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Falke, Jakob von: Die deutsche Trachten- und Modenwelt. Ein Beitrag zur deutschen Culturgeschichte. Bd. 1. Leipzig, 1858.

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I. Aelteste Zeit bis zu den Kreuzzügen.
Gewässer eilen sie dahin, wilde Thiere erjagen sie sich zur Nah-
rung. Keine Wohnungen haben sie, keine Stätte, außer der,
welche ihnen die Müdigkeit Tag für Tag anbefiehlt; dürftig ist
ihre Nahrung, und mit eigener Hand müssen sie sich dieselbe be-
schaffen; schrecklich ist die Unfreundlichkeit des Klimas; unbedeckt
sind ihre Leiber: so ist das tägliche Leben der Völker." Der ganze
Charakter der deutschen Geschichte in den ersten Jahrhunderten
bestätigt diesen Anblick des Landes. In allen Feldzügen waren
Boden und Himmel die gefährlichsten Feinde der Römer. Und
die Germanen wußten diese Vortheile zu schätzen und trefflich zu
nutzen: sie zogen sich unsichtbar in die undurchdringlichen Wäl-
der zurück und ließen die Feinde allein in der unheimlichen, men-
schenleeren, schweigenden Oede. Da warteten sie ruhig, bis die-
selben in die Sümpfe oder die Schluchten des Gebirgs geriethen,
oder bis der Himmel seine Ströme herniederließ und den Boden
erweichte und die Wege verdarb, oder der Sturm die Flotte an
das seichte und unwirthliche Gestade warf.

Wir glauben den Nachrichten der Alten nur zu gern, und
gewiß nicht mit Unrecht, wenn sie uns versichern, daß unsre Vor-
fahren all diesen Widerwärtigkeiten, der Unfreundlichkeit des
Klimas, der Rauheit des Bodens, der Nässe und der Kälte gleich
freudig getrotzt haben. Galt es die Wanderung, die Jagd, den
Kampf, so gab es nichts, was auf ihren abgehärteten Körper
Eindruck gemacht hätte. Auf ihren Schilden wie auf Schlitten
sitzend -- mag immerhin der Römer Furcht die Fabel ersonnen
oder vergrößert haben, sie deutet die Wahrheit an -- sollen sie
die Schneeabhänge der Alpen herabgefahren sein. Nackt oder nur
mit einem leichten Mantel bedeckt, zogen sie in die Schlacht, ent-
weder um leichter zu streiten oder um zu zeigen, daß sie die vom
Feinde kommenden Wunden verachteten, jedenfalls aus trotzigem
Uebermuth. "Unbekleidet," sagt der Geograph Pomponius Mela,
"leben sie bis zur Zeit der Reife; die Männer hüllen sich in kurze
Gewänder oder in Baumbast, mag der Winter auch noch so
streng sein." Cäsar scheint eigentliche Kleidung kaum bei ihnen
bemerkt zu haben. "Sie haben sich," sagt er, "der Gewohnheit er-

I. Aelteſte Zeit bis zu den Kreuzzügen.
Gewäſſer eilen ſie dahin, wilde Thiere erjagen ſie ſich zur Nah-
rung. Keine Wohnungen haben ſie, keine Stätte, außer der,
welche ihnen die Müdigkeit Tag für Tag anbefiehlt; dürftig iſt
ihre Nahrung, und mit eigener Hand müſſen ſie ſich dieſelbe be-
ſchaffen; ſchrecklich iſt die Unfreundlichkeit des Klimas; unbedeckt
ſind ihre Leiber: ſo iſt das tägliche Leben der Völker.“ Der ganze
Charakter der deutſchen Geſchichte in den erſten Jahrhunderten
beſtätigt dieſen Anblick des Landes. In allen Feldzügen waren
Boden und Himmel die gefährlichſten Feinde der Römer. Und
die Germanen wußten dieſe Vortheile zu ſchätzen und trefflich zu
nutzen: ſie zogen ſich unſichtbar in die undurchdringlichen Wäl-
der zurück und ließen die Feinde allein in der unheimlichen, men-
ſchenleeren, ſchweigenden Oede. Da warteten ſie ruhig, bis die-
ſelben in die Sümpfe oder die Schluchten des Gebirgs geriethen,
oder bis der Himmel ſeine Ströme herniederließ und den Boden
erweichte und die Wege verdarb, oder der Sturm die Flotte an
das ſeichte und unwirthliche Geſtade warf.

