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Falke, Jakob von: Die deutsche Trachten- und Modenwelt. Ein Beitrag zur deutschen Culturgeschichte. Bd. 1. Leipzig, 1858.

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2. Die Zeit des Luxus und der Entartung.
Frau aufs neue befragt, sah der Einsiedler nach seinem Gebet
auch diese im Traum. Ein Teufel hatte sie bei den Haaren in
seinen Krallen, wie ein Löwe seine Beute hält, und dann brachte
er glühende Nadeln an ihre Schläfen, ihre Augenbrauen und ihre
Wangen. Die arme Seele schrie. Der Einsiedler fragte den Teu-
fel, warum er sie so leiden lasse. Weil sie ihre Schläfen rasirte,
war die Antwort, ihre Augbrauen bemalte und die Haare von
der Stirne riß, um schöner zu sein und mehr Bewunderung zu
erwecken. Ein anderer Teufel kam nun und verbrannte ihr das
Gesicht dermaßen, daß der Eremit darüber zitterte: "Sie hat
diese Strafe verdient," sagte der Teufel, "weil sie sich geschminkt
und das Gesicht bemalt hat, um schöner zu sein; keine Sünde
mißfällt Gott so sehr." -- So lautet die Erzählung des Ritters
de la Tour.

Den besten und wirksamsten Widerstand fanden die Aus-
schweifungen in Sitten und Moden an dem gesunden Sinn des
Volkes selbst. In den Städten sowohl wie beim Adel auf den
Schlössern hielt ein guter Theil an edler Einfachheit, an Ehrbar-
keit und Anstand fest, wie auch die Masse der niedern Stände
und des Landvolks unverdorben blieb. Was die Kleidung be-
trifft, so läßt sich an vielfachen Abbildungen nachweisen, wie ne-
ben den tollsten und schamlosesten Ausgeburten der Mode sich
eine edle einfache Tracht beständig erhielt.

Aus eben diesem altehrbaren Sinn, der auf Anstand in
allen Dingen hält, sind auch die schon erwähnten Ermahnungen
des Ritters de la Tour hervorgegangen, denen die Franzosen noch
andere an die Seite zu stellen haben. Ihre Sorge läßt sie ganz
in specielle Vorschriften gegen die Modesitten eingehen. So sagt
der alte Ritter zu seinen Töchtern: "Wenn ihr in der Messe eure
Gebete sprecht, so gleicht nicht dem Kranich, der den Kopf bald
nach der einen, bald nach der andern Seite dreht; sondern seht
grade vor euch hin und mit Würde. Denn man hält sich nicht
mit Unrecht über Frauen auf, welche unbescheiden das Gesicht
hierhin und dorthin wenden." Etwas später macht ein reicher
Bürger von Paris seiner jungen Frau ähnliche Vorschriften:

Falke, Trachten- und Modenwelt. I. 12

2. Die Zeit des Luxus und der Entartung.
Frau aufs neue befragt, ſah der Einſiedler nach ſeinem Gebet
auch dieſe im Traum. Ein Teufel hatte ſie bei den Haaren in
ſeinen Krallen, wie ein Löwe ſeine Beute hält, und dann brachte
er glühende Nadeln an ihre Schläfen, ihre Augenbrauen und ihre
Wangen. Die arme Seele ſchrie. Der Einſiedler fragte den Teu-
fel, warum er ſie ſo leiden laſſe. Weil ſie ihre Schläfen raſirte,
war die Antwort, ihre Augbrauen bemalte und die Haare von
der Stirne riß, um ſchöner zu ſein und mehr Bewunderung zu
erwecken. Ein anderer Teufel kam nun und verbrannte ihr das
Geſicht dermaßen, daß der Eremit darüber zitterte: „Sie hat
dieſe Strafe verdient,“ ſagte der Teufel, „weil ſie ſich geſchminkt
und das Geſicht bemalt hat, um ſchöner zu ſein; keine Sünde
mißfällt Gott ſo ſehr.“ — So lautet die Erzählung des Ritters
de la Tour.

Den beſten und wirkſamſten Widerſtand fanden die Aus-
ſchweifungen in Sitten und Moden an dem geſunden Sinn des
Volkes ſelbſt. In den Städten ſowohl wie beim Adel auf den
Schlöſſern hielt ein guter Theil an edler Einfachheit, an Ehrbar-
keit und Anſtand feſt, wie auch die Maſſe der niedern Stände
und des Landvolks unverdorben blieb. Was die Kleidung be-
trifft, ſo läßt ſich an vielfachen Abbildungen nachweiſen, wie ne-
ben den tollſten und ſchamloſeſten Ausgeburten der Mode ſich
eine edle einfache Tracht beſtändig erhielt.

