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Falke, Jakob von: Die deutsche Trachten- und Modenwelt. Ein Beitrag zur deutschen Culturgeschichte. Bd. 1. Leipzig, 1858.

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II. Das Mittelalter.
bis unten gespalten und mit kleinen Knöpfen geschlossen ist.
Ebenso die Unterarme. Aber der Rock reicht bis zum Knie und
die Enge erscheint nicht übertrieben. Der lange Mantel ist auf
der rechten Schulter geknöpft und hängt bis auf die Füße herab;
eine Gugel liegt locker um die Schultern. Von ähnlichem Geiste
getragen erscheinen zwei Mitglieder des Lübecker Patriziats, der
Rathmann Johannes Klingenberg (gestorben 1356) und der
Bürgermeister Bruno von Warendorp (gestorben 1369), deren
Bilder, in kostbare Bronceplatten lebensgroß eingegraben, sich in
der Petri- und Marienkirche zu Lübeck befinden. Ihnen reichen
die Röcke fast bis auf die Füße herab. Von unten her sind sie in
der Länge des Beines vorn aufgeschnitten und nicht ohne Schmuck;
am Oberkörper liegen sie in ziemlicher Enge an, beim Bruno von
Warendorp selbst mit Knopfbesatz bis zum hängenden Gürtel
herab. Die Gugel, die der ältere Klingenberg trägt, hat sich bei
dem andern in einen kleinen Schulterkragen mit kurzen Zacken,
den Goller, verwandelt. Die Schuhe, oben mit einem Ausschnitt
und mit einem an der Seite festgeschnallten Riemen, bedecken den
Fuß in natürlicher Form ohne Spitze. --

b. Die Thorheiten der Mode: Hängeärmel, Schellen,
Schnabelschuhe und Farbenallegorie.

Während die in Letzterem geschilderte reiche, noble und doch
einfache Kleidung noch länger unter den höchsten Schichten der
Gesellschaft, an Fürstenhöfen mehr noch als beim städtischen Pa-
triziat, Freunde und insbesondere Freundinnen findet, selbst so
lange, bis sie mit den Trachten der Reformationszeit zusammen-
fließt, -- währenddeß wächst die Lust am Barocken, am Narren-
haften selbst, auf Kosten der Schönheit, der Bequemlichkeit und
des gesunden Menschenverstandes noch ununterbrochen. Solche
Zustände, wie sie oben von Wien und Böhmen geschildert wor-
den sind, stehen noch lange nicht auf der Höhe des Zeitgeschmacks.
Ehe wir aber zu den feinsten und charakteristischsten Blüthen des-
selben, Schellen und Schnabelschuhen, übergehen, wollen wir die

II. Das Mittelalter.
bis unten geſpalten und mit kleinen Knöpfen geſchloſſen iſt.
Ebenſo die Unterarme. Aber der Rock reicht bis zum Knie und
die Enge erſcheint nicht übertrieben. Der lange Mantel iſt auf
der rechten Schulter geknöpft und hängt bis auf die Füße herab;
eine Gugel liegt locker um die Schultern. Von ähnlichem Geiſte
getragen erſcheinen zwei Mitglieder des Lübecker Patriziats, der
Rathmann Johannes Klingenberg (geſtorben 1356) und der
Bürgermeiſter Bruno von Warendorp (geſtorben 1369), deren
Bilder, in koſtbare Bronceplatten lebensgroß eingegraben, ſich in
der Petri- und Marienkirche zu Lübeck befinden. Ihnen reichen
die Röcke faſt bis auf die Füße herab. Von unten her ſind ſie in
der Länge des Beines vorn aufgeſchnitten und nicht ohne Schmuck;
am Oberkörper liegen ſie in ziemlicher Enge an, beim Bruno von
Warendorp ſelbſt mit Knopfbeſatz bis zum hängenden Gürtel
herab. Die Gugel, die der ältere Klingenberg trägt, hat ſich bei
dem andern in einen kleinen Schulterkragen mit kurzen Zacken,
den Goller, verwandelt. Die Schuhe, oben mit einem Ausſchnitt
und mit einem an der Seite feſtgeſchnallten Riemen, bedecken den
Fuß in natürlicher Form ohne Spitze. —

b. Die Thorheiten der Mode: Hängeärmel, Schellen,
Schnabelſchuhe und Farbenallegorie.

