſelten mit Kinn- und Backenbart. —

Die Frauenkleidung ging in dieſen Jahrzehnten, was
Pracht, Ueppigkeit und widerſinnige, entſtellende Formen betrifft,
ſowie in vielen Einzelheiten, denſelben Weg wie die der Männer.
Wir haben ſchon oben geſehen, wie ſich die langen Aermel bei

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <div n="4">
              <p><pb facs="#f0248" n="230"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#aq">II.</hi> Das Mittelalter.</fw><lb/>
eine hohe Straußfeder oder ein Reiherbu&#x017F;ch oder die Schwanzfeder<lb/>
des Pfaus, das &#x017F;ogenannte Auge, &#x017F;teckte. Man nannte &#x017F;ie daher<lb/>
Federkränze.</p><lb/>
              <p>Das Ge&#x017F;icht glatt zu tragen blieb die vorherr&#x017F;chende Mode<lb/>
des ganzen funfzehnten Jahrhunderts. Es gab &#x017F;elb&#x017F;t Fälle, wo<lb/>
der Bart für eine Schande galt. So lautete ein Paragraph bei<lb/>
Vollziehung des Ritterkampfgerichts in Schwäbi&#x017F;ch-Hall: wer<lb/>
verwundet werde und &#x017F;ich dem andern ergebe, der &#x017F;olle hinfort<lb/>
geachtet &#x017F;ein erblos, auf keinem Pferd mehr &#x017F;itzen, <hi rendition="#g">&#x017F;einen Bart<lb/>
nicht &#x017F;cheren</hi>, weder Wehr noch Waffen tragen und zu allen<lb/>
Ehren untauglich &#x017F;ein. In Frankreich herr&#x017F;chten ähnliche Be-<lb/>
griffe. Da gelobte ein&#x017F;t ein Ritter, der von dem mächtigen Gra-<lb/>
fen von der Mark &#x017F;chwer beleidigt war, in der Meinung, daß er<lb/>
nun ehrlos &#x017F;ei, bei allen Heiligen, daß er &#x017F;ich nicht &#x201E;nach Ritter-<lb/>
mode&#x201C; wollte &#x017F;cheren la&#x017F;&#x017F;en, bis er würde gerächt &#x017F;ein. Er hielt<lb/>
&#x017F;ein Gelübde, bis daß er ein&#x017F;t &#x017F;einen Feind gedemüthigt mit<lb/>
Gemahlin und Kindern vor dem Könige auf den Knieen liegen<lb/>
und um Gnade flehen &#x017F;ah. Da ließ er &#x017F;ich &#x017F;ogleich den Bart ab-<lb/>
nehmen, in Gegenwart des Königs, des Grafen von der Mark<lb/>
und aller derer, welche grade zugegen waren. &#x2014; Ausnahmen je-<lb/>
doch machten auch jetzt wie früher, &#x017F;eitdem der oben erwähnte<lb/>
Schnurrbart wieder ver&#x017F;chwand, die Würde und das Alter. In<lb/>
die&#x017F;en Regionen i&#x017F;t der Vollbart, kurz gehalten und fa&#x017F;t immer<lb/>
mit glattra&#x017F;irter Oberlippe, keine Seltenheit. Nur Kai&#x017F;er Sig-<lb/>
mund trägt dazu noch einen mächtigen hängenden Schnurrbart,<lb/>
nach Wei&#x017F;e &#x017F;einer &#x017F;lavi&#x017F;chen Unterthanen. Die franzö&#x017F;i&#x017F;chen und<lb/>
engli&#x017F;chen Könige bis auf Karl <hi rendition="#aq">VIII.</hi> und Heinrich <hi rendition="#aq">VII.</hi> zeigen<lb/>
immer ein gänzlich glattes Ge&#x017F;icht. Auch die burgundi&#x017F;chen Her-<lb/>
zoge folgen die&#x017F;er Mode und Kai&#x017F;er Friedrich <hi rendition="#aq">III.</hi> und Maximi-<lb/>
lian. Miniaturen aber und andere Gemälde zeigen die Häupter<lb/>
der Erde nicht &#x017F;elten mit Kinn- und Backenbart. &#x2014;</p><lb/>
