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Falke, Jakob von: Die deutsche Trachten- und Modenwelt. Ein Beitrag zur deutschen Culturgeschichte. Bd. 1. Leipzig, 1858.

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2. Die Zeit des Luxus und der Entartung.
bunter Ornamentik, die nicht organisch aus ihr hervorwächst. Die
Plastik, wenn sie auch an Kraft des Ausdrucks, an Reichthum
des Dargestellten gewinnt, verliert durch Ansprüche, die außer-
halb ihrer Gränzen liegen; mit den Farben in Verbindung ge-
setzt, soll sie eine Malerei im Relief werden, eine Malerei in Stein
und Holz, also die treuste Nachahmerin der Natur. Ganz anders
die Kunst der Malerei. Im Gegensatz zur malerischen Plastik des
funfzehnten Jahrhunderts war sie im vierzehnten noch eine sta-
tuarische Malerei gewesen. Wie man am liebsten Einzelfiguren,
durch architektonische Einfassungen getrennt, darstellte, so hatte
man auch figurenreichen Gegenständen durch den Mangel alles
natürlichen Hintergrundes einen reliefartigen Charakter aufge-
drückt. Der goldene Grund, in welchen die Figuren hineinge-
stellt waren, hatte den Schein des wirklichen Lebens vollends ge-
nommen; es war bereits gleichsam der Himmel gewesen, in den
diese Heiligen als der Erde entrückte Wesen getaucht waren.

Die Gebrüder van Eyck waren es nun, welche so die Kunst
gewissermaßen vom Himmel auf die Erde herabzogen. Groß ge-
worden in dem üppigen Leben der reichen Niederlande, Zeugen
der Kostbarkeiten, wie sie dort der Gewerbfleiß in aller Farben-
pracht zu Tage förderte, in engster Verbindung mit dem glänzend-
sten aller damaligen Höfe, dem burgundischen, zeigen sie in ihren
Werken zum ersten Mal in voller energischer Weise diese realisti-
sche Richtung der Zeit, die irdische Lebensfreudigkeit. Statt des
goldenen Hintergrundes versetzen sie den Schauplatz ihrer Gegen-
stände auf diese Erde, mitten hinein in die schöne Welt, der sie
mit fröhlicher Liebe zugethan erscheinen. Saftig grüne Wälder,
frische, blumige Wiesen, Berge und Städte, mit hingebender
Vorliebe behandelt, bilden die Localität. Alles Nebensächliche,
das Haar, der Boden, die Gräser, werden mit geduldigstem Fleiße
ausgeführt, das menschliche Incarnat mit besonderer Rücksicht
auf Geschlecht, Alter und Charakter behandelt. Prachtgewänder,
Purpurmäntel, die großgemusterten Sammet- und Seidenstoffe
und der schimmernde Goldbrokat, Kronen, Ketten und blanke
Rüstungen glänzen uns aus ihren Werken entgegen. Hohen Sinn

2. Die Zeit des Luxus und der Entartung.
bunter Ornamentik, die nicht organiſch aus ihr hervorwächſt. Die
Plaſtik, wenn ſie auch an Kraft des Ausdrucks, an Reichthum
des Dargeſtellten gewinnt, verliert durch Anſprüche, die außer-
halb ihrer Gränzen liegen; mit den Farben in Verbindung ge-
ſetzt, ſoll ſie eine Malerei im Relief werden, eine Malerei in Stein
und Holz, alſo die treuſte Nachahmerin der Natur. Ganz anders
die Kunſt der Malerei. Im Gegenſatz zur maleriſchen Plaſtik des
funfzehnten Jahrhunderts war ſie im vierzehnten noch eine ſta-
tuariſche Malerei geweſen. Wie man am liebſten Einzelfiguren,
durch architektoniſche Einfaſſungen getrennt, darſtellte, ſo hatte
man auch figurenreichen Gegenſtänden durch den Mangel alles
natürlichen Hintergrundes einen reliefartigen Charakter aufge-
drückt. Der goldene Grund, in welchen die Figuren hineinge-
ſtellt waren, hatte den Schein des wirklichen Lebens vollends ge-
nommen; es war bereits gleichſam der Himmel geweſen, in den
dieſe Heiligen als der Erde entrückte Weſen getaucht waren.