Während die in Letzterem geſchilderte reiche, noble und doch
einfache Kleidung noch länger unter den höchſten Schichten der
Geſellſchaft, an Fürſtenhöfen mehr noch als beim ſtädtiſchen Pa-
triziat, Freunde und insbeſondere Freundinnen findet, ſelbſt ſo
lange, bis ſie mit den Trachten der Reformationszeit zuſammen-
fließt, — währenddeß wächſt die Luſt am Barocken, am Narren-
haften ſelbſt, auf Koſten der Schönheit, der Bequemlichkeit und
des geſunden Menſchenverſtandes noch ununterbrochen. Solche
Zuſtände, wie ſie oben von Wien und Böhmen geſchildert wor-
den ſind, ſtehen noch lange nicht auf der Höhe des Zeitgeſchmacks.
Ehe wir aber zu den feinſten und charakteriſtiſchſten Blüthen deſ-
ſelben, Schellen und Schnabelſchuhen, übergehen, wollen wir die

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[222/0240] II. Das Mittelalter. bis unten geſpalten und mit kleinen Knöpfen geſchloſſen iſt. Ebenſo die Unterarme. Aber der Rock reicht bis zum Knie und die Enge erſcheint nicht übertrieben. Der lange Mantel iſt auf der rechten Schulter geknöpft und hängt bis auf die Füße herab; eine Gugel liegt locker um die Schultern. Von ähnlichem Geiſte getragen erſcheinen zwei Mitglieder des Lübecker Patriziats, der Rathmann Johannes Klingenberg (geſtorben 1356) und der Bürgermeiſter Bruno von Warendorp (geſtorben 1369), deren Bilder, in koſtbare Bronceplatten lebensgroß eingegraben, ſich in der Petri- und Marienkirche zu Lübeck befinden. Ihnen reichen die Röcke faſt bis auf die Füße herab. Von unten her ſind ſie in der Länge des Beines vorn aufgeſchnitten und nicht ohne Schmuck; am Oberkörper liegen ſie in ziemlicher Enge an, beim Bruno von Warendorp ſelbſt mit Knopfbeſatz bis zum hängenden Gürtel herab. Die Gugel, die der ältere Klingenberg trägt, hat ſich bei dem andern in einen kleinen Schulterkragen mit kurzen Zacken, den Goller, verwandelt. Die Schuhe, oben mit einem Ausſchnitt und mit einem an der Seite feſtgeſchnallten Riemen, bedecken den Fuß in natürlicher Form ohne Spitze. — b. Die Thorheiten der Mode: Hängeärmel, Schellen, Schnabelſchuhe und Farbenallegorie. Während die in Letzterem geſchilderte reiche, noble und doch einfache Kleidung noch länger unter den höchſten Schichten der Geſellſchaft, an Fürſtenhöfen mehr noch als beim ſtädtiſchen Pa- triziat, Freunde und insbeſondere Freundinnen findet, ſelbſt ſo lange, bis ſie mit den Trachten der Reformationszeit zuſammen- fließt, — währenddeß wächſt die Luſt am Barocken, am Narren- haften ſelbſt, auf Koſten der Schönheit, der Bequemlichkeit und des geſunden Menſchenverſtandes noch ununterbrochen. Solche Zuſtände, wie ſie oben von Wien und Böhmen geſchildert wor- den ſind, ſtehen noch lange nicht auf der Höhe des Zeitgeſchmacks. Ehe wir aber zu den feinſten und charakteriſtiſchſten Blüthen deſ- ſelben, Schellen und Schnabelſchuhen, übergehen, wollen wir die

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Zitationshilfe: Falke, Jakob von: Die deutsche Trachten- und Modenwelt. Ein Beitrag zur deutschen Culturgeschichte. Bd. 1. Leipzig, 1858, S. 222. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/falke_trachten01_1858/240>, abgerufen am 29.03.2024.