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Falke, Jakob von: Die deutsche Trachten- und Modenwelt. Ein Beitrag zur deutschen Culturgeschichte. Bd. 1. Leipzig, 1858.

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II. Das Mittelalter.
Würde neben dem Gemahl den Thron besteigen. So die Land-
gräfin von Thüringen auf dem Bilde der Manessischen Hand-
schrift, welches den Sängerkrieg darstellt: ihr Oberkleid -- der
Rock wird nicht sichtbar -- ist weit, faltig und über den Hüften
gegürtet.

Diesen Hauptformen des Oberkleides stehen im dreizehnten
Jahrhundert noch einige mehr exceptionelle zur Seite. So ist in
Hefner's Trachtenbuch (I, 49) eine Dame abgebildet, deren Ober-
kleid einem langen viereckigen Stück gleicht, welches in der Mitte
ein umsäumtes Loch hat, um den Kopf durchzustecken, mit seinen
beiden Hälften nach vorn und hinten bis auf die Füße herabfällt
und im Uebrigen nur die Schultern und einen Theil der Arme
bedeckt und die Seiten offen läßt. Eine ähnliche Form des Ober-
kleides trägt die Gräfin Beatrix von Botenlauben, welche im
Jahr 1250 starb, auf ihrem gleichzeitig gemachten Grabstein.
Es sind zwei lange, faltige, auf die Füße herabwallende Stücke
Zeug, welche nur oben auf den Schultern durch eine goldene,
den Hals umgebende Borte an einander befestigt sind und so die
Arme und die Seiten frei lassen. Aber diese Dame war im Orient
geboren, eine Tochter des letzten Grafen von Edessa, und so
dürfte in diesem Kleidungsstuck vielleicht eine Erinnerung an ihre
Heimath zu suchen sein, worauf auch die fremdartige Anordnung
des Schleiers zu deuten scheint. *)

Sowie es zuweilen vom Oberkleid heißt, daß es nach fran-
zösischem Schnitt gemacht sei, ohne daß es uns möglich wäre,
anzugeben, worin die in jedem Fall nicht bedeutende Eigenthüm-
lichkeit desselben bestanden habe, so erkennen wir auch in den
Benennungen hier und da fremdartige Einflüsse, und zwar selbst
bei den Dichtern, welche rein deutsche Gegenstände behandeln.
Auch hier ist es schwer, die Unterschiede von der herrschenden
Form anzugeben, wenn sie überhaupt vorhanden waren, da die
Trachtenbilder jener Zeit durchweg gleichen oder wenig abweichen-
den Charakter zeigen. Wir erkennen aber daraus den Zusammen-

*) Hefner I, 60.

II. Das Mittelalter.
Würde neben dem Gemahl den Thron beſteigen. So die Land-
gräfin von Thüringen auf dem Bilde der Maneſſiſchen Hand-
ſchrift, welches den Sängerkrieg darſtellt: ihr Oberkleid — der
Rock wird nicht ſichtbar — iſt weit, faltig und über den Hüften
gegürtet.

Dieſen Hauptformen des Oberkleides ſtehen im dreizehnten
Jahrhundert noch einige mehr exceptionelle zur Seite. So iſt in
Hefner’s Trachtenbuch (I, 49) eine Dame abgebildet, deren Ober-
kleid einem langen viereckigen Stück gleicht, welches in der Mitte
ein umſäumtes Loch hat, um den Kopf durchzuſtecken, mit ſeinen
beiden Hälften nach vorn und hinten bis auf die Füße herabfällt
und im Uebrigen nur die Schultern und einen Theil der Arme
bedeckt und die Seiten offen läßt. Eine ähnliche Form des Ober-
kleides trägt die Gräfin Beatrix von Botenlauben, welche im
Jahr 1250 ſtarb, auf ihrem gleichzeitig gemachten Grabſtein.
Es ſind zwei lange, faltige, auf die Füße herabwallende Stücke
Zeug, welche nur oben auf den Schultern durch eine goldene,
den Hals umgebende Borte an einander befeſtigt ſind und ſo die
Arme und die Seiten frei laſſen. Aber dieſe Dame war im Orient
geboren, eine Tochter des letzten Grafen von Edeſſa, und ſo
dürfte in dieſem Kleidungsſtuck vielleicht eine Erinnerung an ihre
Heimath zu ſuchen ſein, worauf auch die fremdartige Anordnung
des Schleiers zu deuten ſcheint. *)