              <p>Die <hi rendition="#g">Frauenkleidung</hi> ging in die&#x017F;en Jahrzehnten, was<lb/>
Pracht, Ueppigkeit und wider&#x017F;innige, ent&#x017F;tellende Formen betrifft,<lb/>
&#x017F;owie in vielen Einzelheiten, den&#x017F;elben Weg wie die der Männer.<lb/>
Wir haben &#x017F;chon oben ge&#x017F;ehen, wie &#x017F;ich die langen <hi rendition="#g">Aermel</hi> bei<lb/></p>
            </div>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[230/0248] II. Das Mittelalter. eine hohe Straußfeder oder ein Reiherbuſch oder die Schwanzfeder des Pfaus, das ſogenannte Auge, ſteckte. Man nannte ſie daher Federkränze. Das Geſicht glatt zu tragen blieb die vorherrſchende Mode des ganzen funfzehnten Jahrhunderts. Es gab ſelbſt Fälle, wo der Bart für eine Schande galt. So lautete ein Paragraph bei Vollziehung des Ritterkampfgerichts in Schwäbiſch-Hall: wer verwundet werde und ſich dem andern ergebe, der ſolle hinfort geachtet ſein erblos, auf keinem Pferd mehr ſitzen, ſeinen Bart nicht ſcheren, weder Wehr noch Waffen tragen und zu allen Ehren untauglich ſein. In Frankreich herrſchten ähnliche Be- griffe. Da gelobte einſt ein Ritter, der von dem mächtigen Gra- fen von der Mark ſchwer beleidigt war, in der Meinung, daß er nun ehrlos ſei, bei allen Heiligen, daß er ſich nicht „nach Ritter- mode“ wollte ſcheren laſſen, bis er würde gerächt ſein. Er hielt ſein Gelübde, bis daß er einſt ſeinen Feind gedemüthigt mit Gemahlin und Kindern vor dem Könige auf den Knieen liegen und um Gnade flehen ſah. Da ließ er ſich ſogleich den Bart ab- nehmen, in Gegenwart des Königs, des Grafen von der Mark und aller derer, welche grade zugegen waren. — Ausnahmen je- doch machten auch jetzt wie früher, ſeitdem der oben erwähnte Schnurrbart wieder verſchwand, die Würde und das Alter. In dieſen Regionen iſt der Vollbart, kurz gehalten und faſt immer mit glattraſirter Oberlippe, keine Seltenheit. Nur Kaiſer Sig- mund trägt dazu noch einen mächtigen hängenden Schnurrbart, nach Weiſe ſeiner ſlaviſchen Unterthanen. Die franzöſiſchen und engliſchen Könige bis auf Karl VIII. und Heinrich VII. zeigen immer ein gänzlich glattes Geſicht. Auch die burgundiſchen Her- zoge folgen dieſer Mode und Kaiſer Friedrich III. und Maximi- lian. Miniaturen aber und andere Gemälde zeigen die Häupter der Erde nicht ſelten mit Kinn- und Backenbart. — Die Frauenkleidung ging in dieſen Jahrzehnten, was Pracht, Ueppigkeit und widerſinnige, entſtellende Formen betrifft, ſowie in vielen Einzelheiten, denſelben Weg wie die der Männer. Wir haben ſchon oben geſehen, wie ſich die langen Aermel bei

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/falke_trachten01_1858
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/falke_trachten01_1858/248
Zitationshilfe: Falke, Jakob von: Die deutsche Trachten- und Modenwelt. Ein Beitrag zur deutschen Culturgeschichte. Bd. 1. Leipzig, 1858, S. 230. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/falke_trachten01_1858/248>, abgerufen am 26.04.2024.