Wir glauben den Nachrichten der Alten nur zu gern, und
gewiß nicht mit Unrecht, wenn ſie uns verſichern, daß unſre Vor-
fahren all dieſen Widerwärtigkeiten, der Unfreundlichkeit des
Klimas, der Rauheit des Bodens, der Näſſe und der Kälte gleich
freudig getrotzt haben. Galt es die Wanderung, die Jagd, den
Kampf, ſo gab es nichts, was auf ihren abgehärteten Körper
Eindruck gemacht hätte. Auf ihren Schilden wie auf Schlitten
ſitzend — mag immerhin der Römer Furcht die Fabel erſonnen
oder vergrößert haben, ſie deutet die Wahrheit an — ſollen ſie
die Schneeabhänge der Alpen herabgefahren ſein. Nackt oder nur
mit einem leichten Mantel bedeckt, zogen ſie in die Schlacht, ent-
weder um leichter zu ſtreiten oder um zu zeigen, daß ſie die vom
Feinde kommenden Wunden verachteten, jedenfalls aus trotzigem
Uebermuth. „Unbekleidet,“ ſagt der Geograph Pomponius Mela,
„leben ſie bis zur Zeit der Reife; die Männer hüllen ſich in kurze
Gewänder oder in Baumbaſt, mag der Winter auch noch ſo
ſtreng ſein.“ Cäſar ſcheint eigentliche Kleidung kaum bei ihnen
bemerkt zu haben. „Sie haben ſich,“ ſagt er, „der Gewohnheit er-

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[2/0020] I. Aelteſte Zeit bis zu den Kreuzzügen. Gewäſſer eilen ſie dahin, wilde Thiere erjagen ſie ſich zur Nah- rung. Keine Wohnungen haben ſie, keine Stätte, außer der, welche ihnen die Müdigkeit Tag für Tag anbefiehlt; dürftig iſt ihre Nahrung, und mit eigener Hand müſſen ſie ſich dieſelbe be- ſchaffen; ſchrecklich iſt die Unfreundlichkeit des Klimas; unbedeckt ſind ihre Leiber: ſo iſt das tägliche Leben der Völker.“ Der ganze Charakter der deutſchen Geſchichte in den erſten Jahrhunderten beſtätigt dieſen Anblick des Landes. In allen Feldzügen waren Boden und Himmel die gefährlichſten Feinde der Römer. Und die Germanen wußten dieſe Vortheile zu ſchätzen und trefflich zu nutzen: ſie zogen ſich unſichtbar in die undurchdringlichen Wäl- der zurück und ließen die Feinde allein in der unheimlichen, men- ſchenleeren, ſchweigenden Oede. Da warteten ſie ruhig, bis die- ſelben in die Sümpfe oder die Schluchten des Gebirgs geriethen, oder bis der Himmel ſeine Ströme herniederließ und den Boden erweichte und die Wege verdarb, oder der Sturm die Flotte an das ſeichte und unwirthliche Geſtade warf. Wir glauben den Nachrichten der Alten nur zu gern, und gewiß nicht mit Unrecht, wenn ſie uns verſichern, daß unſre Vor- fahren all dieſen Widerwärtigkeiten, der Unfreundlichkeit des Klimas, der Rauheit des Bodens, der Näſſe und der Kälte gleich freudig getrotzt haben. Galt es die Wanderung, die Jagd, den Kampf, ſo gab es nichts, was auf ihren abgehärteten Körper Eindruck gemacht hätte. Auf ihren Schilden wie auf Schlitten ſitzend — mag immerhin der Römer Furcht die Fabel erſonnen oder vergrößert haben, ſie deutet die Wahrheit an — ſollen ſie die Schneeabhänge der Alpen herabgefahren ſein. Nackt oder nur mit einem leichten Mantel bedeckt, zogen ſie in die Schlacht, ent- weder um leichter zu ſtreiten oder um zu zeigen, daß ſie die vom Feinde kommenden Wunden verachteten, jedenfalls aus trotzigem Uebermuth. „Unbekleidet,“ ſagt der Geograph Pomponius Mela, „leben ſie bis zur Zeit der Reife; die Männer hüllen ſich in kurze Gewänder oder in Baumbaſt, mag der Winter auch noch ſo ſtreng ſein.“ Cäſar ſcheint eigentliche Kleidung kaum bei ihnen bemerkt zu haben. „Sie haben ſich,“ ſagt er, „der Gewohnheit er-

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Zitationshilfe: Falke, Jakob von: Die deutsche Trachten- und Modenwelt. Ein Beitrag zur deutschen Culturgeschichte. Bd. 1. Leipzig, 1858, S. 2. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/falke_trachten01_1858/20>, abgerufen am 29.03.2024.