Sowie es zuweilen vom Oberkleid heißt, daß es nach fran-
zöſiſchem Schnitt gemacht ſei, ohne daß es uns möglich wäre,
anzugeben, worin die in jedem Fall nicht bedeutende Eigenthüm-
lichkeit deſſelben beſtanden habe, ſo erkennen wir auch in den
Benennungen hier und da fremdartige Einflüſſe, und zwar ſelbſt
bei den Dichtern, welche rein deutſche Gegenſtände behandeln.
Auch hier iſt es ſchwer, die Unterſchiede von der herrſchenden
Form anzugeben, wenn ſie überhaupt vorhanden waren, da die
Trachtenbilder jener Zeit durchweg gleichen oder wenig abweichen-
den Charakter zeigen. Wir erkennen aber daraus den Zuſammen-

*) Hefner I, 60.
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[110/0128] II. Das Mittelalter. Würde neben dem Gemahl den Thron beſteigen. So die Land- gräfin von Thüringen auf dem Bilde der Maneſſiſchen Hand- ſchrift, welches den Sängerkrieg darſtellt: ihr Oberkleid — der Rock wird nicht ſichtbar — iſt weit, faltig und über den Hüften gegürtet. Dieſen Hauptformen des Oberkleides ſtehen im dreizehnten Jahrhundert noch einige mehr exceptionelle zur Seite. So iſt in Hefner’s Trachtenbuch (I, 49) eine Dame abgebildet, deren Ober- kleid einem langen viereckigen Stück gleicht, welches in der Mitte ein umſäumtes Loch hat, um den Kopf durchzuſtecken, mit ſeinen beiden Hälften nach vorn und hinten bis auf die Füße herabfällt und im Uebrigen nur die Schultern und einen Theil der Arme bedeckt und die Seiten offen läßt. Eine ähnliche Form des Ober- kleides trägt die Gräfin Beatrix von Botenlauben, welche im Jahr 1250 ſtarb, auf ihrem gleichzeitig gemachten Grabſtein. Es ſind zwei lange, faltige, auf die Füße herabwallende Stücke Zeug, welche nur oben auf den Schultern durch eine goldene, den Hals umgebende Borte an einander befeſtigt ſind und ſo die Arme und die Seiten frei laſſen. Aber dieſe Dame war im Orient geboren, eine Tochter des letzten Grafen von Edeſſa, und ſo dürfte in dieſem Kleidungsſtuck vielleicht eine Erinnerung an ihre Heimath zu ſuchen ſein, worauf auch die fremdartige Anordnung des Schleiers zu deuten ſcheint. *) Sowie es zuweilen vom Oberkleid heißt, daß es nach fran- zöſiſchem Schnitt gemacht ſei, ohne daß es uns möglich wäre, anzugeben, worin die in jedem Fall nicht bedeutende Eigenthüm- lichkeit deſſelben beſtanden habe, ſo erkennen wir auch in den Benennungen hier und da fremdartige Einflüſſe, und zwar ſelbſt bei den Dichtern, welche rein deutſche Gegenſtände behandeln. Auch hier iſt es ſchwer, die Unterſchiede von der herrſchenden Form anzugeben, wenn ſie überhaupt vorhanden waren, da die Trachtenbilder jener Zeit durchweg gleichen oder wenig abweichen- den Charakter zeigen. Wir erkennen aber daraus den Zuſammen- *) Hefner I, 60.

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Zitationshilfe: Falke, Jakob von: Die deutsche Trachten- und Modenwelt. Ein Beitrag zur deutschen Culturgeschichte. Bd. 1. Leipzig, 1858, S. 110. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/falke_trachten01_1858/128>, abgerufen am 19.04.2024.