Aus eben dieſem altehrbaren Sinn, der auf Anſtand in
allen Dingen hält, ſind auch die ſchon erwähnten Ermahnungen
des Ritters de la Tour hervorgegangen, denen die Franzoſen noch
andere an die Seite zu ſtellen haben. Ihre Sorge läßt ſie ganz
in ſpecielle Vorſchriften gegen die Modeſitten eingehen. So ſagt
der alte Ritter zu ſeinen Töchtern: „Wenn ihr in der Meſſe eure
Gebete ſprecht, ſo gleicht nicht dem Kranich, der den Kopf bald
nach der einen, bald nach der andern Seite dreht; ſondern ſeht
grade vor euch hin und mit Würde. Denn man hält ſich nicht
mit Unrecht über Frauen auf, welche unbeſcheiden das Geſicht
hierhin und dorthin wenden.“ Etwas ſpäter macht ein reicher
Bürger von Paris ſeiner jungen Frau ähnliche Vorſchriften:

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[177/0195] 2. Die Zeit des Luxus und der Entartung. Frau aufs neue befragt, ſah der Einſiedler nach ſeinem Gebet auch dieſe im Traum. Ein Teufel hatte ſie bei den Haaren in ſeinen Krallen, wie ein Löwe ſeine Beute hält, und dann brachte er glühende Nadeln an ihre Schläfen, ihre Augenbrauen und ihre Wangen. Die arme Seele ſchrie. Der Einſiedler fragte den Teu- fel, warum er ſie ſo leiden laſſe. Weil ſie ihre Schläfen raſirte, war die Antwort, ihre Augbrauen bemalte und die Haare von der Stirne riß, um ſchöner zu ſein und mehr Bewunderung zu erwecken. Ein anderer Teufel kam nun und verbrannte ihr das Geſicht dermaßen, daß der Eremit darüber zitterte: „Sie hat dieſe Strafe verdient,“ ſagte der Teufel, „weil ſie ſich geſchminkt und das Geſicht bemalt hat, um ſchöner zu ſein; keine Sünde mißfällt Gott ſo ſehr.“ — So lautet die Erzählung des Ritters de la Tour. Den beſten und wirkſamſten Widerſtand fanden die Aus- ſchweifungen in Sitten und Moden an dem geſunden Sinn des Volkes ſelbſt. In den Städten ſowohl wie beim Adel auf den Schlöſſern hielt ein guter Theil an edler Einfachheit, an Ehrbar- keit und Anſtand feſt, wie auch die Maſſe der niedern Stände und des Landvolks unverdorben blieb. Was die Kleidung be- trifft, ſo läßt ſich an vielfachen Abbildungen nachweiſen, wie ne- ben den tollſten und ſchamloſeſten Ausgeburten der Mode ſich eine edle einfache Tracht beſtändig erhielt. Aus eben dieſem altehrbaren Sinn, der auf Anſtand in allen Dingen hält, ſind auch die ſchon erwähnten Ermahnungen des Ritters de la Tour hervorgegangen, denen die Franzoſen noch andere an die Seite zu ſtellen haben. Ihre Sorge läßt ſie ganz in ſpecielle Vorſchriften gegen die Modeſitten eingehen. So ſagt der alte Ritter zu ſeinen Töchtern: „Wenn ihr in der Meſſe eure Gebete ſprecht, ſo gleicht nicht dem Kranich, der den Kopf bald nach der einen, bald nach der andern Seite dreht; ſondern ſeht grade vor euch hin und mit Würde. Denn man hält ſich nicht mit Unrecht über Frauen auf, welche unbeſcheiden das Geſicht hierhin und dorthin wenden.“ Etwas ſpäter macht ein reicher Bürger von Paris ſeiner jungen Frau ähnliche Vorſchriften: Falke, Trachten- und Modenwelt. I. 12

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Zitationshilfe: Falke, Jakob von: Die deutsche Trachten- und Modenwelt. Ein Beitrag zur deutschen Culturgeschichte. Bd. 1. Leipzig, 1858, S. 177. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/falke_trachten01_1858/195>, abgerufen am 25.04.2024.