Die Gebrüder van Eyck waren es nun, welche ſo die Kunſt
gewiſſermaßen vom Himmel auf die Erde herabzogen. Groß ge-
worden in dem üppigen Leben der reichen Niederlande, Zeugen
der Koſtbarkeiten, wie ſie dort der Gewerbfleiß in aller Farben-
pracht zu Tage förderte, in engſter Verbindung mit dem glänzend-
ſten aller damaligen Höfe, dem burgundiſchen, zeigen ſie in ihren
Werken zum erſten Mal in voller energiſcher Weiſe dieſe realiſti-
ſche Richtung der Zeit, die irdiſche Lebensfreudigkeit. Statt des
goldenen Hintergrundes verſetzen ſie den Schauplatz ihrer Gegen-
ſtände auf dieſe Erde, mitten hinein in die ſchöne Welt, der ſie
mit fröhlicher Liebe zugethan erſcheinen. Saftig grüne Wälder,
friſche, blumige Wieſen, Berge und Städte, mit hingebender
Vorliebe behandelt, bilden die Localität. Alles Nebenſächliche,
das Haar, der Boden, die Gräſer, werden mit geduldigſtem Fleiße
ausgeführt, das menſchliche Incarnat mit beſonderer Rückſicht
auf Geſchlecht, Alter und Charakter behandelt. Prachtgewänder,
Purpurmäntel, die großgemuſterten Sammet- und Seidenſtoffe
und der ſchimmernde Goldbrokat, Kronen, Ketten und blanke
Rüſtungen glänzen uns aus ihren Werken entgegen. Hohen Sinn

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[173/0191] 2. Die Zeit des Luxus und der Entartung. bunter Ornamentik, die nicht organiſch aus ihr hervorwächſt. Die Plaſtik, wenn ſie auch an Kraft des Ausdrucks, an Reichthum des Dargeſtellten gewinnt, verliert durch Anſprüche, die außer- halb ihrer Gränzen liegen; mit den Farben in Verbindung ge- ſetzt, ſoll ſie eine Malerei im Relief werden, eine Malerei in Stein und Holz, alſo die treuſte Nachahmerin der Natur. Ganz anders die Kunſt der Malerei. Im Gegenſatz zur maleriſchen Plaſtik des funfzehnten Jahrhunderts war ſie im vierzehnten noch eine ſta- tuariſche Malerei geweſen. Wie man am liebſten Einzelfiguren, durch architektoniſche Einfaſſungen getrennt, darſtellte, ſo hatte man auch figurenreichen Gegenſtänden durch den Mangel alles natürlichen Hintergrundes einen reliefartigen Charakter aufge- drückt. Der goldene Grund, in welchen die Figuren hineinge- ſtellt waren, hatte den Schein des wirklichen Lebens vollends ge- nommen; es war bereits gleichſam der Himmel geweſen, in den dieſe Heiligen als der Erde entrückte Weſen getaucht waren. Die Gebrüder van Eyck waren es nun, welche ſo die Kunſt gewiſſermaßen vom Himmel auf die Erde herabzogen. Groß ge- worden in dem üppigen Leben der reichen Niederlande, Zeugen der Koſtbarkeiten, wie ſie dort der Gewerbfleiß in aller Farben- pracht zu Tage förderte, in engſter Verbindung mit dem glänzend- ſten aller damaligen Höfe, dem burgundiſchen, zeigen ſie in ihren Werken zum erſten Mal in voller energiſcher Weiſe dieſe realiſti- ſche Richtung der Zeit, die irdiſche Lebensfreudigkeit. Statt des goldenen Hintergrundes verſetzen ſie den Schauplatz ihrer Gegen- ſtände auf dieſe Erde, mitten hinein in die ſchöne Welt, der ſie mit fröhlicher Liebe zugethan erſcheinen. Saftig grüne Wälder, friſche, blumige Wieſen, Berge und Städte, mit hingebender Vorliebe behandelt, bilden die Localität. Alles Nebenſächliche, das Haar, der Boden, die Gräſer, werden mit geduldigſtem Fleiße ausgeführt, das menſchliche Incarnat mit beſonderer Rückſicht auf Geſchlecht, Alter und Charakter behandelt. Prachtgewänder, Purpurmäntel, die großgemuſterten Sammet- und Seidenſtoffe und der ſchimmernde Goldbrokat, Kronen, Ketten und blanke Rüſtungen glänzen uns aus ihren Werken entgegen. Hohen Sinn

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Zitationshilfe: Falke, Jakob von: Die deutsche Trachten- und Modenwelt. Ein Beitrag zur deutschen Culturgeschichte. Bd. 1. Leipzig, 1858, S. 173. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/falke_trachten01_1858/191>, abgerufen am 29.03.2024.