Falke, Jakob von: Die deutsche Trachten- und Modenwelt. Ein Beitrag zur deutschen Culturgeschichte. Bd. 1. Leipzig, 1858.II. Das Mittelalter. hintere eine Dienerin oder Hofdame. Die bekannte bayrischeIsabella, Karl's VI. Gemahlin, soll vorzugsweise diese Mode in Frankreich allgemein gemacht haben. Das geschah so weit, daß der Ritter de la Tour schon Klage führt, wie Dienerinnen und Frauen von niederm Stande das mit Pelzwerk besetzte Schleppkleid angenommen haben, freilich sehr unpassender und unzweckmäßiger Weise, denn, sagt er, "sie haben sich hinten be- schmutzt, gerade wie die Schafe ihre Schwänze." In England schrieb unter Richard II. bereits ein Geistlicher eine Abhandlung gegen die Schleppen der Damen. Zu ihrer Hofrolle kamen sie durch die burgundische Etiquette. Endlich konnte auch Deutsch- land nicht zurückbleiben. Im Städtchen Kreuzburg sollen schon im Anfang des fünfzehnten Jahrhunderts die adligen Damen ge- schwänzte Röcke getragen haben, vier bis fünf Ellen lang, so daß Knaben die Schleppen nachtragen mußten. In diesem Städtchen scheint die Obrigkeit weniger von Polizeimoral erfüllt gewesen zu sein. Uebrigens erlaubten der Kurfürst Ernst und der Herzog Albrecht von Sachsen in ihrem Erlaß von 1482 ordnungsmäßig allen Ritterfrauen und Ritterfräulein zwei volle Ellen. Wenn die Frauenkleidung mit der Schleppe in Vergleich zu Wenn damals eine vornehme Dame oder eine wohlhabende II. Das Mittelalter. hintere eine Dienerin oder Hofdame. Die bekannte bayriſcheIſabella, Karl’s VI. Gemahlin, ſoll vorzugsweiſe dieſe Mode in Frankreich allgemein gemacht haben. Das geſchah ſo weit, daß der Ritter de la Tour ſchon Klage führt, wie Dienerinnen und Frauen von niederm Stande das mit Pelzwerk beſetzte Schleppkleid angenommen haben, freilich ſehr unpaſſender und unzweckmäßiger Weiſe, denn, ſagt er, „ſie haben ſich hinten be- ſchmutzt, gerade wie die Schafe ihre Schwänze.“ In England ſchrieb unter Richard II. bereits ein Geiſtlicher eine Abhandlung gegen die Schleppen der Damen. Zu ihrer Hofrolle kamen ſie durch die burgundiſche Etiquette. Endlich konnte auch Deutſch- land nicht zurückbleiben. Im Städtchen Kreuzburg ſollen ſchon im Anfang des fünfzehnten Jahrhunderts die adligen Damen ge- ſchwänzte Röcke getragen haben, vier bis fünf Ellen lang, ſo daß Knaben die Schleppen nachtragen mußten. In dieſem Städtchen ſcheint die Obrigkeit weniger von Polizeimoral erfüllt geweſen zu ſein. Uebrigens erlaubten der Kurfürſt Ernſt und der Herzog Albrecht von Sachſen in ihrem Erlaß von 1482 ordnungsmäßig allen Ritterfrauen und Ritterfräulein zwei volle Ellen. Wenn die Frauenkleidung mit der Schleppe in Vergleich zu Wenn damals eine vornehme Dame oder eine wohlhabende <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <div n="4"> <p><pb facs="#f0230" n="212"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#aq">II.</hi> Das Mittelalter.</fw><lb/> hintere eine Dienerin oder Hofdame. Die bekannte bayriſche<lb/> Iſabella, Karl’s <hi rendition="#aq">VI.</hi> Gemahlin, ſoll vorzugsweiſe dieſe Mode<lb/> in Frankreich allgemein gemacht haben. Das geſchah ſo weit,<lb/> daß der Ritter de la Tour ſchon Klage führt, wie Dienerinnen<lb/> und Frauen von niederm Stande das mit Pelzwerk beſetzte<lb/> Schleppkleid angenommen haben, freilich ſehr unpaſſender und<lb/> unzweckmäßiger Weiſe, denn, ſagt er, „ſie haben ſich hinten be-<lb/> ſchmutzt, gerade wie die Schafe ihre Schwänze.“ In England<lb/> ſchrieb unter Richard <hi rendition="#aq">II.</hi> bereits ein Geiſtlicher eine Abhandlung<lb/> gegen die Schleppen der Damen. 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II. Das Mittelalter.
hintere eine Dienerin oder Hofdame. Die bekannte bayriſche
Iſabella, Karl’s VI. Gemahlin, ſoll vorzugsweiſe dieſe Mode
in Frankreich allgemein gemacht haben. Das geſchah ſo weit,
daß der Ritter de la Tour ſchon Klage führt, wie Dienerinnen
und Frauen von niederm Stande das mit Pelzwerk beſetzte
Schleppkleid angenommen haben, freilich ſehr unpaſſender und
unzweckmäßiger Weiſe, denn, ſagt er, „ſie haben ſich hinten be-
ſchmutzt, gerade wie die Schafe ihre Schwänze.“ In England
ſchrieb unter Richard II. bereits ein Geiſtlicher eine Abhandlung
gegen die Schleppen der Damen. Zu ihrer Hofrolle kamen ſie
durch die burgundiſche Etiquette. Endlich konnte auch Deutſch-
land nicht zurückbleiben. Im Städtchen Kreuzburg ſollen ſchon
im Anfang des fünfzehnten Jahrhunderts die adligen Damen ge-
ſchwänzte Röcke getragen haben, vier bis fünf Ellen lang, ſo daß
Knaben die Schleppen nachtragen mußten. In dieſem Städtchen
ſcheint die Obrigkeit weniger von Polizeimoral erfüllt geweſen zu
ſein. Uebrigens erlaubten der Kurfürſt Ernſt und der Herzog
Albrecht von Sachſen in ihrem Erlaß von 1482 ordnungsmäßig
allen Ritterfrauen und Ritterfräulein zwei volle Ellen.
Wenn die Frauenkleidung mit der Schleppe in Vergleich zu
der männlichen eine entgegengeſetzte Tendenz zu verfolgen ſcheint,
ſo ſtimmt ſie um ſo mehr in der Enge überein. Neu iſt das bei
den Frauen nicht, denn wir wiſſen, wie gerade dieſe Neigung die
Frauenkleidung im zwölften und dreizehnten Jahrhundert von
der alten Formloſigkeit befreit. Was aber damals Grazie und
freie Beweglichkeit verlieh, das führte jetzt, in’s Extrem getrieben
und mit andern Uebertreibungen vereinigt, zu Mißgeſtalten, ver-
hinderte die Leichtigkeit, Elaſticität und Freiheit und raubte die
Anmuth, abgeſehen von dem Anſtand und der Sittlichkeit, wel-
chen Punkt die Weisheit und das Gewiſſen der ſtädtiſchen Behör-
den vor allem in’s Auge faßten.
Wenn damals eine vornehme Dame oder eine wohlhabende
Bürgerin zu Hauſe nur ein einziges Kleid trug, ſo lag dieſes am
ganzen Leibe und ſelbſt noch um den Unterleib in voller Enge an.
Der Körper zeigte ſich in ſeiner natürlichen Form. Erſchien ſie
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